Nojiko

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Eine warme Briese und die ersten Sonnenstrahlen, die durch das kleine Fenster ins Zimmer fielen, weckten Nojiko aus einem tiefen Schlaf. Sie blieb noch einen Moment liegen und genoss den Geruch nach frischem Stroh und das Zwitschern der Vögel, die sich draußen ihre Nester bauten. Der Frühling war endlich gekommen und die Natur erwachte zu neuem Leben.

Nojiko streckte sich, ließ die Beine über ihr Strohbett baumeln und griff nach ihren Bärenfellpantoffeln. Sie legte sie sich auch das Hasenfell über die Schultern, denn die Frühlingssonne war noch nicht warm genug. Ihre langen weißen Haare band sie zu einem Knoten im Nacken zusammen und ging langsam die kleine Stiege hinunter, die zu ihrer Kammer auf den Dachboden führte. Ihr langes Nachtgewand raschelte leicht auf den Treppenstufen.
Der Ofen in der Wohnstube brannte noch nicht lange, sie roch noch den Qualm des nassen Holzes, der beim Anzünden am Kaminabzug vorbeigezogen war und sich in der Stube verteilt hatte.

Nojiko lebte am Rande des Kahoku-Waldes, in einer kleinen Holzhütte. Der Dachboden gehörte ihr allein, sie hatte ihn mit Wandteppichen und Malereien gestaltet. Im unteren Bereich der Hütte lebte Percy, Nojikos Vater. Sie lebten allein. Nojiko hatte ihre Mutter nie kennen gelernt, sie war direkt nach ihrer Geburt gestorben. Percy hatte ihr die Mutter ersetzt und war ein wunderbarer Vater. Sie lernte von ihm lesen und schreiben, mit dem Bogen zu jagen und zu reiten. Wenn er im Dorf arbeiten war, hatte die Nachbarin Valentina auf sie aufgepasst. Die Ziehmutter war inzwischen eher eine alte Freundin für Nojiko und wenn Percy im Dorf zutun hatte, ging sie noch oft für einen Tee zu ihr rüber.

Nojiko fand Percy draußen bei den Pferden. Er hatte sein bestes Wams angezogen und seine Füße steckten in Lederstiefeln. Seine schwarzen Haare standen wirr zu allen Seite und reichten ihm bis auf die Schultern. An dem Gürtel, der um seine schlanke Hüfte geschnallt war, baumelte ein Soldatenschwert in einer schmucklosen Schwertscheide. Den Mund mit den schmalen Lippen hatte Percy vor Anstrengung verzogen, denn soeben versuchte er den Sattel auf dem Rücken seines Rappen zu befestigen. Der schwarze Hengst tänzelte aufreget auf der Stelle, er ahnte, dass er gleich geritten werden würde und schien sich darauf zu freuen. „Ruhig mein Freund, es geht sofort los!" Percy tätschelte beruhigend die Flanke des Pferdes und zog mit den anderen Hand ein letztes Mal an dem Riemen des Sattel, um zu überprüfen, ob es festgenug saß. Erst dann entdeckte er Nojiko im Türrahmen der Hütte: „Guten Morgen, Kleine. Möchtest du heute mit nach Oruro?", fragte er. „Ich muss mich mit dem Richter treffen, es geht um den Verkauf der roten Mühle. Ich soll als Leibwache für den Richter mitgehen und den Handel zwischen ihm und dem Müller beaufsichtigen. Der Müller ist in den letzten Jahren wohl zu oft durch seine tätlichen Angriffe aufgefallen und jetzt befürchtet man, dass er bei dem Zwangsverkauf zu Problemen kommen könnte." Nojiko freute sich: „Sehr gerne, ich brauche Stoffe für ein neues Reitkleid. Und wir können auch Pfeffer und Wein besorgen, beides ist gestern ausgegangen, als Valentina zum Essen da war!" Nojiko kicherte bei der Erinnerung an die betrunkene Valentina. Am Ende des Abends musste sie von Nojiko stützend nach Hause gebracht werden. Aber der Abend war auch lustig gewesen. Sie hatten viel gelacht, vor allem über den Nachbarsjungen Niko, der Nojiko schon seit Jahren schöne Augen machte, aber leider weder sie noch andere Mädchen mit seiner tollpatschigen Art und seinem schlaksigen Körper beeindruckte.

„Ich ziehe mich schnell an und wasche mich, kannst du Cherry in der Zeit satteln? Ich beeile mich!" Während Nojiko sprach, hatte sie bereits ihre Bärenfellpantoffel ausgezogen und neben die Treppe gestellt, barfuß rannte sie die Treppe nach oben in ihre Kammer, um ihre Wildlederschuhe, ihren Reisemantel und ihre Tasche zu holen.

Percy lachte leise, er liebte Nojiko über alles. Mit ihren siebzehn Jahren war sie inzwischen eine junge Frau geworden und in seinen Augen wunderschön. Er dachte an den Tag zurück, an dem er sie in seinen Armen aus dem Wald getragen und in der Hütte zwischen Bärenfellen gebettet hatte. Ein Säugling war sie, wenige Tage alt. Valentina erzählte er damals, dass er Nojiko allein am Waldrand gefunden hat, dem Kältetod nahe und fast verhungert. Mit ihrer Hilfe zog er das Mädchen groß und beide behielten das Geheimnis für sich, dass Percy nicht Nojikos Vater ist. Valentina, die damals schon eine Frau von fast dreißig Jahren war, half dem jungen Percy, wo er konnte. Er war zu der Zeit selbst fast noch ein Kind gewesen und seine Eltern erst seit einem Jahr tot. Im Stillen dankte er Valentina für alles, sie hatte für die beiden mehr getan, als er in Worte fassen konnte.

Percy kraulte seinen Hengst noch einmal hinter den Ohren und ging dann zu Cherry, einen Stall weiter. Die kleine Schimmelstute von Nojiko wirrte aufgeregt, als Percy sie an den Züngeln aus dem Stall führte und ihr ebenfalls einen Sattel auflegte. Inzwischen hatte Nojiko sich angezogen und kam aus der Hütte, kleine Haarsträhnen hatten sich beim Überziehen des Kleides aus ihrem Zopf gelöst und hingen ihr im Gesicht. Auf ihrem Rücken trug sie einen kleinen Beutel, der mit Talern, etwas zu Trinken und einem kleinen Brotlaib gefüllt war. Sie schlüpfte in ihre Wildlederschuhe und hängte sich ihren Reisemantel über die Schultern. Nojiko war sehr zierlich für ihr Alter und der Mantel umhüllte ohne Probleme ihren schlanken Körper. Ihre Armreifen, geschnitzt aus Holz und kleinen Tierknochen, klimperten an ihrem dünnen Handgelenk. Ihr Mund mit den vollen Lippen spitze sich vor Konzentration, als sie die Zügel von Cherry ergriff und mit einer anmutigen Bewegung auf den Pferderücken stieg, indem sie sich mit einem Fuß im Steigbügel abstützte. Cherry tänzelte aufgeregt auf der Stelle und Nojiko krauelte ihr kurz über den Hals. „Jetzt machen wir einen kleinen Ausritt.", sagte sie und signalisierte Cherry durch einen sanften Stoß mit ihren Hacken, dass sie loslaufen sollte.

Die ElfentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt