Die Pflastersteine scheinen selbst bei gutem Wetter trist. Durch den Regen sind sie dunkelgraue. Vielleicht weniger dreckig als sonst, dennoch nicht sauber. An diesem Ort werden sie es auch nie sein. Außer, die bräunliche Suppe, die viele als Fluss bezeichnen, tritt über das Ufer. Danach würde man den Touristenasphalt wohl einmal gründlich säubern. Abgesehen von all den anderen Aufräumarbeiten ...
Mit den Spitzen meiner Schuhe tippe ich auf einen der Steine unter mir. Ein Kaugummi klebt hier – uralt und schwarz. Dieser stört mich jedoch ebenso wenig, wie der Dreck. Ich nehme ihn nämlich gar nicht wirklich wahr.
Auch das Stimmengewirr um mich herum erreicht mich, doch es dringt nicht zu mir durch. Ich bin eine kleine bunte Insel inmitten dieses hektischen Treibens in meinem Rücken. Ich auf meiner Parkbank.
Gedankenverloren gleiten meine Finger in die Plastikpackung auf meinem Schoß. Sauer sind sie, die Essigchips, doch ich bekomme einfach nicht genug von ihnen. Die mit Garnelengeschmack liebe ich ebenfalls viel zu sehr, um sie nicht immer wieder zu naschen. Um meinen Gaumen vollends zu verwirren, nehme ich einen tiefen Schluck von dem eiswürfelkalten Vanilla-Latte.
Das Getränk hat die gleiche Farbe, wie die Themse, stelle ich amüsiert fest. Für mich allerdings kein Grund, den Becher anschließend darin zu versenken. Ich werde ihn ordnungsgemäß entsorgen. Schließlich stehen am Queen's Walk genügend Mistkübel bereit.
Ein weiteres Boot mit Schirmen überspannten oder unter Regenponchos schwitzenden Touristengruppen fährt an mir vorüber. Wahrscheinlich kommt es aus Greenwich und bringt die Menschen zurück in die Innenstadt. Wenn das Wetter besser wird, fahre ich vielleicht auch noch in den Osten der Stadt hinaus. Fish'n'Chips essen. Thors Spuren verfolgen. Die Grünflächen genießen.
Vorerst bleibe ich jedoch in der City. Mein Snack ist aufgemampft, der leere Becher neben mir will aufgefüllt werden. Mein Blick gleitet nach links zum Riesenrad am Ufer. So oft bin ich nun schon daran vorbeigegangen, doch ich habe es noch nie geschafft, eine Fahrt damit zu unternehmen. Irgendwann einmal. Da ich aus dieser Richtung gekommen bin, soll mich mein Weg eigentlich weg von der Westminster Abbey und dem Elizabeth Tower führen.
Nachdenklich sehe ich nach rechts. Durch den Regen sind nur minimal weniger Menschen im Jubilee Park & Garden unterwegs. Einmal Tourist, immer Tourist. Gleiches gilt auch für diese Stadt – zumindest für mich. Also rapple ich mich auf. Die schiefen Blicke auf mir genieße ich regelrecht. Ich trage keinen Poncho, ich balanciere keinen Schirm über meinem Kopf. Dafür regnet es nicht stark genug. Der Knirps ruht in meinem Rucksack, doch ich vermeide es, ihn nass werden zu lassen. Schließlich muss ich ihn dann in der Herberge trockenen lassen. Und es wäre nicht der erste Schirm, der mir in einem Hostel abhanden kommt.
In meine Gedanken über günstige Jugendherbergen und bequeme Hotels versunken schlängle ich mich zwischen vielen Menschen hindurch. So sehr ich große Mengen in Shoppingcentren oder auf Konzerten hasse, so egal sind sie mir hier. Ich bewege mich in meinem Tempo, ohne angerempelt zu werden oder jemanden zu stoßen. Sollte man sich doch einmal berühren, hauchen sich beide ein lächelndes „sorry" entgegen. Hier sind wir alle höflich.
Nach ein paar Minuten erreiche ich den innerstädtischen Strand. Ein kleiner Abschnitt, den man bei Sonnenschein zum Herunterkommen nutzen kann. Bevor man jedoch nach unten steigt, tritt man aus dem Blätterdach der Bäume, die die Uferpromenade säumen. Dort versteckt sich auch ein Snackwagen mit den leckersten Minidonuts. Vor Fett triefend, noch warm – eine süße Sünde.
Diese kauend lasse ich den hübschen Teil des Weges hinter mir. Erst vor der Millennium Bridge wird es wieder grün. Lächelnd winke ich Shakespeare's Globe zu, ehe ich mich der Hängebrücke zuwende. Vor mir erhebt sich die Dachkuppel der St. Paul's Chathedral. Bevor ich die Kathedrale allerdings vollständig vor mir sehe, biege ich nach rechts ab. Die nächste U-Bahnstation gehört mir. Cannon Street – Monument – Tower Hill.
Während gefühlt alle Menschen mit mir aus dem Wagen steigen, trennen sich unsere Wege an der Tower-Mauer wieder. Ich steuere nach links. Der abfallenden Straße folge ich auf die dem Eingang der Sehenswürdigkeit gegenüberliegende Seite zu. Dort, am Fuße der Tower Bridge ist ein Durchgang. Er sieht nicht einladend aus, dennoch zieht es mich hinein. Die St. Katharine Docks tun sich vor mir auf. Boote und Yachten haben einen Hafen mitten in der Stadt gefunden.
Ein Inn befindet sich an diesem seltsamen Ort. Das Gebäude scheint alt zu sein. Balken aus Holz stützen die Front. In Form gebrachte Pflanzen zieren den Vorplatz, Blumen die Balkone. Es sieht wie eine ländliche Oase zwischen all den grauen und gläsernen Gebäuden aus.
Ich atme durch. Hier bin ich zu Hause. Hier ist London.