Ich sehe aus dem Fenster.
Es ist wieder soweit.
Die Welt ist grauer, als wären die Farben sich nicht sicher, ob sie gehen oder bleiben sollen.Ich überlege, ob ich überhaupt aufstehen sollte, ob es sich lohnt.
Mein Blick immer noch aufs Fenster gerichtet.Ich habe den Grund aufzustehen, aber irgendwie scheint dieser überhaupt nicht mehr so wichtig.
Was solls?
Ich kann mich auf der Arbeit krankmelden und beim Arzt behaupten, ich hätte mich übergeben.
Dann könnte ich noch eine Stunde schlafen, bevor ich los muss..Ich schalte meinen Wecker aus.
Das zweite Mal heute.Gerade als ich meine Augen wieder schließen will, öffnet sich die Tür zum Schlafzimmer.
„Komm Yeosangie. Aufstehen. Die Arbeit ruft."Ich murre.
„Ich geh heute nicht."Die Matratze neben mir senkt sich.
Ich schätze, Jongho hat sich neben mich gesetzt.
Ich sehe zu ihm.„Warum bist du überhaupt noch da?" frage ich ihn.
„Die ersten zwei Stunden fallen aus. Stand erst heute früh im Vertretungsplan."
Ich ziehe die Decke über den Kopf.
„Du glücklicher. Ich wäre auch gern noch in der Ausbildung."Er legt sich zu mir und zieht die Decke weg.
Gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
„Was ist los?"Ich verziehe das Gesicht.
„Nicht das Gespräch wieder."Er zieht mir kurz an einer Haarsträhne.
Das ist seine Art zu zeigen, dass ers nur gut mit mir meint.
„Ich weiß, das ist schwer, aber ich mach dir jetzt nen Kaffee und du sammelst in der Zwischenzeit deine Worte zusammen."
Damit verschwindet er aus unserem Schlafzimmer.Ich sehe an unsere butterblumengelbe Wand an.
Jongho dachte, als wir zusammen zogen, dass eine helle Wand mir vielleicht das Starten in den Tag erleichtern würde.
Am Anfang wars auch so, aber das hat schnell nachgelassen.
Alles was mich motiviert verliert diese Wirkung irgendwann.
In meiner Erinnerung strahlt diese Wand mich an, aber inzwischen wirkt es, als habe sich eine Menge grau eingeschlichen.Manchmal frage ich mich, ob dieser innere Winter jemals ganz verschwindet.
Ob die Schneeglöckchen und Veilchen je richtig blühen können und der Restschnee gänzlich schmilzt.
Ob meine Seele auch eines Tages Kirschblüten tragen kann.
Wenn der Winter vorbei ist, wenn das Aufstehen kein Problem mehr ist, bin ich wieder wirklich lebendig.
Erst dann kann ich wieder richtig leben.Die Tür öffnet sich wieder und mein Freund betritt den Raum, begleitet vom Geruch frische Kaffee's .
Er setzt sich zu mir und ich richte mich auf.
Jongho hält mir eine Tasse hin und ich nehme sie entgegen.„Also, erzähl."
Ich überlege.
Wo soll ich anfangen?
Ich atme tief ein und aus.
„Da ist wieder dieser Schneesturm an Gedanken, der immer penetranter wird. Der mich komplett umringt. Und ich bin in der Mitte von all dem. Diese Gedanken, der Schnee, er brennt. Er ist so peitschend, dass es weh tut und ich sitze da und kann mich nicht bewegen, denn ich weiß, dass es noch mehr weh tun wird. Deshalb halte ich es aus, in der Hoffnung, dass der Wind aufhört zu stürmen. Weil dann ist es nur noch die gewohnte Kälte, die mich zu erdrücken scheint."Jongho greift nach meiner Hand und ich drücke sie leicht um zu signalisieren, dass ich seine Geste wahrgenommen hab.
Ich trinke einen Schluck meines Kaffees, aber die Wärme erreicht nicht mein Inneres.
Sie lässt mich nicht lebendig fühlen, während sie meine Speiseröhre hinab fließt.„Ich denke, dieser Sturm beginnt die Kontrolle zu übernehmen, von der Person die ich dachte zu sein. Als würde er sie verändern und das glückliche Kind in mir verschwinden im Schwarz der Wolken."
Jongho nickt und strahlt genau die Ruhe aus, die ich jetzt brauche.
„Yeosang, vergiss nicht, dass hinter jeder schwarzen Wolke die Sonne wartet, egal wie dicht sie auch scheint und die Sonne wird dich wieder wärmen, wenn der Himmel etwas klarer ist."„Das weiß ich doch." erwidere ich.
„Ich meine, du bist meine Sonne, mein persönlicher Anker, aber warum kann ich daran nicht festhalten?"„Du weißt doch, was dein Therapeut sagt. Wenn du nur noch schwarz-weiß siehst, erinnere dich an die bunten Tage."
Ich trinke noch einen Schluck.
„Aber die bunten Tage verblassen, so wie die Orte an denen wir als Kinder waren. Ich sehe unsere gemeinsame Jugend grau werden, es hilft einfach nicht mehr. Diese Fröhlichkeit, von der ich dachte, sie würde ewig verweilen, wird zu Trauer. Wie die Freiheit des Falles, wenn du bemerkst, dass dich kein Becken voller Wasser auffängt. Wenn das Lachen zu Schreien wird. Es kommt und geht wie Wellen und ich weiß nicht, ob es jemals aufhören wird. Ich will, dass es aufhört."Jongho seufzt.
„Es wird nicht aufhören, weil wir diese Wellen, das Kommen und Gehen von schlechten Zeiten brauchen. Weil es uns menschlich macht. Weil wir sonst die Momente voller Magie nicht schätzen. Aber deine Wellen werden irgendwann nicht mehr wie ein Tsunami auf dich niederfallen und alles verschlucken was du dir aufgebaut hast und dir Hoffnung gibt. Es wird nicht aufhören, aber du musst dagegen ankämpfen, darfst nicht zulassen, dass es dich zu niederreißt."Ich nicke verstehend.
„Und du stehst jetzt auf und machst dich fertig für die Arbeit. Das wird dich ablenken. Heute Nachmittag hol ich dich ab und wir gehen was essen, okay?"
Erneut nicke ich, denn er hat recht.
Ich muss aufhören wegzulaufen.
Also schlage ich die Decke von den Beinen, denn ich bin fertig mit dem Gedanken einfach aufzuhören zu kämpfen.
DU LIEST GERADE
Waves //a Jongsang Oneshot//
Fanfiction„Es kommt und geht wie Wellen und ich weiß nicht, ob es jemals aufhören wird. Ich will, dass es aufhört." Inspired by 'Waves' by Dean Lewis