Die Kante des Päckchens drückte mir in die Hüfte, als ich mit schwitzigen Fingern die Klingel drückte. Hastig wischte ich meinen Fingerabdruck vom frisch polierten goldenen Knopf.
Die Sprechanlage knackste leise. »Guten Tag«, ertönte eine piepsige Stimme, »hier Emilia von und zu Allstedt. Ihr Anliegen bitte?«
Am liebsten wäre ich direkt wieder umgekehrt. »Ahm, hier ist die neue Nachbarin. Wir haben ein Päckchen angeno...«
»Endlich!«, unterbrach mich die Stimme mit einem Quietschen. »Komm rein. Einfach dem hellen Schotterweg zum Eingang folgen.«
Das gewaltigen Metalltor neben mir bewegte sich knirschend über die Steinchen und offenbarte den Blick auf ein majestätisches Anwesen. Es gab Buchsbäumchen, die aussahen wie mit der Nagelschere getrimmt. Es roch nach frisch gemähtem Rasen. Staunend näherte ich mich der verzierten Fassade mit Rundbogenfenstern, so hoch wie unsere Tür. Die Löwenstatue neben dem Eingang starrte mich mit aufgerissenem Maul an. Ich fuhr mit dem Finger über die kühle Mähne und schrak plötzlich auf.
Es knarzte laut. Mein Herz pochte viel zu schnell, als ich die Gestalt erblickte, die mir die Tür öffnete. Heiliger Strohsack, trug sie etwa ein Etuikleid? Ihre blonden Haare waren aufwendig hochgesteckt, der dunkelrote Lippenstift saß perfekt. Ich geriet beinahe in Schnappatmung. Meine ausgeleierte Nike-Jogginghose wurde mir plötzlich peinlich bewusst.
»Du musst Regina sein, richtig?«, begrüßte sie mich mit einem musternden Blick. Ich nahm es ihr nicht übel, sondern nickte nur. Vermutlich starrte ich sie genauso ungläubig an. Ich hatte noch nie einen so perfekt sitzenden Lidstrich gesehen. Wie mit dem Lineal abgemessen.
»Entschuldige, dass du das Päckchen annehmen musstest«, sagte sie mitleidig. »Frankie hat leider Urlaub.«
»Wer ist Frankie?«, hätte ich fast gefragt, verkniff es mir aber sofort. Verdammt, sie hatten sogar einen Butler.
»Hmhm...«, murmelte ich und streckte ihr das Päckchen hin. »Kein Thema. Du siehst ... schick aus. Geht's zu einer Gala?«, fragte ich mit Blick auf ihre Ohrringe, mit denen wir vermutlich zwei Monate hätten die Miete zahlen können.
»Nein, wieso?«, erwiderte sie scheinbar verwirrt.
Ich presste die Lippen zusammen. »Ach, egal«, nuschelte ich und betrachtete meine dreckigen Chucks. Miss Ich-laufe-am-Dienstagnachmittag-gern-in-Abendrobe-herum hatte offenbar eine andere Auffassung von Alltagskleidung als ich.
»Ich muss jetzt weitermachen.« Sie setzte wieder ihr Lächeln auf, das sich erst mal durch die drei Schichten Makeup bahnen musste. »Ich bin gerade am Vloggen. Folgst du mir auf Instagram?« Auf mein Kopfschütteln hin gab sie ein Seufzen von sich und reichte mir ein Visitenkärtchen. »Bald schaffe ich die eine Million Follower. Also vergiss nicht, mich zu abonnieren!«
»Sicher«, erwiderte ich matt.
Sie lächelte zufrieden, stellte das Päckchen auf der lackierten Kommode hinter sich ab und reichte mir ein durchsichtiges Tütchen mit Keksen heraus. »Als Willkommensgeschenk und Dankeschön: Zitronenplätzchen, frisch von mir gebacken«, sagte sie. Dann knallte sie mir freudig die Tür vor der Nase zu.
Nachbarn, dachte ich mit einem Kopfschütteln. Ich steckte mir einen Keks in den Mund und ließ mir das buttrige Aroma auf der Zunge zergehen. Eins musste ich Emilia von und zu Allstedt lassen: Backen konnte sie wirklich fantastisch.
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Die Allstedtvilla
Short StoryNachdem Regina mit ihrem Vater umgezogen ist, muss sie erst noch mit ihrer Nachbarschaft warm werden. Als sie eines Nachmittags auf die junge Emilia von und zu Allstedt aus der Villa nebenan trifft, kann sie ihren Augen kaum glauben.