»Stehen bleiben! Keine Bewegung!« Mit gezückten Waffen rannte die Polizei auf die Bühne.
Es war der Tag vor der Premiere und die Jugendtheatergruppe probte in einer letzten intensiven Probe an den letzten Feinheiten ihres Krimistückes.
Natürlich blieben die Verbrecher nicht stehen, sondern verschwanden schnell hinter der nächsten Ecke. So spielte sich auf der Bühne mit dem Detektivteam, gespielt von Jule, Daniel und Phil, und der Polizei noch eine wilde Verfolgungsjagd ab. Jolina stand hinter der Bühne und beobachtete das Ganze. Die Verbrecher flüchteten aufs Hausdach von der Familie von Jules Figur. Finja, die die Schwester von Jule spielte, kam zufällig vorbei und nahm genau im richtigen Moment die Leiter weg. Die Verbrecher waren auf dem Dach gefangen.
Eigentlich hatte Jolina die Schwester spielen sollen, doch sie hatte sich vor etwas mehr als zwei Monaten ein Bein gebrochen und war dadurch eine längere Zeit ausgefallen. Zum Glück konnte Finja, ihre beste Freundin, einspringen. Jolina war jetzt pünktlich zur Generalprobe wieder fit, sodass sie als Unterstützung hinter der Bühne mit dabei sein konnte.
Die Polizei kam und Finja stellte die Leiter wieder hin, damit diese aufs Dach kommen konnte, um die Verbrecher festzunehmen. Das Theaterstück war zu Ende.
»Mittagspause!«, rief der Regisseur, der gleichzeitig auch Jolinas Vater war, »in einer Stunde machen wir einen kompletten Durchlauf mit allem Drum und Dran, seht bitte zu, dass bis dahin eure ganzen Requisiten und Kostüme da und bereit sind. Wenn noch etwas ist, sprecht mich oder Jolina gerne an. Guten Appetit!«Im Foyer des Vorstadttheaters gab es Hot Dogs für alle. Die jungen Schauspieler verließen die Bühne. Jolina blieb noch, um das Bühnenbild wieder für die erste Szene aufzustellen. Finja kam dazu, um ihr zu helfen.
»Oh Jolina, ich bin so nervös wegen morgen«, klagte sie, »was, wenn ich alles nicht hinbekomme? Was, wenn ich mittendrin meinen Text vergesse? Warum kannst du nicht einfach wieder spielen?«
»Ich war bei den Proben ja gar nicht dabei. Du schon, du hast das mit einstudiert, du bist ein fester Teil der Gruppe«, sagte Jolina, »aber du schaffst das sicher. Ich wette, keiner von den anderen hat so viel geübt, wie du.«
»Hm… ja«, machte Finja, »aber die anderen sind alle schon viel länger dabei und ich erst das erste Mal.«
»Na und, du machst das trotzdem nicht schlechter als die anderen. Das wird morgen bestimmt richtig gut. Wir können deinen Text ja vorher nochmal durchgehen, wenn du möchtest.«
»Das ist nett, danke.«
»Kein Problem, ich helfe gerne. Im Moment bin ich ja auch so Mutter für alles.«
»Stimmt«, lächelte Finja, »Aber weißt du, wen ich richtig beeindruckend finde? Jule. Sie kann das einfach richtig gut. Auf der Bühne ist sie einfach wie ein kleines leuchtendes Licht. Ihre Rolle ist immer so authentisch, aber auch sehr realistisch und lebensnah rübergebracht. Ihr Spiel zieht einen einfach in den Bann. Aber auch neben der Bühne: Sie steht da, lächelt immer wieder und ist zwar eher unscheinbar, aber wenn man sie näher kennenlernt, leuchtet sie dennoch für den, der es zu schätzen weiß.«
»Stehst du auf sie?«
Finja war bisexuell. Damit ging sie zwar theoretisch selbstbewusst mit um, hatte es aber noch keinem (außer Jolina selbst) erzählt, weil sie sich sicher war, dass ihre Eltern eher weniger gut darauf reagieren würden.
»Wozu der Stress mit Outing und so, wenn ich sowieso keine Freundin habe und eventuell nie eine haben werde?«, hatte sie Jolina einmal zu diesem Thema gesagt. Also blieb es vorerst geheim.
Finja hielt inne und wurde rot.
Also ja, schloss Jolina.
»Ja, okay«, gab Finja nach einer kleinen Pause schließlich zu, »irgendwie ziemlich. Aber bitte erzähle bloß niemandem davon.«
»Klar doch. Fällt in die Kategorie freundschaftliche Schweigepflicht«, versprach Jolina.
»Sie wird wohl hetero sein, oder?«, überlegte Finja traurig.
»Ich weiß es nicht«, antwortet Jolina, »aber ist recht wahrscheinlich.«
Nachdem die beiden die Kulissen fertig zurückgebaut hatten, begleitete Jolina Finja noch mit ins Foyer, um dann noch einmal nach ihrem Vater zu gucken, ob es noch irgendetwas zu erledigen gab. Sie half bei solchen organisatorischen Dingen immer gerne mit und war auch eigentlich bei Aufführungen lieber hinter der Bühne und hielt dort im Verborgenen die Fäden, damit alles am Laufen blieb.
Meistens übernahm sie trotzdem noch eine kleine Rolle. Diesmal kam ihr bloß der Beinbruch dazwischen. Gut, dass Finja einspringen konnte. Sonst hätte die womöglich auch nie Jule kennengelernt. Was womöglich sehr schade gewesen wäre.
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Wenn der Mut ein kleines Stückchen größer ist als die Angst
Teen FictionMorgen ist die Premiere des neuen Theaterstücks. Jolina hilft nur im Hintergrund mit, während ihre Freundinnen Jule und Finja auf der Bühne stehen. Als wäre die anstehende Premiere nicht schon Aufregung genug, kommt noch das ein oder andere kleinere...