Ein Anfang

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Sobald das vertraute Klingeln der Schulglocke ertönte, herrschte in der Klasse ein reges Treiben. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie die Müdigkeit aus den Gesichtern verschwand und der Freude darüber, dass wieder ein Tag vorbei war, wich.
Hektisch wurden Bücher in die Rucksäcke gestopft, es wurden kurze Floskeln ausgetauscht, darüber, wie sehr man sich doch auf den bald anstehenden Sommer freute und dann lehrte sich der Raum auch schon.
Ich stand gemächlich auf und schob mein IPad in meine Jackentasche.
Mehr brachte ich tatsächlich nie zur Schule mit.
In den Geschichtsvorlesungen wurde uns regelmäßig von unseren Dozenten vorgeschwärmt, wie wunderbar doch der Unterricht vor 70 Jahren war, in dem die Schüler auf Papier geschrieben und alle gemeinsam Unterricht hatten.
Das gehörte jedoch schon lange der Vergangenheit an.
Die Menschen hatten so gut wie alle Bäume abgeholzt, sodass irgendwann ein Fällverbot beschlossen wurde und man alles nur noch digital festhalten konnte. Die wenigen Bücher, die es noch gab, waren entweder alte Schulbücher oder Sammlerstücke. Mit denen konnte man wirklich reich werden, da es einen regelrechten Ansturm darauf gab. Auch ich hatte damit schon so meine Erfahrungen gemacht, worüber meine Eltern nicht wirklich erfreut waren. Es war wahrscheinlich unnötig zu erwähnen, dass das nicht meine Bücher gewesen sind.
Nach der Pandemie im 2. 20 Jahrhundert wurde außerdem das komplette System umgestaltet.
Die Lehrer unterrichteten von Zuhause aus und die Schule war nur noch für die von uns offen, die in einem Radius von 2 Km um die Schule herum wohnten.
Mit mir waren das 6 weitere Leute meiner Klasse, aber selbst das war mir schon zu viel.
Der Rest des Kurses war digital zugeschaltet. Sehr viel hatte sich seit der Pandemie also nicht verändert, wie ich mir habe sagen lassen.
Falls ihr euch fragt, ob ich euch noch mehr sagen kann, lautet die Antwort nein. Das ihr die Maske noch ein Weilchen tragen müsst, habt ihr also nicht von mir.
Ich schob mir meine Haare aus dem Gesicht, die schon wieder viel zu lang waren und verließ das Klassenzimmer.
Draußen angekommen atmete ich erstmal tief ein.
Die Anwesenheit von anderen Menschen bekam mir nicht.
Egal wie sehr ich so tat, als würde es mir nichts ausmachen, von gleichalterigen oder Menschen im allgemeinen umgegeben zu sein, ich konnte es nie wirklich verbergen.
Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, schnappte ich mir mein Hoverboard, welches neben dem der anderen Schüler geparkt war und fuhr los.
Es war immer wieder faszinierend, alte Fotos von Städten zu sehen, in denen sich Menschenmassen durch die Straßen schoben, einzig und alleine geprägt vom Drang nach Konsum und Anerkennung.
Die Straßen hier waren fast menschenleer, vereinzelt fuhren Leute auf ihren Hoverboards vorbei oder führten ihren Hund aus.
Die Kommunikation heutzutage fand fast ausschließlich über das Handy, Laptop oder IPad statt.
Falls ihr dachtet, Social Media wäre damals schon schlimm gewesen, könnt ihr euch glücklich schätzen, nicht so wie ich als 17 jähriger Teenager in dieser Zeit leben zu müssen.
Social Media fungierte noch mehr als früher als All In 1 Plattform. Man kann dort einkaufen -nicht mehr nur Kleidung-, nein, man kann sich dort auch Toilettenpapier bestellen. Echt wahr.
Außerdem hatte quasi jeder aus meiner Klasse einen Werbevertrag mit irgendeiner Firma aus den USA.

Zuhause angekommen schob ich mein Board in die Ladestation auf unserer Veranda. Mit der App gab ich ihm den Befehl, zu parken und wartete, bis die Ladeanzeige blinkte.
Ich zog mir meine Kapuze in die Stirn und stapfte die Treppe zur Haustür hoch.
Seit der Pandemie hatte sich die Natur weitestgehend erholt. Vor 100 Jahren noch undenkbar, war es inzwischen zur Normalität geworden, Unkraut einfach wachsen zu lassen.
Überall standen Bäume an Stellen, an denen sie unpassend erschienen oder manchmal gar störten. So wie der, der in unserer Einfahrt fröhlich vor sich hin wuchs und meinen Dad jeden Morgen zur Weißglut brachte, wenn er versuchte, um ihn herum zu fahren um aus der Einfahrt zu kommen.
Ich jedoch fand das gar nicht so verkehrt, die Natur einfach mal wieder machen zu lassen.
Meine Mutter war, wie ihr euch sicher vorstellen könnt, wenig begeistert davon. Sie war mindesten einmal die Woche damit beschäftigt, irgendeins der Tiere, welche sich immer näher an die Menschen heran trauten, aus unserem Vorgarten zu vertreiben.
Die Sonnenstrahlen der Nachmittagssonne blendeten mich. Etwas irritiert von der Sonne ließ ich meinen Blick über unsere Siedlung schweifen. Ich rieb meine Augen und blinzelte ein paar mal, um die nervtötenden schwarzen Punkte zu Vertreiben, die mein Sichtfeld erheblich einschränkten.
Mit einem leichten Kopfnicken signalisierte ich meiner Nachbarin von schräg gegenüber, dass ich sie wahrgenommen hatte und legte dann den digitalen Schlüssel auf das Display an unserer Haustür. Summend öffnete sie sich.
Hier in unserer Gegend hatte jedes Haus so eine Schlüsselanlage.
Es gab zwar deutlich weniger Verbrechen, als noch vor 40 Jahren, aber sicher war sicher.
Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, strömte mir schon der Geruch von Fish and Chips in die Nase.
„Bin wieder da!", rief ich in die Küche, zog meine Jacke aus und schmiss sie über den Kleiderhaken. Die Schuhe pfefferte ich in die Ecke und schlitterte dann in die Küche.
„Wie war's in der Schule Peetie?"
Meine Mutter hob den Kopf, während sie die Chips aus dem Ofen holte.
Bevor ihr jetzt lacht, das ist natürlich nicht mein richtiger Name. Ich heiße eigentlich Peter. Peter August, wenn ihr es ganz genau wissen wollt.
Da ich aber als kleines Kind meinen Namen nie richtig sagen konnte und anstatt Peter immer Pi-ie gesagt hatte, übernahm meine Mutter das einfach als Peetie. Seitdem nannte sie mich so.
„Wunderbar, wie immer", nuschelte ich.
„Was gibts denn zu Essen?"
Nicht, dass ich es schon beim reingekommen gerochen hätte, aber mit meiner Mutter über ihr Essen zu sprechen, lenkte sie immer sehr gut von allem Anderen ab.
„Fish and Chips!", strahlte sie mich an.
„Hast du Hunger?" hakte sie nach, als sie keine Reaktion bekam.
„Ja, doch schon, ich bin nur schon echt erledigt. Ich glaube ich lege mich etwas hin."
„Mach das Peetie". Sie strich mir einmal über den Kopf, als ich an ihr vorbei in mein Zimmer ging.
„Ich lass dir dann was übrig", rief sie mir nach.
Schnell schob ich die Tür mit meinem Fuß hinter mir zu und vertrieb Bo, unsere Katze von meinem Bett.
Ich ließ mich rücklings auf die Matratze fallen und schloss die Augen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 28, 2021 ⏰

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