Schwarz

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Ich fahre über den Damm. Links das Meer, rechts das Land. Doch ich habe keinen Blick dafür. Ich muss mich beeielen. Ich werde immer schneller. Die Landschaft verschwimmt zu einem blauen und einem grünen Streifen. Schneller! Ich muss mich antreiben. Ich muss so schnell fahren wie es geht. Ich muss an meine äußerste Grenze kommen. Meine Beine treten jetzt in schnellerem Takt in die Pedale, noch schneller, noch schneller. Im Kopf denke ich im Takt: Links, Rechts, Links, Rechts, Links,... Ich schaue auf meine Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde. Wieder werde ich schneller, mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Wieder werde ich schneller. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffen werde. Ich muss keuchen, ich beruhige mich. Ich versuche ruhig zu atmen. Ich will anhalten, werde langsamer. Nein. Wenn ich anhalte komme ich nicht mehr Löß. Ich werde wieder schneller, versuche zu meiner ursprünglichen Geschwindigkeit zurück zu kommen. Eine Zeit lang fahre ich so weiter. Dann kommt die Bodenwelle. Ich sehe sie nicht, ich bin zu schnell. Ich rase darauf zu, ohne es zu merken. Ich merke nur eins, gleich muss ich abbiegen. Die Bodenwelle ist groß, sie bringt mich aus dem Gleichgewicht, ich versuche mich zu halten. Doch ich bin zu schnell. Das Fahrrad gleitet weg. Ich fliege. Ich bin leicht, schwerelos. Gleich hebe ich ab. Dann der Aufprall. Ich lande hart auf dem Asphalt. Alles tut mir weh. Ich schreie auf. Dann ist alles schwarz. Schwarz. Schwarz. Schwarz. Schwärzer als die dunkelste Nacht. Ich fühle keinen Schmerz mehr. Ich treibe durch Watte. Sie ist weich und warm. Ich fühle mich geborgen in ihr. Auch die Dunkelheit ist nicht unangenehm. Sie ist nicht unheimlich, nicht erdrückend. Einfach nur dunkel. Schwarz. Doch es ist gleichzeitig angenehm. Ich muss an nichts mehr denken, kann alles vergessen. Ich will alles vergessen. Ich lasse mich tiefer in die Watte sinken. Die Watte verstopft meine Ohren. Ich muss nichts mehr hören. Ich will nichts mehr hören, ich fürchte mich davor, was ich hören könnte. Doch die Dunkelheit nimmt mir die Furcht, sie lässt mich vergessen. Sie kriecht in meinen Kopf, nimmt allen Raum ein, verdrängt alles. Ein schönes Gefühl. Keine Sorgen mehr, kein Schmerz, keine Anstrengung, keine Verpflichtungen, keine falschen Hoffnungen. Ruhe, Stille, Nichts. Ich atme nur noch, sonst mache ich nichts. Ich sinke immer tiefer, in einem ruhigen Tempo. Ich will nicht mehr atmen, es ist zu anstrengend. Die Watte nimmt es mir ab. Sie verstopft meinen Mund, meine Nase, füllt meine Lungen mit Schwärze statt mit Luft. Ich mag das Gefühl, es fühlt sich satt an. Ich muss nicht mehr denken. Keine Gedanken mehr, nie wieder. Ich versinke vollends in dieser schwarzen Watte, die doch nie ein Ende haben wird. Ich werde mich endlos, bis in alle Ewigkeit, durch sie treiben lassen. Keine Gedanken mehr.

VergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt