Kind der Nacht

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Zwölf Jahre nach der Geburt vom Kind der Nacht tanzten Flammen des Todes zum Trauerlied des heulenden Win­des. Ein Schrei zerriss die Luft, trennte Ver­gan­gen­heit und Zukunft.

Die Eltern befahlen ihrer ältesten Tochter zu fliehen, in den Schatten des Waldes Schutz zu suchen. Sie versprachen ihr, sie würden nach­kommen, aber erst müssten sie ihr jüngstes Kind vor dem Tode bewahren. Die Toch­ter gehorchte und ließ das bren­nen­de Haus zurück.

Ihr Herz, damals naiv und gut­gläu­­big, vertraute ihren Eltern, Gott und dem Universum. Tragö­­dien ereigneten sich schließ­lich nur in Büchern und Filmen. Sie könnte höchstens eine Nebenfigur sein. Sie war zu unbe­deu­tend, zu jung.

Sie vergaß, dass jeder Held und jeder Schurke von einer Hinter­grund­­geschichte geprägt wurde und in diesem Moment, in dieser Nacht, schrieb das Universum ihre Vorgeschichte.

Damals ahnte sie nicht, dass diese Nacht vorherbestimmt war, unentrinnbar und unvermeidlich. Das Lied des Todes summte leise in ihrem Herzen, und dennoch vertraute sie auf ein Happy End.

Doch Vertrauen ist ein mieser Verräter.

Das Kind der Nacht wartete und wartete. Die Ungeduld zerrte sie zurück zum Haus, welches sie erst auf den dritten Blick wieder­zu­erkennen vermochte. Als sie den gepflasterten Steinboden betrat, der die Ruine wie ein verkohlter Bilderrahmen umgab, verlang­samten sich ihre Schritte. Das Haus ihrer Kindheit, das so viele Erinnerungen beher­bergt hat, war jetzt selbst nur noch eine Erin­nerung; vom Feuer ver­schlungen, vom Rauch fortgetragen.

Die Flammen tanzten und tobten und ein Ende war nicht in Sicht. Es war erst der Anfang.

Der Anfang der Geschichte vom Kind der Nacht.

Sie rief nach ihren Eltern, überzeugt, sie würden jeden Moment mit ihrer Schwester im Arm wie Phönixe aus der Asche steigen. Nichts geschah. Allein stand sie vor dem Haus, das sie einst Zuhause nannte.

Sie blieb nicht lange allein.

Scheinwerfer erhellten die holprige Waldstraße. In ihren Augen blitzte ein Hoffnungs­schimmer auf, so hell und heiß wie eine Super­nova. Jedoch haben Explosionen die Eigenschaft, dass ihr Licht erlischt. Eine Finsternis, dunkler als der Tod, breitete sich nicht nur in ihren Augen, sondern auch in ihrem Herzen aus. Behütet von den Schatten der Nacht, blieb sie unentdeckt vor den Augen der Männer, die sich Worte zuwarfen, die sie nicht verstand; nicht verstehen wollte. In dieser Nacht war sie blind und taub für den Albtraum, der sich Rea­li­tät nannte.

Die Nacht schützte sie, hüllte sie wie ihre Schmusedecke ein und verbarg sie vor dem Schicksal, für das sie nicht bereit, aber bestimmt war.

Sobald die ersten goldenen Sonnenstrahlen die Nacht durch­brachen und das Antlitz des verbrannten Hauses von den Schatten hervorhob, traf sie die Erkenntnis.

Sie war eine verlorene Seele, ohne Zuhause, ohne Familie.

Der Nachthimmel in ihren Augen brauste auf, die Sterne er­loschen und das Gewicht der Dunkelheit lastete auf ihr. Der Schrei in ihren Augen wird nicht verstummen, er wird bis in alle Ewig­keit von der Geschichte erzählen, die in dieser Nacht geschrieben wurde. 

Mafia: My last missionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt