Vielleicht

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„Wenn du nochmal die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du etwas anders machen?"

Ein erstauntes Augenpaar schaute ihn an und als er schon mit keiner Antwort mehr rechnete, holte sie leise Luft.

„Wann?"

Er blickte weiter in ihre Augen, die gebannt eine Reaktion erwarteten.

„Na ja," in ihm breitete sich die Unsicherheit aus, doch er fuhr fort. Jetzt war es schwer, nicht darauf einzugehen. Zu gut kannte er sie, dass sie nicht lockerlassen würde, ehe sie eine Antwort auf seine Frage bekam. So schnell hatte sich seine Position vom Fragenden in die eines Befragten gewandelt, eigentlich wie immer.

Er ließ den Blick über den dunklen Himmel wandern.

„Egal wann, irgendwas oder irgendwann." Vielleicht genügte ihr die Antwort diesmal.

Seufzend schloss sie die Augen, öffnete sie wieder und schaute ebenfalls in die dunkle Weite über ihnen.

„Keine Ahnung, ich denke nicht." Sie schien trotzdem zu überlegen. 

Das entfernte Rauschen des Wassers war zu hören und der kühle Wind, der vom Meer rüber wehte, spielte in ihren Haaren. 

„Vielleicht," begann sie leise und er drehte den Kopf aufmerksam zu ihr, „vielleicht hätte ich in manchen Situationen mutiger gehandelt, aber vielleicht wäre ich dann nicht die Person, die ich jetzt bin. Vielleicht."

„Vielleicht," wiederholte er nur und betrachtete ihr Profil, was sich hell gegen die Dunkelheit abzeichnete.

Sie sah fast genauso aus, wie vor achtzehn Jahren und doch hatte sie sich verändert. Aber das veränderte nichts in ihm. Er schaute wieder in den Himmel, der sich unendlich über ihnen erstreckte und er sich wenigstens hier vorstellte, dass es weit und breit nur sie beide gab.

„Und du?", fragte sie nach einer Weile in die Stille zwischen ihnen hinein. 

Er atmete tief durch, nahm den Seewind wahr, roch die unverkennbare Mischung aus See, wilder Natur und Heimat, die diese mit sich brachte.

„Vielleicht hätte ich ein paar unüberlegte Entscheidungen weniger getroffen," er zuckte mit den Schultern, spürte ihr Lächeln und ihren Blick auf sich, „und ja, vielleicht hätte ich mutiger sein können."

„Vielleicht," wiederholte sie grinsend und er nickte nur.

Das Geräusch der brechenden Wellen, beruhigend und zugleich lebendig, wie die Rufe eines lebhaften Wesens, umhüllte sie beide.

„Mit dir kann ich unglaublich gut schweigen," sie lächelte, den Blick weiter in die Sterne gerichtet. Das spärliche Licht reflektierte sich in kleinen Punkten in ihren dunklen Augen.

„Aber nicht lange," brachte er heraus und ihr helles Auflachen durchbrach die Geräusche um sie herum.

„Sch," lachte sie leise und hielt einen Finger an ihre Lippen, „du kennst mich zu gut. Und ich dich."

Ruhig sah er sie an. 

Vielleicht. Ja, vielleicht zu gut oder nicht gut genug. Auf die Art und Weise, die ihm richtig erschien, aber nicht richtig war. Für sie.

Tausende Gedanken in seinem Kopf, die sie nicht kannte. Und das war wiederum richtig so, für sie beide.

„Vielleicht würden wir hier dann trotzdem liegen und in die Sterne gucken." Ein melancholisches Lächeln umspielte ihre Lippen und ließ sie die Augen für einen Moment schließen.

Er seufzte lautlos. Ihre warme Schulter lag dicht an seine gedrückt.

„Wenn wir etwas geändert hätten?"

Sie nickte nur und schluckte. Wie hypnotisiert verfolgte er die Bewegung ihres Kehlkopfes und schließlich das Öffnen ihrer Augen. Sie drehte den Kopf und sah ihn an.

„Vielleicht," antwortete er nur leise und sie lächelte. 

Etwas Trauriges hatte sich in ihren Blick gelegt und obwohl er es nicht wollte, er fühlte sich schuldig. Er hatte den Eindruck, der Sand unter ihnen zog ihn hinab. Hinab in das einnehmende Gefühl, was ihn von Zeit zu Zeit einholte und er war schon bereit, sich resigniert diesem Sog hinzugeben. Der Schwere, die ihn jedes Mal umfing. 

Etwas Warmes hielt ihn davon ab. Wie erwacht aus einer Trance, fühlte er die Berührung. Eine warme Hand, kalte Fingerspitzen, die vorsichtig seine Hand umschlossen und ihn hielten. Ihn davor zurückhielten, zu fallen.

Sie öffnete die Lippen, um etwas zu sagen, doch kein Ton kam heraus. Sie zögerte. Er klammerte sich an ihre nächsten Worte.

„Ist es nicht egal? Wir sind hier und jetzt. Meinst du nicht, dass das genügt?"

Er atmete langsam aus. Erwiderte ihren fast flehenden Ausdruck in den Augen, bevor er leise antwortete.

„Vielleicht."

Vielleicht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt