„Butat least I got my friends, like a lifeboat in the dark, that's savingme from the sharks, even when I got a broken heart."
DieZeilen dieses Liedes dringen aus dem In-Ear Kopfhörer, den ich imlinken Ohr trage. Den anderen hat meine beste Freundin Sarah, dieneben mir läuft und einen komplett falschen Text mitsingt.
Wirlaufen gerade von der Schule nach Hause, die sechste Stunde istausgefallen und an einem so kalten, ungemütlichen Novembertag freueich mich schon darauf, ein bisschen früher daheim zu sein. AufSchule habe ich nämlich echt keine Lust mehr. Heute hatten wir nurblöde Fächer, zum Beispiel Mathe bei Herr Winkler, der meinerMeinung nach überhaupt nicht erklären kann. Oder Physik bei FrauGruber, eine total eingebildete alte Hexe, die den Schülern, die sienicht mag, nie etwas Besseres als eine Vier einträgt. Mich mag sieübrigens am wenigsten, aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Aufjeden Fall bin ich froh, dass wenigstens Religion heute ausfällt.
Wirlaufen eine Abkürzung durch eine Straße, die kaum bewohnt ist. Hierstehen hauptsächlich graue Betonblöcke mit Sozialwohnungen,außerdem wohnt am Ende der Straße ein grantiger alter Mann namensRudi. Der zeigt regelmäßig seine Nachbarn wegen allen möglichenKleinigkeiten an, weswegen ihn hier niemand mag. Außerdem steht inder Mitte der Straße ein sehr altes Haus, das leersteht, seit ichdenken kann. Laut Gerüchten ist der Vorbesitzer vor Jahrzehnteneinfach verschwunden und nie wieder aufgetaucht.
Manchesagen, dass es hier angeblich spuken soll. Ich glaube nicht sorichtig daran, auch wenn man nicht ausschließen kann, dass davielleicht doch etwas dran ist.
MeinBlick schweift über die teilweise maroden Fassaden der Häuser, alsich innehalte und stehenbleibe.
Sarahläuft noch einige Schritte, merkt dann aber, dass ich ihr nichtfolge und pausiert die Musik.
„Runa?Was ist los?", fragt sie verwirrt.
Dochich stehe nur still da und starre wir gebannt auf eines der Häuser.
Ichsehe nämlich etwas sehr merkwürdiges. Auf dem Dach sitzt jemand –oder etwas. Es ist ein Mädchen, nicht viel älter als ich. Doch keinnormales Mädchen. Ihr Körper ist transparent, ihr Haar schimmertbläulich, sie trägt ein altmodisches, langes Kleid mit blauenBlumen und einem Matrosenkragen.
Siescheint jemandem zu winken – meint sie vielleicht mich? Verwirrthebe ich die Hand und winke zurück.
„Wem winkst du da?",fragt Sarah, die mittlerweile etwas irritiert klingt.„Daist ein Mädchen auf dem Dach", antworte ich. „Siehst du sienicht?"
„Da ist niemand, das bildest du dir nur ein",entgegnet sie und packt mich unsanft am Arm. „Los jetzt", meintsie unbehaglich, „ich will hier weg."
Widerwillig folge ichihr und riskiere einen letzten Blick auf das Mädchen, das mir jetztzulächelt. Sie ist gar nicht so unheimlich, aber ein normaler Menschist das definitiv nicht.Dochso merkwürdig die ganze Situation auch war, ich habe komischerweisegar keine Angst vor ihr. Aber warum kann Sarah sie nicht sehen?Normalerweise bin ich doch diejenige, die manche Sachen übersieht.Zum Beispiel in Kunst, da habe ich auch nicht gemerkt, dass demPferd, das ich zeichnen sollte ein Bein gefehlt hat.
Alsich zuhause ankomme liegt ein Zettel auf dem Tisch, dass ich mir zuMittag einfach ein Brot machen soll. Während ich das tue denke ichnoch einmal über die Situation gerade eben nach und ein kalterSchauer läuft mir den Rücken hinunter. Es war schon echt merkwürdigund ich kann nicht sagen, wer oder was genau da auf dem Dach saß.
Dashabe ich mir nie im Leben nur eingebildet, denke ich, während ichdas Vollkornbrot in Scheiben schneide. Aber Sarah hat rein gar nichtsgesehen.
Nacheinigen Minuten des Nachdenkens wird es mir langsam klar, ich kommezu einem unheimlichen Entschluss:
Ich weiß zwar nicht, ob dasetwas Gutes oder Schlechtes ist, doch anscheinend sehe ich etwas, wasdie anderen nicht sehen. Und das ist alles, aber nicht normal.
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Vision: Ich kann dich sehen (Leseprobe)
FantasyHier gibt es einige kleine Leseproben zu meinem Debütroman "Vision : Ich kann dich sehen". Dieses Werk ist seit dem 01.03.2022 überall bestellbar. Viel Spaß beim Lesen :)