Kapitel 4

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{P!NK - What about us}

MAREN

Das Mädchen hat Nerven.
Erst will sie mir unbedingt beim Klavierspielen zuhören und dann...
keine Ahnung, was das gerade war.
Jetzt muss ich die ganze Zeit an ihre weichen Lippen auf meinen denken. Nein, es war kein richtiger Kuss, aber ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich nichts dagegen gehabt hätte. Schon seit einer gefühlten Ewigkeit versuche ich halbherzig und erfolglos, die Bilder von Isa unter mir auf dem Fußboden zu verdrängen. Ihr Blick, ihre Lippen, alles an ihr hat mich verzaubert.
Abgesehen davon haben wir uns seit sechs Jahren nicht mehr gesehen und wir sind nicht mehr befreundet. Was ist, wenn sie den perfekten Freund hat und das eben als Laune abtut? Vergiss sie. Nur kann ich das nicht. Früher nicht, jetzt ist es nur schlimmer geworden. Warum muss sie mich auch so überrumpeln?
Im Unterricht landet mein Blick in den nächsten Tagen sehr viel öfter in dem schönen Gesicht meiner Ex-Besten Freundin als bei Frau Faller und der Tafel.
Eigentlich kann ich meine Emotionen besser verstecken.
Isa macht mich noch verrückt.
Der Rest des Kurses ist nett, abgesehen von den Zimtzicken Sophie und Vera, die sich wohl fragen, weshalb Isa mich nicht ignoriert, anstatt mit mir zu lachen. Hoffentlich bemerkt niemand, dass ich nicht anders kann als mich in Tagträumen zu verlieren, in denen sie die Hauptrolle spielt.

Gegen Ende der ersten Schulwoche fällt mir wieder ein, dass ich noch eine Konzertkarte zu viel habe. Meine ältere Cousine Rahel wollte mit mir dorthin gehen, musste gestern jedoch kurzfristig wegen eines Vorstellungsgesprächs absagen. Es ist ein klassisches Konzert und die Karte zu teuer, um sie verfallen zu lassen. Leider kenne ich niemanden, der sich am Freitagabend lieber zwei Stunden Stunden lang ins Konzert setzen würde anstatt auf eine Hausparty zu gehen.
Bis auf Isa.
Isa.
Ich sehe sie gerade gehen und rufe ihr schnell hinterher. Sie bleibt stehen.
„Hi..ähm..hast du Lust morgen mit mir in das Konzert von Teodor Currentzis zu gehen, dieser bekannte Dirigent? Bitte?" Ihr unentschlossenes Gesicht ist eine Qual.
„Okay, ich komme mit."
Wow, ich hatte versucht, nicht zu sehr darauf zu hoffen, dass sie zusagt.
Isa lächelt und geht. Dieses Lächeln. Wenn sie weiterhin so sanft lächelt, kann ich nicht dafür garantieren, nicht gedanklich über sie herzufallen.

Am kommenden Abend werden meine Hände so schweißnass, wie wenn ich selbst ein Konzert geben würde. Nach außen wirke ich durch jahrelange Übung ruhig und gefasst, doch meine Gedanken spielen wie wild Fangen in meinem Schädel.
Ein letzter Blick in den Spiegel, da klingelt es auch schon. Wir haben gestern noch Adressen ausgetauscht, damit diejenige von uns, die früher fertig ist, die andere abholt.
Am Fuß der Treppe angekommen, sehe ich Isa lange ins Gesicht, um nicht durch ihr Kleid aus der Fassung gebracht zu werden. Es ist so schlicht wie mein dunkelblaues.
Isa sieht wunderschön darin aus. Bei meinem Kompliment streicht sie sich etwas verlegen eine vorwitzige Strähne hinter das mit kleinen goldenen Creolen geschmückte Ohr. „Du siehst auch wunderschön aus."
Ihr Blick schweift langsam an mir auf und ab, ehe sie mich nach draußen zieht, damit wir nicht zu spät in der Philharmonie ankommen.

Das Konzert war ein voller Erfolg, Teodor Currentzis hat Standing Ovations für sein Dirigat zweier Symphonien von Beethoven bekommen. Isa jubelt nach der Zugabe laut.
„Seit wann findest du Klassik so toll?", frage ich sie etwas verwundert.
„Seit heute. Komm, mach mit." Das ältere Paar vor uns dreht sich pikiert um, als wir zusammen „Zugabe, Zugabe!" schreien. Wir rufen nur noch ein bisschen lauter. Irgendwann sind wir fast alleine im Konzertsaal. Es spielt keine Rolle, dass unsere Handys aus sind. Es spielt keine Rolle, dass unsere Kehlen vom vielen Rufen heiser sind. Isa sieht mich an und ich sehe sie an.
Und dann sind da ihre Lippen, die vorsichtig über meine streichen. Mit der Zeit wird daraus ein leidenschaftlicher Kuss. Ewigkeiten später zerbricht Isa die Stille.
„Ich will nicht mehr deine Freundin sein. Das hier ist mehr als das. Maren, ich li...". „Sag nichts, was du später bereuen wirst, wenn du deinen perfekten Freund küsst", antworte ich ihr bitter. Ihr schutzloser, verletzter Blick geht mir durch und durch. Was bin ich nur für eine miserable Freundin. Sie hat mir ihr Herz in die Hände gelegt und was mache ich?

Auf dem Weg nach Hause sind wir beide sehr still. So still, dass ich es nicht mehr aushalte, als wir in ihrer Straße ankommen. Schnell lege ich die Hände an ihre Taille. „Du..", beginne ich, bevor sie mich wütend von sich stößt und ins Haus läuft.
Die Tür fällt mit einem lauten Knall hinter ihr zu und ich bleibe draußen stehen wie die letzte Idiotin. „ Ich liebe dich auch", mein Wispern  verhallt ungehört in der Dunkelheit. Der Weg zu mir scheint die ganze Nacht zu dauern und ich ignoriere meine vollkommen verschmierte Mascara. Sie erinnert mich nur daran, dass ich heute sowohl eine sehr gute Freundin als auch mein Herz verloren habe.

Was uns bleibt ist Liebe 🏳️‍🌈 lesbian short story (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt