Kapitel 8: Über ihre wimmernden Glieder

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FREITAG, 5. FEBRUAR
UHRZEIT: 22:47

Elijah Blackford war noch immer nicht zu seinem Zimmer in der Gaststätte im Dorf, unten am Berg zurückgekehrt, in der er der einzige Gast war. Sein Zimmer wohl auch eher flüchtig und verdutzt hergerichtet worden.

In fünf Tagen hatte er bisher sechs Schüler und Schülerin befragt, eine enge, bedachte Auswahl. Nun, abends, fast schon nachts, lehnte er an dem Tisch hinter sich, die Hand an seinem angespannten Kiefer und fuhr ihn nachdenklich nach. Er schloss seine Augen und ließ seinen Kopf zurückfallen.

Ausgerechnet die Worte einer ganz bestimmten Schülerin geisterten in seinem Kopf herum. Wirr. Zusammenhanglos. Sie spielte mit dem Sinn. Wusste doch eigentlich rein gar nichts.

„Elena denkt, wir haben sie vergessen."
Im Limbus.

Der Limbus von St. Alin.

Er wollte lachen. Aber sein Rachen war zu rau und seine Gedanken zu dunkel.

Zur gleichen Uhrzeit schlich sich eine ganz besondere Schülerin auf den abgesperrten Dachboden. Eine Stehlampe wurde angeknipst und erhellte die Sicht auf ihr schwarzes Samtkleid, das weiße Rollkragenshirt darunter, Doc Martens und eine schwarze, durchsichtige Strumpfhose.

Und was ein staubiger Abstellraum sein sollte, offenbarte eine dunkelbraune Ledercoach, einen Glastisch, Aschenbecher und hinten, in der Ecke, ja, fast schon verbannt, zwei Kisten Bier. Nicht genug für stumpfe Internatskinder, aber das, was hinhalten musste. Unter dem Glastisch lag eine angebrochene Packung Klopfer.

Vic linste im Halbdunkeln die Treppe zum Dachboden hinunter und machte zu Silas eine Kopfbewegung, die ihm bedeuten sollte, doch noch mit hoch zu kommen und nicht nur die Kisten anzunehmen.

Wenn er sonst seine schweren Schritte nicht zu verstecken wusste, gab er diesmal wirklich Acht. Die schmalen Stufen knarzten trotzdem.

Schließlich ließ er sich auf die Ledercoach fallen. Vic saß gegenüber von ihm auf einem tiefen Sessel, die Beine mit auf der Sitzfläche angezogen und gab Silas zwei Klopfer. Für sich selbst hatte sie einen. Sie klopften die Fläschchen zwei Mal auf den Tisch und kippten sie dann den Rachen hinunter. Bei Silas brannte nichts, aber Vics Hals wurde wohlig warm.

Sie lehnte sich zurück, den Kopf angeschmiegt in die Lehne des Sessels und sah zu, wie Silas den Zweiten aufmachte - der Größenunterschied zwischen seinen Händen und der winzigen Flasche wirklich lustig - und ihn schließlich exte. Sein Adamsapfel markant, als er schluckte.

Vic sah ihn an und sie fragte sich, ob es einfach sein würde, ihn zu lieben. Ihre Glieder waren müde und fühlten sich langgezogen an, aber gleich würde sie bloß noch trinken und rauchen. Also erlaubte sie sich den Gedanken. Morgen früh würde sie sich schon gar nicht mehr daran erinnern können, dass sie sich das gefragt hatte.

Und ja, es wäre sicherlich einfach, Silas zu lieben. Aber St. Alin machte so Sachen nicht einfach, es war einfach dieser Ort, diese Wälder, dieses Nirgendwo. Und sie mochte seine Hände, seinen starken Kiefer, seine junge Haut, das Kalte, das Warme in ihm. Aber es musste so bleiben.

Und würde Vic etwas mit ihm anfangen wollen, würde es nicht so bleiben. Würde sich schon wieder irgendetwas unter ihren Händen ändern, verlaufen wie kaltes Wasser in Lehm und sie würde sich hassen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 05, 2021 ⏰

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