Meine Welt

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Ich hasse Licht. Fast genauso sehr wie Vampire, aber ich kann es vertragen. Im Gegensatz zu Zombies kann ich mich sehr gut bewegen. Beinahe könnte man sogar meinen, ich sei überdurchschnittlich sportlich. Trotzdem bewege ich mich eher ungern schnell. Ihr fragt euch sicher, was ich bin. Oder nein, ihr seid schlau genug, um aus der Überschrift abzulesen. Ich gratuliere zu dieser Erkenntnis. Aber wisst ihr denn auch, was ein Jenjou ist? Ich vermute mal nicht, also rein hypothetisch. Dann werde ich versuchen, euch in dieser Beschreibung zu erklären, welch unglaubliches Geschöpf gerade mit euch zu kommunizieren versucht.

Ein Tag wie jeder andere. Die Sonne schien blass hinter den Wolken hervor und ich konnte den Blutsaugern mal wieder danken, dass sie so gut auf die Dunkelheit achteten. "Scheiß Wetter",
entglitt es mir. Ich war nicht gerade der Optimist wie er im Buche stand. Ehrlich gesagt, war ich eher sarkastisch und pessimistisch.

Jetzt macht euch aber bloß kein falsches Bild von mir! Ich rede ja schließlich von meinem früheren Ich. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mich bis jetzt nicht so viel verändert habe.

Ich ging durch den Park, die Hände in den Hosentaschen. Da sah ich Liam, der hinter mir herlief und mich schließlich einholte.
"Hi, Jake. Wie geht's dir so?"

Dazu muss ich etwas erklären. Liam war ein Elementarmensch, also jemand, der ein Element beherrschen konnte. In Liams Fall war es Stein. 'Mensch' dürft ihr aber auf gar keinen Fall falsch verstehen, denn in dieser Welt gibt und gab es noch nie einen Menschen. Und das meine ich wörtlich.

"So wie immer.",
antwortete ich beiläufig.
"Oh, Mann, das glaub' ich dir. Es ist mir nämlich auch aufgefallen, dass du das sagst, seitdem ich dich kenne." Dabei blickte er drein wie ein stolzer Wissenschaftler, der gerade eine weltverändernde Entdeckung gemacht hatte.
"Ach ne, echt?",
fragte ich Liam in einem übertrieben ironischen Tonfall,
"Das hätte ich jetzt nicht gedacht, Herr Allwissend."
Liam reckte sein Kinn spaßhaft beleidigt in die Luft und lächelte auf mich herab:
"Du bist eben nicht so schnell von Begriff wie ich."
Dann fing er an zu lachen. Alleine. Aber er war es gewohnt, dass ich nicht lachte. Ich persönlich habe nämlich noch nie einen Jenjou gesehen, der lacht oder sonstige tiefgründige Gefühle zeigte. Da holte Liam auf einmal etwas aus dem Rucksack, den er bei sich trug.
"Was ist das?",
fragte ich mehr oder weniger gelangweilt.
"Ein Zettel.",
erwiderte er gespielt gelangweilt. Ich stöhnte.
"Das seh' ich selbst. Aber was steht da drauf?"
Er schaute mir in meine dunkelblauen Augen, ich in seine Hellgrünen.
"Nun?",
drängte ich.
"Ein Gedicht."
Die Antwort war knapp, aber ich konnte spüren, dass Liam mit diesem Wort noch viel mehr sagen wollte, als es bedeutete. Ich atmete lange aus und guckte dann auf meine laufenden Füße. Dann wanderte mein Blick wieder zu Liams Zettel.
"Ich merk' doch, dass du mir noch etwas erzählen willst, also sag schon." Liam kannte meine Direktheit schon lange und plapperte einfach los, wie, als hätte man einen Korken aus einer auf dem Kopf stehenden Weinflasche gezogen:
"Es ist ein wahres Meisterwerk, Jake. Einfach fabelhaft. Niemand anderes wäre in der Lage, so etwas Schönes wie das hier zu schreiben. Es geht um das Leben und..."
Ich unterbrach ihn mit eine kleinen angedeuteten Lachanfall:
"Über das Leben? Was weißt du denn schon vom Leben? Wir sind aus der fast untersten Schicht; wir leben höchstens hundert Jahre und dann war's das! Wir sind nichts im Vergleich zu der oberen Schicht. Sieh dir doch mal die Vampire an. Die leben mindestens zweihundert Jahre, wenn nicht, können die sogar Fünfhundert werden. Gib es auf, da kommst du nicht ran!"
Liam ließ sich aber nicht beirren: "Deswegen ja gerade! Die, wie wir, nur ein kurzes Leben haben, wissen die Zeit doch viel mehr zu schätzen, als die, die lange leben. Es ist doch..." Er stockte und starrte wie versteinert nach vorne. Ich hatte ihn die ganze Zeit verblüfft angeschaut und folgte nun überrascht seinem Blick. Warum hört er denn auf zu sprechen?, fragte ich mich, doch das erklärte sich, als ich die Person erblickte, die vor uns stand.
"Wa...Wer... Ähm..Wie können wir helfen?",
stotterte Liam. Er war knallrot angelaufen bei dem Anblick des Vampirmädchens, dass vor uns stand. Sie hatte lange schwarze Haare und ich musste zugeben, dass ich Liams Reaktion irgendwie verstehen konnte, schließlich war sie wunderschön.
Ihr versteht jetzt wahrscheinlich nicht ganz die Überraschung, die wir damals an den Tag gelegt haben. Nun ja, wie soll ich es formulieren... Also: Langlebige, zum Beispiel Vampire, gehören zu der obersten Schicht. Jenjous und Elementare zu der mittleren Schicht. Und normalerweise ging ein, um es im Vergleich zu sagen, König nicht zu den Orten, zu denen Bauern gingen. Und auch nicht andersherum.
"Was seid ihr?",
fragte sie uns. Ich antwortete:
"Ich bin ein Jenjou und er ein Elementarer."
Sie legte den Kopf schief und durchbohrte uns förmlich mit ihrem Blick. Ich konnte kein Interesse an irgendetwas zeigen, wie schon gesagt habe. Und so blickte ich mit einem unsagenden Blick zurück. Sie wurde rot.
Bis heute kann ich mich an das seltsame Gefühl erinnern, als ein Irrer neben mir stand, der rot war. Und als eine Verrückte vor mir stand, die ebenfalls rot war. In diesem Moment kam ich mir so fehl am Platz vor.
So versuchte ich mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, und irgendwie half es mir. Die herbstroten Blätter fielen langsam von den Bäumen und der Weg, der durch den Park führte, schien mir endlos lang. Dabei musste ich natürlich die beiden seltsamen 'Tomaten' neben und vor mir ignorieren. Da unterbrach die Vampirtomate meine wunderbaren Vorstellungen:
"Dann, Jenjou, lies mir vor, was auf dem Zettel steht!",
sie klang selbstsicher, aber nebenbei bemerkt; es hörte sich mehr oder weniger erzwungen an. Ich betrachtete sie noch einen Moment, aber schließlich konnte ich mich doch dazu durchringen, ihr zu gehorchen. Also zog ich meinem Elementarfreund den Zettel aus der Hand und faltete ihn auseinander. Ich las laut vor:

Leben

Eine Blüte fällt vom Himmel herab
Und ich gedenke der Zeit des Lebens
Wo die Zeit noch nicht war, noch nicht
Und jeder Wert und Sinn verstand
Doch dann, mit einem Mal
Nur noch lang und kurz ihnen wichtig war
Und so gab es dann die, die lang lebten
So auch die, denen nur kurzes geschenkt
Aber, obwohl sie glaubten, sie wissen
Verstehen würden sie nie mehr
Denn nur die mit Kurzem lernten erkennen
Nur die Art und Weise zählt
Nicht das, was wir Schichten nannten
Und die Blüte auf den Boden trifft

Dannach schloss ich für einen kurzen Augenblick die Augen und faltete das Blatt wieder zusammen. Das drückte ich Liam dann in die geöffnete Hand. Schließlich drehte ich mich wortlos um und ging an dem Mädchen vorbei weiter den Weg entlang. Sie drehte sich überrascht zu mir um und folgte meinem Gehen mit ihrem Blick. Dann bewegte sich Liam erstmals wieder und stolperte mir hinterher. Er war immer noch verlegen und ging neben mir. Ich beobachtete ihn von der Seite ohne den Kopf zu wenden. Irgendwie amüsierte mich sein Anblick gewaltig. Er war zwar mein Freund, aber dennoch ein zu komischer Tomatenelementar, als man ihn ernst nehmen konnte. Auf einmal fing ich an zu lächeln, dann kicherte ich leise, zuletzt lachte ich lauthals los. Liam starrte mich an, als sei ich ein sprechender Stein. Ich konnte mich kaum noch fangen und schnappte nach Luft. Ich hatte mich in meinem Leben noch nie so friedlich und ausgelassen belustigt gefühlt.
"Ich kann wohl keine anderen als meine Artgenossen verstehen.",
meinte ich nur noch lächelnd mehr zu mir selbst als zu Liam. Aber dann verstehe ich ja nur noch mich selbst..., dachte ich schweigend und wurde mit einem Schlag trauriger als mir lieb war.



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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 08, 2017 ⏰

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Jenjou - Was bin ich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt