Freitag

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Langsam öffnete ich die Augen und blickte aus meinem Fenster direkt ins weiße Nichts. Gähnend zog ich mir noch einmal die Decke über den Kopf und stand dann seufzend auf. Müde taumelte ich den Flur entlang zum Bad. Ich sah ungefähr so aus, wie ein Wischmopp, der soeben durch einen Tornado geflogen ist. Ich spritze mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht , was sich auf meiner Haut anfühlte wie tausende Nadelstiche. Meine Haare band ich zu einem Zopf zusammen und ging in die Küche. Mein Frühstück bestand aus einem Cappuccino und einer Mandarine. Ja ich weiß, dass das jetzt nicht wirklich die ausgewogenste Ernährung ist aber immerhin esse ich überhaupt was. Mit einem kurzen Blick auf den Kalender verging mir dann aber auch der Appetit. Es war der 16.September , Mamas Geburtstag. Für die meisten Menschen ist das ein Feiertag, mit viel Liebe, Geschenken und Gesundheit. Ein Tag an dem die Familien glücklich sind. Für mich ist es die Erinnerung an die Beerdigung, bei der ich von meiner Tante, die ich kaum kannte fest gehalten wurde. Ich habe geschrien, ich habe geweint und ich habe es nicht verstehen können wieso das alles passierte. Warum Mama und Papa schlafen und warum hier so viele, schwarz gekleidete Leute waren, die ich nicht kannte. Alle haben sie zu mir gesagt :" Es geht vorbei " oder "Es tut mir leid aber das wird schon wieder". Einige haben mir eingetrichtert, dass ich diese Bilder sowieso ganz schnell wieder vergessen würde. Und ? Was ist heute, nach 14 Jahren ? Ist irgendwas besser geworden ? Ist der Schmerz und all die Erinnerungen , sind sie vorbei ? Habe ich diese Bilder vergessen können?

Nein nichts von alle dem ist auch nur ansatzweise passiert. Nichts ist besser geworden. Nichts ist vorüber gegangen.

Manche Familien denken sie hätten es schwer nur weil ein paar Euro auf dem Konto fehlen oder die Harmonie nicht stimmt. Manche Kinder beschweren sich über ihre beschissenen Eltern, die mal eben nicht genug Geld für neue Marken Klamotten oder ein neues Handy haben. Aber keiner, kein einziger weiß wie es sich anfühlt ohne sie zu leben. Die Hoffnung aufgegeben zu haben, dass sie doch nur drüben auf dem Sofa sitzen. Man hat nicht mehr diesen Gedanken im Hinterkopf, dass wenn irgendwas passiert die Eltern sofort da sind. Nein da ist nur eine einsame Leere.

Ich frage mich wie es gewesen wäre bei meinen Eltern auf zu wachsen. Aber ich wurde von meiner Tante groß gezogen, bis ich mit 17 auszog. Bis heute bin ich der Meinung ,dass sie ein Alkoholproblem hatte auch wenn sie dass immer bestritten hatte.

An meinem 18 Geburtstag erhielt ich von ihr das letzte Hinterlassene von meinen Eltern. Briefe , sämtliche Papiere und anderes. Aber Bilder fand ich nicht. Sollte ich mich nicht an sie erinnern können ?

Mit diesen Gedanken ging ich ins Wohnzimmer und holte aus einer Schublade einen Kleinen Karton, in dem sich die früheren Briefe meiner Eltern befanden, die sie sich geschrieben hatten, bevor sie zusammen gekommen sind. Es war eine Jugendliebe. Ich nahm einen Brief heraus. Eine rote Schleife war darum gebunden, welche ich löste und den veralteten Brief auffaltete.

"Liebe Alisha
Jeden Tag wenn ich in deine wunderschönen grünen Augen blicken darf, ist der schönste Tag meines Lebens. Immer wenn du mir zulächelst erfüllt sich mein Herz mit Wärme. Ich kann meine Gefühle für dich nicht verstecken. Ich sehne mich jede Sekunde nach dir. Wir kennen uns kaum aber ich weiß dass du die einzige bist. Du bist so wunderschön, elegant und hast Klasse. Ich hoffe du weißt dass ich alles dafür machen würde um die Erwiderung meiner Gefühle zu erlangen.
In Love James"

Dies war der erste Brief den mein Vater geschrieben hatte. Ich bemerkte, dass mir eine Träne über die Wange lief und wischte schnell mit dem Handrücken darüber. Ich legte den Brief zurück in den Karton und stellte diesen zurück zu den anderen Papieren. Alles, was ich noch von meinen Eltern wusste, wusste ich von diesen Papieren. Genauso wie das Geburtsdatum meiner Mom.

