》richtiger Zeitpunkt《

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Jenny's Sicht:《

Chrissy war schon eine Weile am Überlegen was sie sagen sollte. Ich wusste irgendwie schon was sie sagen wird.

"Versteh mich nicht falsch, Jen, aber ich denke jetzt ist kein richtiger Zeitpunkt." sagt sie wie ich es geahnt habe.

"Wir müssen ja auch nicht mit der Tür ins Haus fallen, wir könnten uns heute langsam rantasten. Ich bin sicher dass meine Eltern es locker nehmen würden. Für sie bist und bleibst du eine Queen of Pop." versuche ich Chrissy umzustimmen.

"Ich würde es sehr gern so beibehalten." fordert sie kurz, doch ich verstehe sie nicht.
Fragend schaue ich sie an.

"Jetzt sehen sie mich noch als diese eine super Sängerin und Lehrerin. Wer garantiert mir, dass sie mich nach unserem Coming Out immernoch als solche sehen und nicht als Perverse?"

Mir fällt keine Antwort ein. Vielleicht weil es ist wie es ist und es niemand garantieren kann. Weder ich noch Gott noch sonst wer.

"Da hast du es, es kann uns niemand garantieren." stellt Chrissy die Tatsachen dar.

Für Christina scheint das Thema beendet zu sein, denn sie setzt zum gehen an. Wenn ich jetzt nichts sage, dann fangen wir bei Null an.

"Warst du nicht die, die mir auf dem Sommerkonzert abgeraten hat zu gehen?" frage ich ohne nachgedacht zu haben wie die Frage bei ihr ankommt, um ehrlich zu sein klang ich vorwurfsvoller als ich beabsichtigt hatte.

"Sorry." stottere ich leise. Alles was ich jetzt noch wahrnehme sind ihre Schritte die immer näher an mich herantreten. Mein Herz schlägt so heftig dass ich Angst habe sie könnte es hören. Das Blut in meinem Adern gefriert und sorgt dafür dass ich mich keinen Meter weg bewegen kann. Toll.

"Ich glaube ich habe mich verhört." meint sie mit tiefer deutlicher Stimme.
Ich wollte nicht diesen Konflikt eingehen, aber irgendwie habe ich ihn schon begonnen.

"Als ich gehen wollte, hast du-" "-Ich weiß was ich getan habe, aber das kannst du nicht hiermit vergleichen." fällt Chrissy mir ins Wort.

Jetzt haben wir das Schlamassel. Wie komme ich hier wieder raus? Warum kann ich nicht einmal denken bevor ich spreche?

Wenn es um Liebe und Gott und die Welt geht, kann ich gar nicht mehr als genug denken, aber jetzt wo ein richtiger Zeitpunkt zum denken war habe ich absolut nicht nachgedacht.

"Ich war mir so sicher dass du es verstehen würdest, wenn ich nach deinem Spiel mit mir Zeit brauchen werde um dir zu vertrauen und noch viel mehr davon um so etwas zu tun." setzt Chrissy fort bevor ich auch nur ein Wort sagen kann.

Sie umgreift mein Kinn mit ihren zarten Fingern und zwingt mich so ihr in ihre klaren blauen Augen zu schauen.

"Ich denke ich sollte jetzt gehen. Bye." und ehe ich irgendwie reagieren kann ist sie schon weg.

Ich weiß nicht ob ich traurig oder erleichtert sein soll, dass sie dieses Thema für heute gelassen hat. Die Traurigkeit jedoch überwiegt.

Ich falle in mein Bett. Die Bilder von und mit ihr blitzen wie in einem schlechten Horror Film vor mir auf und bleichen aus. Stück für Stück.

Auch im Schlaf, wenn ich ihn finde, träume ich von ihr und mir. Ob ich will oder nicht, mein Kopf spielt den Abend des Streits immer wieder durch.

Nach diesem Abend vergehen Tage, Tage an denen ich mich einriegel. Tage an denen die Musik mein einziger Freund ist. Tage die einfach nicht vergehen wollen ohne nicht mindestens dreimal am Tag an die Szenen der letzten Stunden mit ihr zu denken.

Ich gehe nicht in die Schule, ich gehe nicht in meinen Musikraum weder noch gehe ich überhaupt raus.
Lilly ist die einzige die in mein Zimmer darf ohne direkt wieder raus zu fliegen. Sie versorgt mich mit dem neusten Stoff aus der Schule, Essen sowie Trinken und auch mit einem offenen Ohr.

Auch heute schaut sie wieder vorbei.

"Jen, wie sieht es denn hier aus?!" steht sie geschockt in meinem Raum, welcher statt mit Müll mit Papier gefüllt ist. Mehr oder weniger wertvollem Papier.

"Ach das ist alles nur Blödsinn." sage ich als Lilly sich ihren Weg zu meinem Bett bahnt und einzelne Zettel aufhebt und zu lesen beginnt.

"Lieder, seit wann nennst du deine Lyrics Blödsinn?" fragt Lilly ohne eine wirkliche Antwort zu erwarten.
Sie hat recht, meine Texte finde ich immer auf ihre Art und Weise gut gelungen. Doch diese Texte will ich einfach nicht. Ich will nicht eine der vielen Millionen Sängerinnen sein die Lieder zum heulen schreiben und selbst daran runtergehen.

"Du solltest dich deinen Texten hingeben und sie singen." schlägt Lilly vor.
"Bist du wahnsinnig? Ich mache mich doch nur..." ich weiß nicht wie ich es sagen soll.
"...selbst kaputt?" setzt meine beste Freundin fragend fort. "Du sagst es." stimme ich zu.

"Also ich kenne viele Sängerinnen die sich diesen Liedern voller Schmerz und Leid angenommen haben, sie gesungen und veröffentlicht haben und damit ihren Frieden gefunden haben." erzählt sie mir. Als wüsste ich es nicht selbst. Aber ich schätze ich bin nicht so eine Art Sängerin.

"Ich weiß sie ist nicht das beste Beispiel, aber Christina hat auch ihren letzten Song unter Tränen veröffentlicht und gesungen, aber heute lebt sie in Frieden damit nicht mehr so oft auf Tour zu gehen und Auftritte abzustottern." hängt Lilly an ihre erste Erklärung heran.

"Was wenn ich nicht diese Art Sängerin bin die so mit etwas abschließen kann?" frage ich verzweifelt.
"Dann bist du eben die Art Sängerin die mit den Liedern nicht abschließt sondern durchstartet und kämpft und zeigt dass sie da ist." meint Lilly.

In diesem Moment fehlen mir die Worte, also umarme ich meine beste Freundin einfach nur.

Wir packen es noch am selben Abend gemeinsam an, Lilly schleift mich übermotiviert in mein Musikzimmer. Ich betrete den Raum und schon fühle ich mir meiner Musik wieder so nah wie noch nie vorher.
Ich setze mich an mein Piano und Stimme die Tasten und lockere meine Finger.

Lilly wählt einen Zettel aus und klemmt ihn mit ihrer Haarklammer an die dafür vorgesehene Stütze vor mir. Sie setzt sich auf meine Couch und lehnt sich entspannt zurück.

Nur langsam und unsicher beginne ich zu spielen. Ich fitze mich immer mehr rein und ehe ich mich versehe singe ich schon meinen dritten selbst geschriebenen Song.

Lilly hat begonnen mich aufzunehmen, doch selbst das schmeißt mich nicht aus der Bahn.

eres todo lo que siempre he querido
(du bist alles was ich jemals wollte)

incluso si nunca me mostré
(auch wenn ich es nie gezeigt habe)

Ich weiß nicht was genau ich fühle wenn ich meine Texte singe, aber ich weiß, eines Tages werde ich sie mir anhören und drüber stehen.

Lilly applaudiert am Ende meiner kleinen vorerst privaten Session so laut, dass es nicht lange dauert bis meine Eltern in meinem Musikzimmer stehen und staunen.

"Oh Liebling! Du singst ja wieder!" freut sich meine Mutter übertrieben.

Ich fühlte mich nach diesem Abend so leer wie seit Tagen nicht mehr. Ich fühlte keine Trauer um Chrissy, keine Reue über unseren Streit und auch fühlte ich keinen Schmerz über diese Art unserer Trennung. Ich fühlte mich aber irgendwie auch nicht erleichtert oder befreit.

Das einzige was ich in dieser Leere fühlte, war die Ungewissheit wie es morgen weiter gehen wird.

Werde ich mich besser fühlen? Hat es mir geholfen zu singen?

Eines weiß ich; irgendwann, früher oder später, werde ich wieder okay sein, ohne Zweifel.

Play For Me - Not With MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt