Step by step

331 11 0
                                    

"Nelly wie schön dass du nochmal rüber kommst. Komm rein." Kathrin lässt mich lächelnd rein, aber ich erkenne, dass die letzten Tage immer noch an ihr nagen. Wir gehen in die Küche und sie lässt sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Eigentlich wollte ich nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen aber als ich sie da so sitzen sah, konnte ich mich nicht zurück halten. "Vielleicht solltest du für ein paar Tage in den Urlaub fliegen." sie sieht mich Fragend an "Als es bei uns damals auseinander gegangen ist, musste mein Vater auch mal raus." sie beobachtete mich aufmerksam als ich ihr ein Glas Wasser einschenke und es vor ihre Nase stelle.

"Solche Sachen nagen an allen Familienmitgliedern, aber ihr als Eltern wollt euch immer erst um uns Kindern kümmern bevor ihr euch um euch selbst kümmert. Das Problem dabei ist, dass ihr uns keine Hilfe mehr sein könnt, wenn ihr selber nicht mehr die Kraft habt." ich setze mich neben sie auf den Stuhl. "Sam kann solange hier alleine bleiben oder wenn dir das lieber ist, mit zu uns kommen. Unsere Freunde leben sowieso gerade alle bei uns und mein Vater hat bestimmt Verständnis dafür." sie lächelt und ihre Augen werden glasig.

"Ihr mögt es manchmal nicht glauben, aber eure Kinder wissen auch, dass ihr nur Menschen seid. Ihr braucht auch mal eine Atempause." Kathrin guckt mich an und lächelt müde "Du bist so eine reife junge Frau geworden Nelly." Ich muss lächeln. "Komm ich spreche mit meinem Vater und Sam und du überlegst dir das." ich lege meine Hand auf ihre und sie nickt langsam. "Dann geh ich mal hoch." sie hält meine Hand fest "Nelly." ich dreh mich wieder um. 

"Sam ist sehr verletzlich im Moment und dein Brief hat ihn schwer getroffen. Er ist bereit zu kämpfen, aber vielleicht machst du es ihm nicht zu schwer. Er braucht dich. Mehr als er zugeben mag." In mir zieht sich alles zusammen aber ich reiße mich zusammen und lächle Kathrin an "Alles wird gut. Wir kümmern uns jetzt um eins nach dem anderen und sehen dann was kommt." sie seufzt und lässt meine Hand dann los "Danke! Für alles." "Nicht dafür. Aber vielleicht versuchst du noch etwas schlaf nach zu holen." sie nickt und schleicht dann ins Wohnzimmer. Mein Stichwort jetzt nach oben zu gehen.

Vorsichtig klopfe ich an die angelehnte Tür. Keine Antwort, also öffne ich sie langsam. Sam sitzt, mit Kopfhörern auf den Ohren, im Schneidersitz auf seinem Bett. Er hat mir den Rücken zugedreht und hält den Brief den ich ihm geschrieben habe in seinen Händen. Überrascht beobachte ich wie er schnieft und sich mit dem Ärmel seines Pullis übers Gesicht wischt. 

Ich ziehe eine Taschentuchpackung aus meiner Tasche und werfe sie ihm in den Schoß. Schnell zieht er die Kopfhörer von den Ohren und dreht sich hektisch zu mir um "N-Nelly?" seine Augen sind rot und verquollen und bei seinem Anblick bricht mein Herz. "Vielleicht nimmst du lieber die. Schnodder bekommt man nicht so gut raus." er sieht auf die Packung Taschentücher und dann wieder zu mir. "Was willst du hier?" er dreht mir wieder den Rücken zu "Hey! Stopp Stopp Stopp!" ich gehe ums Bett rum und stelle mich direkt vor ihm hin.

"Du wirst jetzt nicht deine blöde Mauer wieder aufbauen. MhMh. Nicht vor mir!" er guckt mich nicht an und setzt nur stumm seine Kopfhörer wieder aus "Interessiert dich doch eh nicht." genervt schüttele ich den Kopf. Wieso wusste ich das sowas passieren würde?

Ich nehme ihm erst die Kopfhörer ab und dann sein Gesicht in die Hände damit er mich endlich anguckt. "Du ließt die falschen Zeilen zu oft du Blödmann." er zieht verwirrt die Augenbrauen zusammen "Sam wir beide haben im Moment viel im Kopf. Deine Familie, der Abschluss, die Geschehnisse mit Connor und meine Familie. Aber wir dürfen das große und ganze nicht aus den Augen verlieren!" immer noch sieht er mich Fragend an. Ich seufze und lasse mich neben ihn aufs Bett fallen.

"Hör zu. Wir haben die nächsten Wochen unsere Abschlussprüfungen und ohne ein paar passable Noten nützen uns unsere vermeidlichen  Stipendien auch nichts. Wir haben ziemlich viel erlebt in den letzten Wochen. Zusammen. Aber jetzt müssen wir unseren Fokus auf diese eine Sache legen." er senkt den Blick "Wie es danach weiter geht werden wir sehen." ich lege meine Hand auf seine und als er mir wieder in die Augen sieht, kann ich genau erkennen, dass ich ihm ein Teil seiner Traurigkeit nehmen konnte.

Ich reiche ihm erneut die Taschentücher Packung, welche er diesmal annimmt. "Ich habe mit deiner Mutter gesprochen." er wischt sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab "Du weißt also was passiert ist?" ich nicke "Aber das wusste ich gestern auch schon. Ich habe mit ihr eben über was andere gesprochen." er sieht mich fragend an "Und was?" ich stehe auf und gehe zu einem der Fenster "Du und deine Mum haben viel durchgemacht und vorbei ist das ganze vermutlich auch noch nicht, aber hast du sie gesehen?" er seufzt hinter mir "Sie sieht aus als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen." ich nicke "Meinem Vater ging es damals ähnlich. Sie sind Eltern und wollen, dass es uns gut geht, aber vergessen dabei häufig sich selbst." 

Er steht auf und kommt zu mir ans Fenster "Worauf willst du hinaus?" "Mein Vater war damals für eine paar Wochen im Urlaub. Mal weg von uns und alleine. Damit er selbst mit der Situation fertig werden konnte. Ich kann mich erinnern, dass ich es damals nicht verstanden habe, aber ich weiß auch wie schrecklich er davor und wie viel besser er danach aussah..." ich knete meine Finger "Meinst du Mum braucht sowas auch?" Sam starrt gerade aus in mein Zimmer in dem Mia auf meinem Bett liegt und irgendwas an ihrem Handy macht "Ich denke es würde ihr gut tun." Sam nickt. "Aber sie will dich glaube ich nicht allein lassen. Jetzt wo Zack..." ich stocke "Wo er uns verlassen hat?" ich nicke "Wäre ja auch nicht das erste Mal, dass ich alleine bin." jetzt wird er provokant.

"Sam." ich drehe mich zu ihm und lege ihm eine Hand auf die Schulter "Ich werde mit meinem Vater sprechen und ihn fragen ob es okay ist, wenn du in der Zeit zu uns kommst." Sam wendet mir den Blick zu "Und wieso? Du willst doch Abstand." zum zigsten Mal heute seufze ich "Weil du nicht allein sein solltest." er wendet den Blick wieder ab "Aber Mia ist doch auch schon bei euch." er nickt zu meinem Zimmer und ich muss schmunzeln. "Ja und Luca und Isaac und Jack und Levi und David und Bryan. Unser Haus ist im Moment so ne Art Asyl." er sieht erstaunt an "Wie ist das denn passiert?" ich zucke mit den Schultern "Sie sind alle zum Lernen gekommen und verschwinden jetzt nicht wieder." in dem Moment fährt Bryans Auto vor und er, David und Luca steigen mit ihren Sachen aus "Dass die am schnellsten sind, hätte ich bei Luca nicht gedacht." Sam stößt amüsiert Luft aus "Und du meinst das ist jetzt das Beste?" wiederholt zucke ich mit den Schultern.

"Ich denke einfach deine Mutter braucht Zeit um Kraft zu tanken und das zu verarbeiten und du solltest trotzdem nicht alleine sein. Und es gibt keine bessere Ablenkung als Freunde." er scheint nachzudenken. "Sam?" "Hm?" ich lasse meine Hand von seiner Schulter rutschen und greife nach seiner Hand. Sofort verflechtet er meine Finger mit seinen und scheint sich wieder etwas mehr zu entspannen. "Ich hatte keine wirkliche Wahl und musste drüben eine Kurzfassung der Geschehnisse erzählen. Es tut mir leid." seine Mundwinkel zucken "Alles okay. Ich hoffe nur sie durchlöchern mich nicht." ich schüttele den Kopf. "Ich denke im Moment hat jeder mit seinen eigenen Kleinigkeiten zu kämpfen." er sieht mich fragend an aber ich winke nur ab. DAnn schlingen sich seine Arme und mich und eine Weile stehen wir einfach nur am Fenster und genießen die Nähe des anderen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit löse ich mich von ihm. "Ich rufe eben meinen Dad an. Überleg es dir und sprich vielleicht mal mit deiner Mum." er nickt und kurz bevor ich das Zimmer verlasse drehe ich mich um "Und Sam?" er dreht sich zu mir "Vielleicht solltest du mal duschen gehen. Du stinkst nach Alkohol und Kotze." er schmunzelt auf meine Bemerkung hin und dann lasse ich ihn alleine.

He's my brothers BabysitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt