Mein erstes Zimmer war zwar nicht groß, aber das Schönste was ich je hatte. Es hatte einen rötlich, weißen Schimmer und war stehts warm und gemütlich. Tagsüber war das Licht gedämmt und ich liebte es, wenn es zum Essen mal wieder Orangensaft gab. Das mochte sie nämlich sehr. Immerzu hörte ich ihrer Stimme zu und träumte von der noch unbekannten Welt da draußen.
Mit der Zeit rappelte es mich und ich fing an mich zu bewegen und herumzutollen. Manchmal redete sie dann mit mir, das ich es nicht übertreiben solle. Meistens hörte ich dann noch eine andere tiefe Stimme und spürte wie meine Zimmerwände von warmen Händen umschlossen wurden.
Mit der Zeit wurden meine Sinne immer klarer. Jetzt weine sie öfter als ich es vorher mitbekommen hatte. Das machte mich auch traurig, weil ich nicht wusste warum. Vielleicht war ja auch ich der Grund dafür?
Egal was ich tat, es änderte sich nichts und ich bemerkte wie gestresst sie manchmal war. Ständig passierte irgendetwas und man stupste unvorsichtig an mir herum. Manchmal tat mir mein Herz weh, sodass ich mich klein machte und soweit es ging versteckte. Aber wenn das passierte bekamen wir nur noch mehr stress und alle waren ganz aufgeregt. Dann weinte sie meistens wieder und streichelte über mein kleines Zimmerchen. Ich verstand das ganze zwar nicht, aber sie sollte nicht weinen, nicht wegen mir! Aber es wurde einfach nicht besser...
Die Zeit verging, jedoch die Schmerzen nicht. Die wurde immer häufiger und stärker. Eines Tages dann, als es mir eigentlich gut ging wurde mir ganz müde und schummrig. Dann wurde es mit einem mal erdrückend eng und ich wurde zusammengequetscht. Die Wände kamen immer näher und der Druck auf mir immer größer. Ich bekam Angst.
Was sollte das, warum veränderte sich jetzt alles auf einmal und warum war es auf einmal so unglaublich eng? Ich konnte das nicht aushalten! Die da draußen wären wohl verrückt geworden, wenn die das auch durchmachen müssten. Weil das alles so plötzlich kam, hatte ich nicht mehr die Zeit gehabt bequem hinzulegen, sondern lag jetzt total komisch und eingequetscht in meinem Zimmer.
Das ganze zog sich über mehrere Stunden doch ich hatte nicht die Möglichkeit mich ein Stückchen zu bewegen, weil die Wände immer wieder näher kamen. Und dann plötzlich tat mein Herz weh. So doll war es vorher noch nie gewesen und ich hatte wirklich Angst, weil mir offensichtlich niemand helfen wollte. Draußen war sowieso alles viel zu laut und alle möglichen Leute sprachen durcheinander.
Doch dann wurde es auf einmal besser und mir kam ungeheuer grelles Licht entgegen. Alles blendete und kalte Finger hoben mich auf meinem schönen Zimmer heraus. So viel passierte und es war eise kalt. So etwas hatte ich vorher noch nie gespürt. Es war kalt, hell und ich wusste nicht wo ich war. Außerdem war es ungeheuer anstrengend gewesen da so eingequetscht rumzuliegen und jetzt diese schneidende Luft einzuatmen. Da konnte ich ja gar nicht anders als schreien!
Eine tiefe Stimme sagte: „Ihre Tochter wiegt 490 Gramm und ist 35 Zentimeter groß. Ich bete mit Ihnen für sie."
Doch mit einem Mal, war ich ruhig. Ja, ich war müde, aber das war nicht der Grund warum mir jetzt schummrig wurde. Mein Herz tat wieder weh, jetzt aber auf eine ganz andere Art. Ich merkte nur noch wie alle um mich herumwuselten und es wackelte. Mir war kalt, ich hatte mein schönes Zuhause verloren und ich hatte Schmerzen. Nicht schön.
Als ich wieder aufwachte, war mir wieder warm, aber mein altes Zimmer war es immer noch nicht. An mir hingen so komische Sachen und ich hörte von irgendwo so ein komisches piepen. Zum ersten Mal traute ich mich, meine Augen wieder zu öffnen. Es war zwar hell, aber zum Aushalten. Ich erkannte nicht viel, aber ich war noch zu müde um das ernsthaft zu wollen. Doch nun kam Bewegung ins Zimmer. So etwas wie eine Kuppel über mir wurde geöffnet und ich wurde hochgehoben. Und dann lag ich in den wirklich warmen Armen einer gut bekannten Frau. Sie redete mit mir und summte vor sich hin, während ich nun verstand wer sie war. Sofort fühlte ich mich geborgen und sicher. Ich versuchte zu lächeln, schließ aber gleich wieder ein.
Ich hörte noch wie jemand schreite und bemerkte wie irgendetwas mit mir gemacht wurde, aber es war gerade so schön warm und da entschied ich mich, einfach zu schlafen.
Ich hatte keinen Namen und ich galt nicht als Mensch, weil ich zu klein war. Aber meine Eltern sahen das anders. Sie hatten ein Sternenkind bekommen, was es verdient hatte geliebt zu werden und um das man trauern durfte und musste.
Andere sagten dagegen ich sei ein Nichts. Als hätte ich nie existiert, nie einen Atemzug auf dieser Welt gemacht. "Organischen Abfall" nennt man Kinder wie mich, stell dir das mal vor! Ich hatte Leben in mir, eine Zukunft vor mir und besorgte Eltern die sich auf mich freuten und sich den Rest ihres Lebens um mich kümmern wollten. Und ich bin also trotzdem kein Mensch, der es verdient hat einen Namen zu tragen...
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Ein kleiner Stern
Short StoryEin gemütliches Zimmer das jeder von uns eines Tages verlassen musste. Manche taten es zur richtigen Zeit, andere waren noch viel zu jung und hatten nocht nicht die nötige Kraft, in dieser Welt überleben zu können. Eine Kurzgeschichte aus der Sicht...