☆ Kapitel 1 ☆

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1.Juli 2064

Dunkelheit. Bloße Dunkelheit umgab mich. Zwischen meinen Zehen fühlte ich weiche Teppichflusen und an meinen Beinen schlabberte die weitgeschnittene Pyjama Hose. Während ich den rechteckigen Gegenstand in meiner Hand fester umklammerte, stieß ich leise die Luft aus meinen Lungen. Gedämpfte Schritte mischten sich unter die restlichen Geräusche, wie mein eigener Herzschlag oder den Windzug, der durch das sachte Ein- und Ausatmen entstand.

Mit einem lauten Plumsen endete die Person vor mir, auf dem Boden. Kurzerhand ließ ich mich auch im Schneidersitz nieder. Doch kaum war ich zur Ruhe gekommen, musste ich reflexartig die Augen schließen, als beißendes Licht mich kurzzeitig erblinden ließ. Dem Leuchten entgegen blinzelnd, legte ich auch den Gegenstand aus meiner Hand auf den Teppich und betätigte den Power-knopf. Sofort erhellte ein weiteres Display den dunklen Raum. Ich schenkte meinem 'Fast-Spiegelbild' mir gegenüber ein aufgeregtes Lächeln, bevor ich meinen Blick zunächst auf mein Handy richtete. Darauf war eine sekundengenaue Digitaluhr geöffnet, wie auch auf dem anderen Gerät.
23:55:16, war auf beiden Bildschirmen deutlich zu lesen.
Wieder ging mein Blick zu meiner Schwester. Ihre schwarzen Haare glänzten seidig im elektronischen Licht und ihren warmen Schoko-Augen verlieh es ein feuriges Funkeln.
"Und? Bereit?", grinste ich ihr entgegen.
"Natürlich! Und du?" Ihr Ausdruck wirkte schelmisch.
"Mit Sicherheit."
Dann wand sie ihren Kopf wieder nach unten und ich folgte ihrem Beispiel.
23:55:47
In den nächsten Minuten starrten wir stumm und wie gebannt auf die immer weiter laufende Uhr.

23:59:49
Ohne den Blick von den Zahlen zu lösen, begannen wir zeitgleich von zehn herunter zu zählen, wie es an Silvester üblich war. Unsere Stimmen vermischten sich zu einer, sodass die Zahlen die Stille wie ein leises Scheppern durchdrangen.
"Zehn,
Neun,
Acht,
Sieben,
Sechs,
Fünf,
Vier,
Drei,
Zwei,
Eins,
Null", für wenige Millisekunden verfiel ich in freudigen Jubel.
Jedoch landete in nullkommanichts ein Handrücken klatschend auf meinem Oberschenkel, während mich die strengen Augen meiner Schwester tonlos ermahnten. Sofort war ich wieder still.

"Stimmt ja, Silence-party", entschuldigte ich mich mit einer hauchdünnen Stimme.
"Happy Birthday Schwesterherz."

Das Funkeln in ihren Augen wandelte sich zu einem Leuchten. "Dir auch alles gute zum Geburtstag"

Breit grinsend nahm ich ihre Hand und zog sie so in meinen Arm. "Auf ein neues Jahr in Geborgenheit und Sicherheit."

Glücklich erwiderte sie die Umarmung. "Auf ein neues Jahr in Vertrauen und Liebe. Auf ein neues Jahr mit hoffentlich mehr Hochs als Tiefs." Beim letzten Satz konnte ich ihr Schmunzeln deutlich hören.

Diese Sätze gaben uns schon seit unserer Geburt Kraft. Es war ein Spruch der über die Generationen weitergegeben wurde. Er demonstriert den Zusammenhalt in der Familie, die unendliche Liebe, aber vor allem auch, dass man zusammen lachen und weinen kann, dass man sich streiten kann, aber dem anderen immer bei steht.

"Jetzt sollten wir aber wieder schlafen gehen. Nicht das Mama und Papa noch von unserer nächtlichen Party Wind bekommen", bedachte Kiali sanft.

Ich stimmte durch ein Nicken zu. Mit einem Griff nach meinem Handy, verschwand ich wieder in mein eigenes Zimmer nebenan. Der Vollmond schien durch das Fenster und beleuchtete mein Bett, wie die Ruhestätte eines verstorbenen Werwolfkönigs. Ich schmunzelte bei dem Gedanken und ließ mich dann mit einem glücklichen Seufzer in die Decken und Kissen hineinfallen. Jetzt sind wir schon 12, ich kann es kaum fassen, denke ich und gleite sofort ins Land der Träume.

Blitzschnell schreckte ich aus der liegenden Position hoch und blickte mich nervös in der Dunkelheit um. Nur das Licht des Mondes ermöglichte mir zu erkennen, was geschah; durch die Wände meines Zimmers zogen sich tiefe Risse. Ängstlich sprang ich aus dem Bett. Mit eiligen Schritten rannte ich die wankende Treppe hinunter und stürmte aus der Haustür. Die Straße vor dem Haus fühlte sich kalt an unter meinen nackten Füßen. Unsicher drehte ich mich um, betrachtete unser Haus, dessen Fassade bröckelte. Ich wusste nicht was hier los war oder wie ich es stoppen konnte. Aber mein Gefühl rieht mir mich abzuwenden und zog mich in die Richtung des Waldes. Und ich wäre nicht ich, wenn ich meinem Gefühl nicht vertrauen würde.

Time walkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt