Kapitel 1

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Es sind meine Hände. Keine Ahnung, was das auf einmal soll aber sie brennen wie Feuer. Gestern Abend hat es kaum spürbar angefangen, heute ist es schlimmer geworden.
Und seit drei Stunden kann ich nicht mehr schlafen, weil es sich anfühlt als würden sie langsam von außen verbrennen.
Zuerst dachte ich, ich hätte Fieber, doch das war es nicht. Meine Handrücken sind nur extrem rot. Und warm.

Ich habe sie schon mit kaltem Wasser ausgewaschen, aber das hat alles nur schlimmer gemacht, denn jetzt jucken sie auch noch, doch anstatt mich zusammenzureißen und zu beherrschen, sitze ich in meinem Bett und kratze wie eine Verrückte, was die Haut zusätzlich reizt und sie aufplatzen lässt.
Na toll. Jetzt bluten sie auch noch.
Was soll ich tun? In zwei Stunden muss ich zur Schule, meine Hände brennen höllisch und anscheinend lässt sich nichts dagegen tun. Zu blöd, dass man Klausuren nicht mit dem Mund schreiben kann, denn das wäre jetzt wirklich hilfreich.

Heute wird kein guter Tag, am liebsten möchte ich hier liegenbleiben und wieder einschlafen, um dem Schmerz zu entkommen. 
Draußen ist es stockdunkel. Nur der Mond scheint hell in mein Zimmer und erleuchtet es fast magisch. Meine Eltern schlafen noch, genau wie jeder andere normale Mensch auch. Und um sie nicht zu wecken habe ich mein Nachtlicht ausgeschalten und sitze jetzt mit juckenden und brennenden Händen im Schein des Mondes und versuche keinen Lärm zu machen.

Siebzehn Jahre. Siebzehn verschissene Jahre und nie ist etwas passiert. Nie gab es auch nur irgendeinen Anlass mich komisch zu finden, nur weil ich adoptiert bin. Keinen Grund mich auszuschließen oder mich auch nur krumm anzusehen. Sie beachten mich nämlich gar nicht.

Doch jetzt ist es soweit.
Ich bin die, mit einer allergischen Reaktion über Nacht nur weil ich ein Lebensmittel nicht vertrage oder gegen irgendwas in meinem Zimmer allergisch bin. Verzweifelt versuche ich nachzudenken, was es sein kann. Woran liegt das? Das ist doch nicht normal!
Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, denn es hört einfach nicht auf. Der Schmerz breitet sich in meinen Adern aus und schießt durch den ganzen Körper. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber es fühlt sich wirklich so an.

Qualvoll verziehe ich das Gesicht und rolle mich auf meinem Bett zu einer Kugel zusammen.
Nicht weinen. Warum sollte man wegen einer brennenden Haut weinen? Das wäre doch lächerlich. Alle würden aufwachen und würde die Situation nicht besser machen. Es ist sinnlos.

Ich beiße mir auf die Zunge und ersticke ein Schluchzen.
Der Wecker zeigt 05:46 Uhr. Aber was soll's? Der Schmerz wird wohl so schnell nicht vergehen und ob ich hier oder in der Schule leide spielt schließlich keine Rolle.
Außer, dass meine Eltern es mitbekommen, wenn ich hier länger wie ein Häufchen Elend mit blutenden und brennenden Händen kauere.

Ächzend hieve ich mich aus dem Bett und taumele ins Badezimmer.
Ich versuche es noch einmal mit kaltem Wasser - es wäscht zumindest das Blut weg, doch nicht diese Qualen, denn im Moment fühlt es sich so an, als würde der Schmerz irgendwo tief unter meiner Haut entstehen und die Symptome nach außen tragen, wo eigentlich Flammen entstehen sollen, die das ganze Haus anzünden könnten. Wieso verbrennen meine Hände bei diesen wahnsinnigen Temperaturen nicht?
Vielleicht ist das ja nur ein Alptraum. Vielleicht ist es jeden Moment vorbei und alles ist wieder ganz normal.
Langsam ziehe ich mich um, so gut es eben möglich ist. Die Haut an meinen Fingern reißt schon wieder auf und es tritt neues Blut hinaus.

Ich stecke einen Finger in den Mund, um abzuschmecken ob es irgendwie verändert ist, doch die Flüssigkeit scheint normal zu sein.
Es muss aber am Blut liegen. Wahrscheinlich habe ich eine Blutvergiftung und eine allergische Reaktion. Das würde einiges erklären. Aber bei einer Vergiftung würde doch nichts so brennen oder?
Langsam breitet sich Verzweiflung in mir aus. Diese Ungewissheit um die Ursache macht mich noch wahnsinnig.
Dumm wie ich bin, sehe ich eine Handcreme neben meiner Zahnbürste stehen und greife zu, um die aufgerissene Haut damit einzureiben. Zuerst kühlt sie schön und lindert den Brand für einige, wohltuende Sekunden, in denen ich erleichtert aufatmen kann. Es tut so gut.
Ich verschmiere alles gleichmäßig, sodass ein Gemisch aus Weiß und Rot entsteht. Doch dann empfinde ich das gleiche Brennen wie schon davor - nur fünf Mal stärker. Plötzlich entstehen kleine Blitze zwischen der Creme und Hautschicht. Tausend kleine Messer stechen aus meinem Handrücken raus und durchbohren meine Haut qualvoll.
Schmerzverzerrt krampfe ich mein Gesicht zusammen und versuche die Creme abzuwaschen, während meine Finger anzuschwellen drohen.
Scheiße, was passiert hier?
Auf meinem Körper breitet sich blitzschnell eine Gänsehaut aus, Schweiß bildet sich auf meiner Stirn und lässt mich noch panischer werden.
Das ist doch verrückt!
Es gelingt mir nach einer Zeit zwar einigermaßen gut, alles abzuwaschen, doch das Feuer bleibt. Zusätzlich dazu haben sich jetzt aber auch noch lauter rote Flecken auf meinen Händen und Armen ausgebreitet und machen meinen Anblick noch elender, als er eh schon ist. Mit müden Augen und dunklen Augenringen stehe ich vor dem Spiegel, erschöpft von dem Schmerz, der mich seit Stunden wachhält und verzweifelt, weil ich eine ganz schlimme Krankheit dahinter vermute, die wahrscheinlich noch keiner kennt.
Bitte, lass es einen Albtraum sein!
Jetzt bin ich nicht nur das unscheinbare Mädchen, sondern auch noch die mit den Windpocken. Na toll.
Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, wird mir mal wieder ganz schwarz vor Augen.
Nein. Was soll das? Aufhören!, schreie ich mich selbst an. Dafür ist jetzt echt keine Zeit!
Wenn das eine allergische Reaktion ist, dann ist das die heftigste, die ich jemals hatte.
Wieso muss mein Tag schon so schlecht starten? Im Ernst, kann es eigentlich noch schlimmer werden? Mit brennenden  und nicht funktionierenden Händen stehe ich da und kann mich kaum rühren.
Während meine Hände von alleine trocknen, weil ich mich nicht traue sie abzuwischen, setzt sich das Bild vor mir langsam wieder zusammen.
Es war keiner von diesen gewöhnlichen Schwindelanfällen, die ich in letzter Zeit ziemlich oft hatte, sondern ein seltsam harmloser. Normalerweise schalten sich alle Sinne aus und ich wache irgendwo am Boden wieder auf, aber diesmal konnte ich es irgendwie abwenden, doch um darüber zu spekulieren bleibt jetzt wirklich keine Zeit mehr. Die ganze Aktion hat unnötig lange gedauert und wenn ich nicht bald das Haus verlasse, werden meine Eltern mich in diesem Zustand sehen und ich werde meine Klausur vergessen können.
Bevor ich gehe, binde ich mir allerdings noch schnell einen ungeschickten Verband, um sie zu schonen. Nur die linke Hand muss schreiben.

AgradonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt