Begegnungen.

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Der Sommer, in dem ich auf dem besten Wege war, erwachsen zu werden, schien sich alles in allem endlos lang hinzuziehen, einzig und allein die Tage, die ich mit ihm verbrachte, flogen vorrüber, während ich vergeblich nach ihnen griff und versuchte, sie festzuhalten und an mich zu ziehen, aber sie waren schneller und verschwanden, sodass sich 6 Stunden wie nur eine Minute anfühlten.


Aber die Nächte, sie wollten nicht enden, die tropisch heißen Nächte, in denen ich schweigend da lag, das Shirt durchnässt, wie eine zweite Haut an meinem Körper klebend.
Die Nächte, in denen ich an Ruben dachte.
Ich konnte kein Auge zutun, weil er sich in meinem Kopf breit machte und dort saß, mit seiner Zigarette zwischen den Lippen wie jeden Tag, seelenruhig, er wollte nicht aus meinem Gehirn verschwinden.


Mein Herz überschlug sich und wenn ich dann doch den Weg in den Schlaf finden wollte, dann sah ich sein Gesicht direkt vor mir, die schwarzen Strähnen, wie sie ihm vor die dunklen, glänzenden Augen fielen, die so tief in den Höhlen lagen, in den Höhlen in seinem blassen, makellosen Gesicht.
Und ich wältzte mich von der einen Seite auf die andere, zog mich aus und lag einfach so in dieser Hitze da, dem Geräusch, dass der Ventilator machte, der wahrscheinlich schon im sterben lag, lauschend.


Ruben war einen Monat vor den Sommerferien in unsere Klasse gekommen, wieso überhaupt, das war mir um ehrlich zu sein schleierhaft gewesen.
Er hätte doch auch noch warten können, so lange, bis das Nächste Schuljahr begann. Aber das tat er nicht.
Er kam und ging offensichtlich immer, wann er es für richtig hielt.


Eines schwülen Morgens stand er einfach da, vor der Schule, in seinen engen, zerissenen Jeans, den ausgelatschten Sneakern und dem Shirt einer alten Band, über dem er ein viel zu großes, verwaschenes, kariertes Hemd trug, dass seine Figur verbarg und ihn noch schlaksiger und dünner wirken ließ, als er es ohnehin schon war.


Der Junge mit den schwarzen Haaren, die sein Gesicht  umrahmten und ihm bis zum Kinn reichten, fiel mir auf, weil er dort so elendig alleine stand, einen Zug nach dem anderen auf Lunge rauchend, was untypisch für einen Schüler unseres Gymnasiums war.
Aber was war'n in dieser Welt schon typisch?


Kaum, dass es zur ersten Stunde geklingelt hatte, betrat kein geringerer als er selbst unseren Klassenraum, er kam aus Berlin, wie uns unsere Lehrerin erklärte, und würde von nun an die 9c - beziehungsweise nach dem Ende dieser Ferien 10c - besuchen, wir sollen alle nett zu ihm sein.
Und ich dachte nur: Kann er nicht sprechen, oder weshalb klaut sie ihm alle Worte aus dem Mund?
Ich hörte, wie die Jungs hinter mir lachten und ihn verurteilten, ohne, dass sie ihn überhaupt kannten, wie sie ihn als Schwuchtel beschimpften, obwohl er sich nicht einmal selbst vorgestellt hatte und in mir baute sich eine ungeheure Wut auf, sodass sich meine Fingernägel hart in meinen Handballen bohrten, als ich Fäuste ballte.


Aber es interessierte ihn nicht, mit leerem Blick bahnte er sich einen Weg durch die Reihen und nahm Platz.
Ruben saß einen Tisch vor mir, ich hatte freien Blick auf seinen Hinterkopf.
Die gewaschenen Haare fielen in weichen Strähnen über seinen hellen Nacken und auf den Kragen seines Rot-Schwarz karierten Hemdes.


Zwei Wochen, nachdem er in unsere Stadt, die man nicht einmal wirklich Stadt nennen konnte, gezogen war, sprach ich das erste Mal mit ihm.
Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren war und wieso ich das einfach tat, aber nachdem der Gong uns des Unterrichts erlöst hatte und wir uns frei fühlen durften, nun in's Wochenende zu starten, fing ich ihn an der Straße ab.


''Hey!'' sagte ich. ''Ey man, du, du bist doch Ruben!''
Er drehte sich zu mir um und ein Schaudern durchfuhr meinen Körper.
Besagter Junge ließ seinen Kippenstummel auf den Boden fallen und trat ihn aus, ohne seinen Blick von mir zu nehmen.


''Ja?'' seine Stimme klang heller als ich gedacht hatte, aber dennoch auf keinen Fall unmännlich. Der Tonfall war ein wenig missbilligend.
''Ich, äh..'' Keine Ahnung, worüber überhaupt ich mit ihm reden wollte.
''Ich geh' in deine Klasse. Hi. Ich bin Jakob.''
Ruben musterte mich skeptisch und er machte sich nicht einmal die Mühe, seine Augen unauffällig an mir entlangwandern zu lassen. Er starrte mich offensichtlich an, mit einer Mischung aus Misstrauen und Interesse.


''Ja.'' nickte er. ''Ja, ich weiß, dass du in meine Klasse gehst. Du schaust mich im Unterricht ja ständig an, das bemerkt jeder normaldenkende Mensch.''
Ein leichtes Lächeln kräuselte sich um seine dünnen Lippen und ich merkte, wie mein Kopf begann, einer Tomate zu gleichen und ich wünschte mir, ihn niemals angesprochen zu haben.
Ruben lachte.


''Das muss dir doch nicht peinlich sein. Jakob, richtig?''
Ich nickte verlegen, wobei mir mein blonder Pony in die Augen fiel.
Mein Gegenüber nickte mit dem Kopf, um mir zu bedeuten, dass ich ihm folgen solle. Ungefragt hielt er mir eine Schachtel Marlboro unter die Nase, aus der ich mir dankend Eine herausnahm, ohne, dass ich überhaupt jemals wirklich geraucht hatte, und sie mir in den Mund steckte.
''Du hast kein Feuer, richtig?''
Ich nickte.


''Und normalerweise rauchst du auch gar nicht, hm?''
Ich nickte noch einmal.


Ruben zündete im Gehen seine eigene Zigarette an und zog fest daran, sodass sie anfing, richtig zu glühen.
''Hier, nimm, die ist schon an.'' sagte er in einem ruhigen Ton und hielt mir seine hin, während ich ihm die Unangezündete zurückgab.


Mein Körper wehrte sich dagegen, zu rauchen, aber ich wollte vor Ruben auch nicht wie ein Schisser dastehen, also schob ich mir das Teil zwischen die Lippen und zog lange daran. Zu lange. Ich hustete. Es brannte. Es schmeckte nicht. Mir gefiel es.
Der Schwarzhaarige quittierte das nur mit einem schadenfrohen Auflachen.
''So geht es jedem am Anfang, irgendwann gewöhnst du dich schon noch daran.''
Ich ignorierte seinen Kommentar und wischte mir mit einer schorfen Handbewegung den Pony zur Seite, der in dieser unerträglichen Hitze schon wieder an meiner Stirn klebte, ehe ich noch einen Zug nahm und Ruben dann fragte:
''Und, wieso bist du hier?''


Er schwieg einen Moment und zuckte mit den Schultern.
''Frag das meine Mutter. Die wollte weg. Aus der Großstadt. Aber Berlin hat mein Herz gefressen. Und bei der nächsten Gelegenheit verlasse ich dieses Kaff und fahr zurück. Mir egal, was sie macht. Und du, wieso bist du hier?''


Ich zog meine Augenbrauen zusammen: ''Was, wieso bin ich hier?''
Er grinste leicht: ''Na, wieso bist du hier. In dieser Stadt.''
''Na weil ich hier geboren wurde natürlich, wieso denn sonst? Ich bin schon immer hier.''
Ruben würgte kurz etwas hoch und spuckte dann zur Seite.
''Das klingt so selbstverständlich. Hätte ja auch sein können, dass du wo anders her kommst.''
Ich schüttelte meine Kopf.


So weit hatte ich tatsächlich noch nie gedacht.
''Nein, nein, ich komme schon von hier. Und eigentlich wollte ich auch nie weg. Keine Ahnung, es ist halt echt okay.''
Ohne Vorankündigung setzte er sich auf den Boden bedeutete mir mit einer Handbewegung, mich auch hinunter zu hocken.
''Du wolltest noch nie hier weg? Echt? Wolltest du noch nie ans Meer, oder endlos lange Zug fahren und ausreißen?''


Ich sah ihn an und bemerkte das Funkeln in seinen schönen Augen.
''Nein, eigentlich nicht. Ich war ein Mal an der Oststee, in den Sommerferien vor 3 Jahren. Aber sonst hocke ich zu Hause rum. Oder ich bin im Freibad. Oder sowas eben.''
Sein Gesicht verzog sich zur Ungläubigkeit.
''Ich weiß echt nicht, ob ich das traurig finden soll.''
Dann erhob er sich wieder.


Ruben faszinierte mich, ich weiß nicht, wieso, aber diese Art, wie er dort stand, der Schatten der Sonne, der sich in seinem hellen Gesicht barg, seine dichten, schwarzen Wimpern und die aufeinandergepressten Lippen wirkten spannend und neu auf mich.
''Sehen wir uns morgen?'' hörte ich mich selber fragen.
Er nickte nur ''Gerne. Genau hier. Um 15:00'', hob dann ohne meine Antwort abzuwarten zum Abschied die Hand und ging  in die andere Richtung weiter, den Rauch einer neuen Zigarette hinter sich herziehend.


Ich wusste nicht, was dieser Junge an sich hatte und was es war, dass mich dazu brachte, ununterbrochen an ihn zu denken und ihn lösen zu wollen wie ein Kreuzworträtsel.
Ich hatte keine Ahnung, wieso ich alles über ihn wissen wollte und wieso ich ihn, seitdem ich das erste Mal sein mattes Lächeln gesehen hatte, dass ihn so anders erschienen ließ wie sein sonst so unmotivierter, beinahe trauriger Gesichtsausdruck, tatsächlich irgendwie unglaublich anziehend fand, auch, wenn ihm die wesentlichen Dinge wie beispielsweise Brüste fehlten, die normalerweise bei den Menschen vorhanden waren, auf die ich sonst so stand.

Ruben.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt