Kapitel 5

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Kapitel 5:
Das Coaching mit Etienne und Yvonne war, gelinde gesagt, eine mittelschwere Katastrophe. Etienne bemühte sich sichtlich. Er schaffte es gut auf Yvonne einzugehen, hatte aber deutlich mehr Probleme damit, einen deutschen Titel zu singen, als Steff es gedacht hatte. Bei Yvonne war es genau umgekehrt. Sie war wie immer absolut sicher, was den Gesang anging. Doch sie schaffte es absolut nicht, die Gefühle des Songs rüberzubringen und ihn gemeinsam mit Etienne zu singen. Steff hatte die Messlatte hochgesetzt – und Yvonne's verändertes Aussehen hatte sie nur in ihrem Vorgehen bestätigt. Sie hatte so verändert gewirkt, so viel selbstbewusster.

Doch als sie jetzt im Probenraum stand, war sie sofort wieder in alte Muster zurückgefallen. Sie hielt sich krampfhaft am Mikrofon fest, starrte während Etienne's Passagen unsicher auf den Boden und konnte Steff mit ihrer Stimme einfach nicht erreichen. Statt sich in der Musik zu verlieren, schien Yvonne sich nur immer mehr in sich selbst zu verlieren. Nach einem weiteren Durchgang seufzte Steff schließlich leise auf, unfähig ihre Enttäuschung vollständig vor den Beiden zu verbergen. „Also Leute, irgendwas müssen wir uns überlegen, sonst wird das Battle eine ziemlich kalte Dusche für euch." Etienne lachte nur. „Macht nichts, ich mag eh kein warmes Wasser." Das brachte auch Steff zum Lachen. Immerhin hatte er seinen Humor trotz den stundenlangen Proben nicht verloren. Doch als ihr Blick auf das ausdruckslose Gesicht von Yvonne fiel, verschwand ihr Lachen sofort wieder. Sie sah aus, als würde sie wieder in jedem Moment in Tränen ausbrechen. Steff wollte ihr diese Demütigung vor Etienne und dem Kamerateam um jeden Preis ersparen. Als sie wieder zu Sprechen begann, lag ein fast beschwichtigender Ton in ihrer Stimme. „Das Gute ist, wir haben noch jede Menge Zeit, und ich bin mir sicher ihr werdet das Beide hinbekommen."

Ihre Worte waren an beide Kandidaten gerichtet, doch ihr Blick lag einzig und allein auf Yvonne, die sich allerdings noch immer mit aller Kraft bemühte, ihr nicht in die Augen zu schauen. „Wisst ihr was? Wir machen für heute erstmal Schluss. Ich werde noch bei ein paar anderen Gruppen reinschauen und sehen uns dann zur Probe wieder." Alles in ihr strebte danach, ihre Hand auszustrecken und Yvonne beruhigend über den Arm zu streichen, ihr irgendwie zu sagen, dass sie die Hoffnung noch nicht aufgeben soll. Doch das stand außer Frage. Stattdessen zwinkerte Steff den Beiden noch einmal kurz zu, drehte sich dann um und verließ mit entschlossenen Schritten den Raum.

Das Bild von Yvonne, wie sie dort im Probenraum gestanden hatte, den Selbstzweifel offen im Gesicht, ließ Steff den ganzen Tag nicht los. Sie versuchte sich so gut es ging auf die anderen Talente zu konzentrieren, doch immer wieder wanderten ihre Gedanken zurück zu der brünetten Sängerin. So war sie auch abends, als sie durch die leeren Gänge des Studios lief, noch damit beschäftigt, Yvonne aus ihrem Kopf zu verdrängen. Inzwischen hatten fast alle Kandidaten die Proben beendet, und außer ihr waren vermutlich nur noch die anderen Coaches irgendwo im Gebäude damit beschäftigt, ihre Battles zu planen. Doch während sie an einem der vermeintlich leeren Probenräume vorbeilief, hörte sie eine leise Stimme zu sich herausdringen. Neugierig trat Steff näher und riskierte einen vorsichtigen Blick durch die angelehnte Tür. Ihr den Rücken zugewandt stand Yvonne. Sie war völlig in die Musik versunken und bemerkte Steff nicht. Ihre Augen waren geschlossen, sie wippte auf ihren Fußballen sanft im Takt der Musik vor und zurück und sang gerade den Refrain von „Halt Dich an Mir Fest". Und wie sie sang. So hatte Steff Yvonne noch nie gehört. Wenn sie so darüber nachdachte, hatte sie auch den Song so noch nie gehört. Yvonne's Stimme klang stark und kräftig, an einigen Stellen schien sie leicht wegzubrechen, und nahm ihr etwas von ihrer sonst so unpersönlichen Perfektion. Jeder einzelne Ton jagte einen neuen Schauer der Gänsehaut über Steff's Körper. Zum ersten Mal seit ihrer Zeit bei The Voice glaubte Steff ihr jedes Wort, von dem was sie sang.

Sie stand noch eine Weile sie da, doch kam sich mehr und mehr vor wie ein heimlicher Stalker. Schließlich räusperte sie sich leise, um sich bemerkbar zu machen. Yvonne fuhr erschrocken herum und blickte Steff mit großen Augen an. „Wow." Steff's Stimme war kaum mehr als der Hauch eines Flüsterns. Yvonne war so von ihrer Anwesenheit überrumpelt, dass sie kurzzeitig ihre Fassade fallen ließ. Für einen kurzen Moment konnte Steff die Verletzlichkeit in ihrem Blick erkennen, die Liebe zu Musik, die ihr vermutlich einst dabei geholfen hatte sie zu überwinden, aber auch der Schmerz, weil sie eben all das vor der Welt zu verstecken schien. „Also wenn du das Lied bei den Battles genau so singst, dann haben wir die Gewinnerin der diesjährigen Staffel schon gefunden." Noch immer war ihre Stimme etwas wacklig, doch der durchdringende Blick, mit dem sie Yvonne zu mustern schien, ließ keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Worte. Yvonne blinzelte nur verwirrt und biss sich nervös auf die Unterlippe, was Steff vielleicht ein klein wenig zu sehr davon ablenkte, was sie hier gerade beobachtet hatte. Schließlich schien sich Yvonne zu einer Antwort durchgerungen zu haben. „Du hättest das gar nicht hören sollen..." Doch Steff unterbrach sie entschlossen. „Das war genau das, was ich den ganzen Tag hören wollte Yvonne. Das will ganz Deutschland hören! Deine Stimme... wow, das war einfach so unglaublich gut." Als Yvonne schließlich den Kopf hob, wirkte ihr Blick fast verbittert. „Dann bleibt da nur das kleine Problem, dass ich es nicht schaffe so zu singen, sobald ich weiß, dass mir jemand zuhört." Sie schnaubte verächtlich. „Tolle Sängerin bin ich. Vielleicht hätte ich doch einfach eine Ausbildung bei der Bank machen sollen. Da wäre ich mit meinem Stock im Arsch vermutlich genau richtig gewesen." Zögerlich trat Steff einen Schritt näher auf Yvonne zu. Bevor sie sich selbst davon abhalten konnte, hatte sie ihre Hand sanft auf Yvonne's Oberarm gelegt. Bei dem Kontakt spürte sie sofort wieder diese elektrischen Funken in ihren eigenen Fingern. Auf ihrem Gesicht lag ein fast flehentlicher Ausdruck, als sie Yvonne wieder eindringlich in die Augen schaute. „Yvonne, wir bekommen das hin. Bitte lass mich dir helfen."

Maybe we were never meant to collide...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt