Die Entscheidung - Liam

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Diesen Abend werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Ich hatte da alle möglichen Gefühle geschnürt, aber vor allem Trauer.

Nach einem langen Tag kam ich nach Hause. Ich traf ein Mädchen, ein sehr schräges. Sie meinte, sie wollte mich treffen, weil sie neu in der Schule war und ich am freundlichsten rüberkam. Ich wette, das war nur eine Ausrede, um mich privat zu sehen. Das gesamte Treffen über tat ich nur so, als ob sie lustig wäre, um sie nicht zu verletzten, allerdings wollte ich definitiv nie wieder was mit ihr zutun haben. Sie hat viel zu viel geredet. Außerdem war mein Herz schon an jemand anderes vergeben.

Ich kam erst am Abend zuhause an, denn mein Arzt hatte mich noch für weitere ewig dauernde Untersuchungen auf irgend so eine Krankheit, dabehalten. Mir ging es bestens. Zumindest vor diesem Abend.

Ich war überrascht, als ich das Auto der Williams' vor unserer Einfahrt sah. Den gesamten Weg nach oben hoffte ich, dass Faith auch da war. Als ich sie dann im Wohnzimmer sah, spürte ich große Erleichterung in mir. Sie wurde von Tag zu Tag schöner, jedes Mal, wenn ich sie sah, verliebte ich mich immer wieder aufs neue in sie.

Ich gab ihr ein Zeichen, dass sie mitkommen sollte, vergaß aber komplett, dass auch Faith's Eltern, vor allem ihr Vater, auch im Raum waren. Sie kam mit. Auf dem Weg zum Treppenhaus hörte ich jemanden hinter mich auf dem Boden fallen. Schlagartig drehte ich mich um und fand Faith auf dem Boden liegen. Auch wenn ihre Haare darüber lagen, hatte ich ihre Kopfwunde nicht übersehen. Ich schaute mich um und sah meine Brüder und Noah aus einem der Zimmer rauskamen. Dann fiel mir die Schnur auf. Noah stand nur da rum und schaute seine Schwester zu, wie sie versuchte aufzustehen. Meine Brüder hatten ihr beide die Hand gereicht, um ihr auf zu helfen. Damit wurde klar, dass Noah hinter allem gesteckt hatte. Dieser verlogene kleine Mistkerl, ich hätte ihn lahm prügeln können. Unsere Eltern kamen panisch in den Flur. Ben erzählte ihnen, was passiert war. Meine Mutter holte ein Kühlakku und gab es ihr. Faith meinte, es würde nicht weh tun, doch glauben konnte ich ihr das nicht, so harmlos sah die Wunde nicht aus. Nach einiger Zeit schien sie sich mehr oder weniger erholt zu haben. Alle anderen hatten sich auch wieder beruhigt: die Eltern gingen alle zurück ins Wohnzimmer und unsere Brüder gingen spielen. Sie lag im Flur an die Wand gelehnt, neben der Stelle wo sie gefallen war. Ich war bei ihr geblieben. Sobald alle wieder weg waren fragte ich sie erneut, ob sie mit nach oben wollte. Sie nickte, stand auf und gemeinsam liefen wir die Treppen hoch. Ich schaute vorsichtshalber öfter zu ihr nach hinten. Der kleine Schock hatte eine Gedanken noch nicht vollständig verlassen. Oben angekommen fiel mir das neue Bild ein, was ich neulich gemalt hatte. Sie liebte meine Malereien, deshalb zeigte ich sie ihr meistens, wenn ich neue gemalt hatte. Sie setzte sich in meine Leseecke auf dem Sitzkissen. Jedes Mal, wenn sie darauf saß, sagte sie, wie gemütlich sie diesen Platz fand. Normalerweise ging es mir auf die Nerven, wenn Menschen ständig einen Satz wiederholten, aber bei ihr war es etwas ganz anderes gewesen. Sie war nicht wie alle anderen Menschen, zumindest nicht in meinen Augen.

Ich verließ den Vorraum meines Zimmers und holte das Bild. Während ich meine Sachen durchkämmte, hörte ich Faith's Stimme leise meinen Namen sagen. In dem Moment fand ich das Bild. Schnell kehrte ich zurück in den Vorraum. Faith versuchte zu mir zu kommen, doch brach stattdessen zusammen. Ich warf sofort alles aus der Hand und fing sie auf. Alles hatte sich so angefühlt, als würde es in Zeitlupe passieren. Ich setzte mich mit ihr auf dem Boden und versuchte ihr irgendwie zu helfen. Dabei konnte ich klar sehen, wie jegliche Kraft aus ihr verschwunden war. Sie zitterte und atmete kaum. Verzweifelt schrie ich nach Hilfe, während sie in meinen Armen einen letzten Atemzug von sich gab.

Das Zittern hatte aufgehört. Verzweifelt fing ich an zu weinen, denn niemand schien meine Hilfeschrei zu hören. Ich sagte ihr immer wieder, sie sollte da bleiben und probierte sie zu beatmen, doch er schien nichts zu nützen. Meine Tränen ließen ihr Gesicht nass werden. Ich küsste ihre Stirn und strich mit der Hand über ihr Haar mit der Hoffnung, dass sie wenigstens wieder atmen würde. Ich schrie noch einmal laut. Die Trauer schmerzte so sehr, ich konnte es nicht unterdrücken. Ich drückte ihren regungslosen Körper fest an mich. Der Gedanke daran, dass sie in meinen Armen starb war unerträglich. Auf einmal stürmten unsere Eltern die Zimmertür und meine Mutter nahm Faith's Körper aus meinen Armen und legte sie auf dem Boden. Ich zog mich zurück, während mein Vater seine Ausstattung aus seinem alten Rettungskoffer aus seiner kurzen Zeit als Rettungssanitäter, zusammenbaute. Faith's Vater hatte nicht lange gezögert und einen Krankenwagen gerufen. Ihr Herz hatte noch schwach geschlagen, stellte meine Mutter fest. Mein Gesicht wurde von weiteren Tränen überströmt. Kurze Zeit später kam der Rettungsdienst mit einem Krankenwagen. Mein Vater teilte den Sanitätern Faith's Zustand mit. Mit einer Trage wurde ihr Körper zum Wagen getragen. Die Sanitäter sagten, es konnte noch jemand mit ins Krankenhaus fahren. Die Eltern entschieden kurzfristig, dass ihre Mutter mit sollte. Das Gefühl in mir, dass mir sagte, ich müsste auch mit, zwang mich immer mehr das auch tatsächlich zu tun. Während ich von meinem Zimmer aus beobachtete, wie Faith, ihre Mutter und die Sanitäter einer nach dem anderen in den Wagen stiegen, übernahm dieses Gefühl meinen Verstand. Ich zog mir eine Trainingjacke an und rannte runter. Faith's Vater fuhr mit ihrem Bruder hinterher direkt nach Hause. Meine Eltern und Brüder sahen zu, wie der auffällige Wagen losfuhr. Ich rannte an ihnen vorbei, dem Wagen hinterher. Sie riefen mir hinterher, zurückzukommen, doch ich dachte nicht einmal daran. Das Krankenhaus war nicht weit, also gab ich alles, um sie auf keinen Fall aus den Augen zu verlieren. Ich rannte so schnell, wie meine Beine rennen konnten. Der Weg hatte sich zeitlos angefühlt. Bis zum Krankenhaus hatte ich meine Kräfte zur bestmöglichen Leistung gezwungen und ließ nicht einmal als ich den Wagen fast eingeholt hatte, locker. Ich ging zu Faith's Mutter, die grade aus den Wagen stieg und der Trage, auf der ihre Tochter lag, folgte. Am Eingang wurde Faith von mehreren Ärzten und Helfern empfangen. Dank des ganzen Tumultes bemerkte mich niemand, nicht einmal die Mutter. Ich folgte der Trage zu den OP-Sälen, wo alle außer den Ärzten der Zutritt verboten wurde. Den gesamten Weg über hatten meine Tränen aufgehört zu fließen, doch in dem Moment, als ich von einer der Krankenschwestern aufgehalten wurde und nur noch die Trage weiterrollen sah, regnete der Schmerz von vorhin erneut auf mich ein. Ich sagte kein Wort, Tränen überströmten mein Gesicht. Ich kämpfte damit, den Schmerz zu verdrängen. In diesen Momenten wäre es mir lieber gewesen, von einer Klinge aufgespießt zu werden. Ich drehte mich um und bemerkte ihre Mutter, die regungslos dastand und auf die geschlossenen Türen starrte, durch die eben Faith getragen wurde. Eine Krankenschwester sprach sie an und weckte sie aus ihrer Trance. Sie sagte ihr, sie sollte sich setzen und bat ihr ein Glas Wasser an. Ich rührte mich dann nicht mehr, schaute bloß nach oben und schloss die Augen. Meine Tränen glitten über meine Wangen und meinem Hals. Die Momente, als Faith zusammenbrach, als ich sie auffing und als sie aufgehört hatte zu atmen; die spielten sich schlagartig in meinem Kopf ab. Auf einmal hörte ich die Stimme ihrer Mutter neben mir meinen Namen sagen:

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 20, 2021 ⏰

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