Als ich die Schublade wieder schließen wollte, flog ein Zettel heraus. Ich wollte ihn wieder in die Schublade legen, als ich mich dann doch dafür entschied einen Blick drauf zu werfen. Ich erblickte eine Zahl, ein Datum. Es waren aus einer Zeitung ausgeschnittene Zahlen, die zu einem Datum zusammen geklebt wurden. 22.09.1990. Es war das Datum des Unfalls. Aber warum wurde es auf so eine Weise ''aufgeschrieben''? Und was machte es hier bei all den anderen Papieren? Aufeinmal überfuhr mich ein Schmerz im Nacken. Déjà-vu. Sofort drückte ich meine Hand an die Wunde. In dem Moment merkte ich schon, wie mir das Blut den Rücken runter floss. Schnell rannte ich ins Bad und hielt mir unter starken, qualvollen Schmerzen ein Tuch drauf. Was zur Hölle war das?! Ich konnte mir einen Schrei nicht verkneifen. Es fühlte sich so an, als würde man mir den Nacken mit Nadeln aufstechen. Auch heute versuchte ich mit meinem Handy ein Foto zu machen. Daraufhin verklebte ich die Narbe mit Pflastern und wischte das Blut von meiner Haut. Ich zog mir einen schwarzen Pulli über, damit man nichts sehen konnte und setzte mich aufs Sofa und verglich die Bilder von gestern und heute. Kurioser Weise schien es gewachsen zu sein. Oder eine zweite Narbe ? Mir wurde ganz mulmig und ich legte mein Handy weg.

Es war bereits 16.45 Uhr. Gleich würde ich mich mit Ashton an der Uni treffen. Er hatte heute noch ein Seminar und deshalb hatte ich heute frei. Wie das zusammen hängt weiß ich selbst nicht.

Ich mache mich auf den Weg zur Uni. Treppe runter, Tür raus, über die Kreuzung, gerade aus laufen entlang des Parks bis zur Uni. Der übliche Weg. Als ich am Park entlang lief hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden. Unauffällig spähte ich in alle Richtungen aber ich konnte niemanden sehen. Schnell ging ich weiter um bei Ashton zu sein. Als ich auf dem Hof der Uni ankam - Naja Hof konnte man diesen grauen Betonplatz mit einigen Bänken und drei Bäumen nicht nennen - sah ich Ashton an einer Bank mit einigen Kumpels stehen. Ich ging von hinten auf ihn zu. Einer seiner Freunde hatte mich schon entdeckt aber wusste wahrscheinlich was ich vor hatte und wand seinen Blick deshalb schnell wieder ab. Ich stand jetzt direkt hinter Ashton. Mit meinen Händen hielt ich ihm die Augen zu. Er erschrak leicht, nahm meine Hände von seinen Augen und dreht sich um. Ich grinste ihn an und legte meine Hände in seinen Nacken und küsste ihn liebevoll. Von den herum stehenden Jungs wurde entweder gejubelt oder gepiffen. Als wir uns lösten lachten wir uns an. "Darf ich euch den mal entführen ?" fragte ich die Jungs und bekam grinsend " Tu was du nicht lassen kannst ". Ich grinste zurück während ich in Ashtons Armen lag. Ich liebte es bei ihm zu sein. Er fing mich immer auf und gab mir das Gefühl sicher zu sein. Als wir uns von seinen Jungs ab wanden, legte er einen Arm über meine Schulter und wir gingen zu mir. Es war schon lange ein unausgesprochener Wunsch von mir mit Ashton zusammen zu ziehen aber ich traute mich nicht ihn zu fragen.

"Und ? Erzähl schon, wie wars ?" fragte ich nun nach einer Weile. Er grinste mich nur stolz an. " Echt?" versicherte ich mich mit großen Augen. Im nächsten Moment sprang ich ihn an und klammerte mich an ihm fest und küsste ihn stolz und glücklich. " Ich wusste du schaffst das " flüsterte ich. " Ohne deine Hilfe ...niemals " sagte er und streifte dabei mit seiner Nase über meine. Ich konnte mir ein kichern nicht unterdrücken. Vorsichtig lies er mich wieder runter und wir liefen weiter zu mir nach Hause.

Als wir wieder am Park vorbei liefen, versicherte ich mich nocheinmals, dass dort niemand war. Trotzdem fühlte es sich so an, als würde jemand seine Blicke in mich bohren.

Ich schloss die Tür auf. Ashton legte seine Sachen im Flur ab und ging in die Küche. Ich ging ihm grinsend nach und rief :" Du Vielfraß !". Doch er war schon in der Küche verschwunden. Als ich die Küche betrat, war er bereits dabei eine Pfanne auf den Herd zu stellen. " Was wird das denn wenn es fertig ist ?" fragte ich ihn misstrauisch , denn das war mit sicherheit höchstens das dritte Mal, dass Ashton Fletsher Irwin eine Pfanne in der Hand hatte. Ich setzte mich an den Esstisch und sah ihm gespannt zu. Er sah sehr konzentriert aus und präsentierte mir nach einer Weile zwei Pancakes in Herzform, die mit Johannisbeer- Marmelade überstrichen waren. Ich lachte ihn mit funkelnden Augen an und er lächelte zuckersüß zurück.
Nach diesem Wundervollen Abendbrot mit Ashton, was mich all die anderen Dinge vergessen lies, setzten wir uns gemeinsam auf mein kleines rot-braunes Sofa und Ashton legte eine CD ein. Yiruma. Verträumt lagen wir Arm in Arm da und ich konnte sein Herz schlagen hören. " Es schlägt nur für dich" flüsterte er und gab mir einen zarten Kuss auf meinen Haaransatz. Ich küsste ihn liebevoll und kuschelte mich wieder an ihn. Wir lauschten der Musik noch eine Weile, bis wir letztendlich beide einschliefen.

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