Erschöpft drehte ich den Schlüssel im Schloss rum und öffnete die Wohnungstür. Endlich zuhause. Schnell warf ich auch schon meine Tasche in die nächstbeste Ecke und zog meine Jacke, sowie meine Schuhe aus. Oh man, war das ein langer Tag gewesen. Ich öffnete meinen Zopf, der schon aussah wie Kraut und Rüben und lies mich von meinen Füßen in die Küche tragen.
Während das Wasser langsam zu Kochen begann, stellte ich die Teekanne bereit und holte zwei bauchige Tassen aus dem Eckschrank. Eine für ihn, eine für mich. Während ich das heiße Wasser über den Teebeutel laufen lies, machten sich meine Gedanken selbstständig. So ein Arbeitstag ist doch ganz schön anstrengend, aber niemals würde ich meinen Job gegen einen anderen tauschen wollen. Dabei war heute ja nochnicht mal was Außergewöhnliches geschehen. Keine Ausflüge. Keine Krankheitsfälle. Keine Streits. Keine Wutausbrüche. Und auch sonst waren die Kleinen lieb gewesen. Wir hatten Brücken und Türme gebaut, Puppen umgezogen, schlafengelegt und Sekunden später wieder aufgeweckt, Sandburgen geschaufelt und Verstecken gespielt. Es war dann doch noch ein echt guter Tag geworden, obwohl ich heute morgen noch befürchtet hatte, wir würden aufgrund des Regens garnicht rausgehen können. Diese Befürchtungen verflüchtigten sich aber schnell wieder, als gegen Mittag die Sonne hinter den Wolken hervorkam und der Regen eine Pause einlegte.
Vorsichtig schenkte ich den nun fertig gezogenen Tee in die beiden Tassen und machte mich auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer. An der Tür angekommen lauschte ich kurz auf mögliche Geräusche von dahinter und als ich nichts von drinnen hören konnte, öffnete ich diese zögerlich, da ich keine Hand frei hatte um zu Klopfen. "Komm ruhig rein, ich mach das hier nur noch schnell fertig, dann gilt all meine Aufmerksamkeit dir." begrüßte er mich. Also setzte ich mich still wieder in Bewegung und stellte eine der beiden Tassen mit den Worten "Hier für dich" auf seinem Schreibtisch neben der Tastatur ab. Dankend lächelte er mich an und wandte sich wieder seinen Bildschirmen zu. Die andere in beiden Händen setzte ich mich in den Sessel neben seinem Schreibtischstuhl und zog meine Beine in einen Schneidersitz. Von der dampfenden Tasse ging eine angenehme Wärme aus und so umklammerte ich die Tasse nur noch mehr, in der Hoffnung diese würde auch irgendwann in meinen Füßen ankommen.
Man merkte richtig den langsam kommenden Winter und das Wetter, das er immer mit sich bringt. Hoffentlich würde es dieses Jahr wiedermal schneien, auch wenn der Klimawandel, immernoch ganze Arbeit leistet um das zu verhindern. Langsam driftete ich mit meinen Gedanken in mein ganz persönliches Winterwunderland ab. Lieber ein fiktives in Gedanken als gar keins.
Als ich meinen Kopf hob bemerkte ich, dass mein Freund schon fertig war, was auch immer er grade gemacht hatte und sich mir zugewandt hatte. "Na, über was denkst du grade nach?" fragte er mich mit einem neugierigen, aber auch etwas besorgten Ausdruck im Gesicht. "Hoffentlich haben wir dieses Jahr mal wieder weiße Weihnachten, immerhin wird's langsam echt kalt." teilte ich ihm meine Gedanken mit. "Oh ja, weiße Weihnachten wäre echt mal wieder schön!" gab er verträumt zu und nippte an seinem Tee oder, naja, versuchte es. "Verdammt! Der ist ganz schön heiß!!", er hatte sich wohl die Zunge verbrannt. "Kein Wunder, dass du deine Tasse so umklammerst, wenn dir kalt ist." gab er zu. Erstaunt schaute ich ihn aus großen Augen an. Mal wieder hatte er sich den restlichen Teil meiner Gedanken und die Gründe für mein Handeln von selbst erschlossen. Dieser Mensch kannte mich echt viel zu gut, ja fast besser, als ich mich selbst, das ist schon irgendwie gruselig. War ich wirklich so durchschaubar?
"Wenn du keine Zeit zum Kuscheln hast, muss ich halt mit dem warmen Tee vorlieb nehmen!" antwortete ich ihm also gespielt beleidigt und nahm einen Schluck aus meiner Tasse. "Ach so ist das also? Kann ich mich mal kurz nicht um dich kümmern, werd ich einfach durch Tee ersetzt?" gab er lachend zurück. "Tja, selber Schuld! Außerdem kannst du doch froh sein, dass es nur der Tee ist." antwortete ich schlagfertig, womit er wohl nicht gerechnet hatte, denn ihm entglitten für eine Sekunde seine Gesichtszüge. Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er mit einem Schmunzeln auf den Lippen: "So so, mein Freund denkt also übers Fremdgehen nach?" "Ich doch nicht!" platzte es aus mir heraus und wir kriegten uns vor Lachen fast garnicht mehr ein.
Irgendwann stand er jedoch auf, um zu mir zu kommen. Er nahm mir meine Tasse aus der Hand und gesellte sie, gut durch die Menge an Tee zu unterscheiden, zu seiner. Nur um sich Sekunden später in meinen Schoß fallen zu lassen und die Beine über eine der Armlehnen zu legen. Und so umschloss ich seinen Oberkörper mit meinen Armen und legte meinen Kopf vorsichtig an seine Schulter. So war es doch gleich viel besser. Er in meinen Armen wendete jeden schlechten Tag zu einem guten und machte jeden guten Tag nur noch besser. Ich hatte echt ein riesen Glück gehabt, dass er sich vor drei Jahren, aus mir unerfindlichen Gründen, dazu entschlossen hatte mein Freund zu werden und nun schon seit fast eineinhalb Jahren sogar bei mir wohnte.
Geschwind legte auch er seine Arme um meinen Hals und obwohl ich normalerweise locker zehn Zentimeter größer war, musste ich nun zu ihm aufschauen und er konnte mir dardurch mühelos einen Kuss auf die Haare geben.
Als wir so bestimmt zehn, fünfzehn Minuten rumsaßen äußerte ich ihm gegenüber meine Bedenken: "Ich glaub der Tee wird langsam kalt." Kichernd antwortete er: "Ach, jetzt ist der Tee doch wieder wichtiger als ich oder was?" Stand dann jedoch widerwillig auf, als ich ihm einen entschuldigenden Blick zuwarf und drehte sich mit den Tassen in beiden Händen wieder zu mir um. Kurz stand er einfach nur ein wenig verloren im Raum rum und schaute mich nachdenklich an. "Wollen wir nicht vielleicht lieber auf die Coach umziehen? Da ist ein bisschen mehr Platz und wir könnten nebenbei auch noch was gucken oder zocken, wenn du willst." "Guter Vorschlag!" stimmte ich ihm zu und stand auf um ihm meine Tasse wieder wegzunehmen, eine Hand in seine, nun freie, Hand zu legen und ihn somit hinter mir her ins Wohnzimmer zu ziehen.
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- 18.11.2021