Neue Schule

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Das Klingeln der Schulglocke sorgte für ein genervtes Murmeln in der Klasse, denn auf dem Stundenplan stand als allererstes Mathematik. Alle setzten sich auf ihre Plätze und murmelten nur leise, als der Lehrer – Mr Smith – sie begrüßte. Dieses Mal jedoch hoben einige neugierig die Köpfe, denn hinter dem schmalen Mann trat ein junges Mädchen hervor, welches ihnen gänzlich unbekannt war. Sie gehörte weder in ihre noch in eine der Parrallelklassen. Der Junge in der letzten Reihe – hinten am Fenster, der Platz dem niemand Beachtung schenkte – bedachte interessiert ihre ungewöhnlich blasse Haut und das schneeweiße Haar. Es wirkte, als habe man sie in Mehl oder haftenden Schnee getunkt und es würde nun an ihr kleben und sogar ihre Wimpern und Augenbrauen farblos erscheinen lassen. Doch was ihn am meisten auffiel, waren die tief blauen Augen welche aufmerksam durch die Klasse huschten. Einige flüsterten sich etwas zu, während Mr Smith knapp erklärte: „Das ist eure neue Klassenkameradin, Kyara Ocean." „Kyra", korrigierte die Neue mit einer überraschend ruhigen Stimme. „Entschuldige, Kyra. Bitte setz dich. Neben Tiffeny ist noch ein freier Platz." Die besagte Schülerin rückte ein Stück zur Seite, ihre Augen glitzerten beinahe begierig, die Neue neben sich zu haben. Nicolas folgte ihr mit den Augen, während Mr Smith erklärte: „Nun, für alle die sich über ihr Aussehen wundern, Kyra ist ein–" „Albino." Sofort biss Nick sich auf die Zunge, denn nun starrten ihn alle an, Kyra eingeschlossen. „Nerd!", rief jemand, doch er wusste nicht, wer. Es war auch egal, wie immer war es ihm und Smith ungehobelter Weise auch, egal. Er wollte wegsehen, den Kopf auf seine Tischplatte senken, doch er konnte nicht. Kyra blickte ihn lange an, in ihren eisigen Augen blitzte weder Hohn noch Spott oder Zorn. Nur Interesse und ein Ausdruck, den er nicht deuten konnte. „Ganz richtig, Nicolas", sprach Mr Smith nun und der Blickkontakt wurde unterbrochen. „Kann mir jemand erklären, was ein Albino ist?" Er schrieb das Wort an die Tafel, als wären sie in der Grundschule und nicht in der elften Klasse. Noch schändlicher war der Umstand, dass sich nur wenige meldeten und es zwanzig Minuten der Stunde in Beschlag nahm, es der Klasse zu erklären. Nick meldete sich in der Zeit nicht, sondern rückte seine Brille zurecht und versuchte, nicht andauernd zur Seite zu blicken. Stattdessen beobachtete er die Neue aus dem Augenwinkel, welche sich neugierig in der Klasse umsah. Tiffeny versuchte hin und wieder ein Gespräch mit ihr anzufangen, doch sie antwortete immer nur knapp, allerdings sehr höflich. Einige der Jungs in der ersten Reihe drehten sich zu ihr herum, flüsterten sich wahrscheinlich nicht–Gentleman–like–Dinge zu, während ihre Blicke dort hin wanderten, wo sie definitive nicht hingehörten. Als die wirkliche Unterrichtseinheit endlich losging, versuchte Nicolas sich mit aller Kraft auf den Stoff zu konzentrieren. Doch komischerweise gelang ihm das nicht. Immer wieder lauschte er, in der Hoffnung wieder ihre klare Stimme zu hören, oder er tat so als würde er nachdenklich in der Luft umher sehen, nur um einen kurzen Blick auf sie zu werfen. Kyras Hand mit dem Füller bewegte sich ungewöhnlich schnell und sie schien alles zu verstehen, was an der Tafel genannt wurde. Sie stellte keine Fragen, sagte kein Wort – für einen Neuling allerdings nichts besonderes – doch Nicolas spürte, dass ihre Aufmerksamkeit in der Luft knisterte. Beobachtete sie jemanden? Vielleicht die ganze Kasse? Oder versuchte sie nur, im Unterricht mitzukommen? Nick konnte es nicht einordnen und versuchte krampfhaft zu verstehen, was in den eisigen Augen schimmerte. Doch er konnte nicht. Sonst war es für ihn nie ein Problem, doch hier konnte er nicht. Wieso nicht? Was war los?

***

Die Stunde war rasend schnell vorbei und doch kam es Kyra wie Ewigkeiten vor. Besonders aufgeregt war sie nicht gewesen, doch das komische Gefühl in ihrer Brust – dieser beklemmende Druck, der einem die Luft zum Atmen nahm – hielt weiter an. Sie packte ihre Sachen zusammen, während Tiffeny trällerte: „Hey, wie wäre es wenn ich dir den Pausenhof zeige?" Es war ein freundliches Angebot und doch wollte Ky zuerst den Kopf schütteln. Die hohe Stimme ihrer Sitznachbarin ging ihr jetzt schon auf die Nerven und sie wusste, dass ihre strahlenden Augen falsch waren. Woher sie das wusste, war ihr unbekannt, doch ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass Tiffeny eines dieser Mädchen war, welches alles für Aufmerksamkeit tun würde. „Gern", sprach sie dennoch und schloss kurz die Augen. Es wäre nützlich sich nun schon Freunde zu machen, auch wenn sie falsch waren. An richtigen war sie nicht interessiert. „Super! Hey, Alice, kommst du mit?" Ein weiteres hübsches Mädchen – beide erinnerten Kyra irgendwie an Barbie Puppen – trat zu ihnen heran und bedachte die Neue mit einem prüfenden Blick. Sie schätzt ab, ob ich cool genug für sie bin, dachte Kyra augenblicklich und straffte die Schultern um einen selbstbewussteren Eindruck zu machen. Es war nicht schwer, ein freundliches Lächeln hier und eine lässig schiefe Haltung da und sofort nickte Alice heftig. „Sehr gern." Kyra nahm eine Trinkflasche aus ihrem Rucksack und drehte sich etwas zur Seite. Das kribbelnde Gefühl beobachtet zu werden, plagte sie schon die ganze Stunde lang und sie fragte sich, wie lange der „Nerd" – so wie er genannt wurde – dieses Aus–dem–Augenwinkel–Spiel noch durchziehen wollte. Es war ein Trick, den sie selbst gerne anwandte und sie war erstaunt, wie unauffällig der unscheinbare Junge es tat. Seine Brillengläser verdeckten einen Teil seiner Augen, doch in der Spiegelung dieser erkannte sie, dass sie die Farbe von Haselnuss hatten. Das dunkelblonde Haar war ordentlich zur Seite gestrichen und die Krawatte ließ ihn wie einen typischen Streber erscheinen. Doch der Schein kann trügen. Kurz hob der Nerd wieder den Kopf – vielleicht um ihr wieder einen Blick zuzuwerfen – und begegnete ihren eisblauen Augen. Ha, ich lag richtig: Haselnuss. Er sah nicht weg, tat nichts anderes, außer sie anzustarren. Kyra bewunderte seine ruhige Haltung und den klugen Ausdruck in seinem Gesicht und doch lag dort eine gewisse Düsternis oder Traurigkeit, eine die von einer gequälten Seele sprach. „Kommst du, Kyri?", ertönte die hohe Stimme von Tiffeny. Automatisch drehte sie den Kopf und knurrte leise, dass sie sie schon ihren Spitznamen benutzte. Als Kyra nochmal zurück blickte, war der Junge dabei nach einer Brötchentüte zu graben, als habe es diese kurze Verbindung zwischen ihnen nie gegeben. Ky drehte ihm den Rücken zu und folgte den Mädels aus dem Klassenraum. Sie prägte sich den langen Gang ein, welcher an einer Treppe endete und diese dann in die Eingangshalle der Schulte führte. Von dort aus kamen sie auf einen teils bepflasterten, teils bewiesten Hof, welcher auf sie keinen schönen Eindruck machte. Es gab einige Klettergerüste, welche aussahen als habe man sie direkt vom Schrottplatz geholt und hier und da einen Busch oder sogar einen ganzen Baum. „Ja also viel kann man nicht machen, aber die Caferia hat immer offen und dort drüben..." Alice deutete kichernd auf eine Ansammlung an Büschen, mit einem Bäumchen als Krönung, „treffen sich viele Paare, da ist man ganz ungestört." Beide Mädels lachten auf und Kyra zwang sich zu einem amüsierten Lächeln. Die sind wohl irgendwo in der Grundschule stecken geblieben. „Hast du Hunger?", fragte Tiffeny und deutete auf ein rundes, anliegendes Gebäude, nahe der Schule, durch dessen große Fenster man Tische und einige Leute sehen konnte. „Da kannst du dir immer was zu Essen holen. Kostet nur ein paar Dollar, also je nachdem was du dir holst." „Wie lange hat die offen?", erwiderte Kyra resignierend. Tiffeny zuckte mit den Schultern. „Erste und zweite Pause halt, also hast du..." „Ich hab heute schon gefrühstückt, danke", erwiderte sie und schloss die Augen, denn ihre Stimme klang etwas zu bissig. Als sie die vielsagenden Blicke sah, welche die Mädels tauschten, sprach sie schnell: „Aber ihr könnt mir gern noch mal genauer die Knutschecke zeigen." Dabei grinste sie schüchtern und es zeigte Wirkung. „Nur zu gern", erwiderte Alice und führten die Neue über den Hof. Kyra verfluchte sich selbst für diese Bitte und versuchte, nicht einfach wegzurennen. Die Büsche waren nicht sehr spektakulär, zumal sie von dem Zaun durchtrennt wurden, welcher das Schulgelände abgrenzte. Nun doch interessiert bedachte sie den leicht durchtrennbaren Draht und das Laub darunter. Man muss nicht mal eine Zange benutzen, sondern kann sich einfach wie ein Hund ein Loch buddeln und drunter durch. Aber oben drüber wäre schwerer. Sie bedachte die drei Meter Höhe des Zauns und die Instabilität, welche jeden Aus– oder Einbrecher zur Seite kippen lassen würde, der versuchte drüber zu klettern. „...jemanden hast, kannst du dich auch mit ihm hier treffen", erklärte Alice gerade aufgeregt und deutete auf den Zaun. Kyra zog eine Augenbraue hoch. „Wenn ich schon jemanden habe?" „Na du weißt schon." Anzüglich grinste sie und Ky unterdrückte ein Augenverdrehen. „Ich bin momentan Single, keine Sorge." Tiffeny legte den Kopf schief. „Du sagst das, als ob es was schönes wäre." „Ist es auch. Man muss ja nicht ständig auf jemanden angewiesen sein, oder?" Kyra schickte tausend Gebete zum Himmel, dass diese Gänse wenigstens verstehen würden, wie sie dies meinte. Doch weit gefehlt. „Ach komm, du hast dir doch bestimmt schon jemanden aus der Klasse rausgesucht!" Wissbegierig und sich vollkommen sicher recht zu haben, starrte Alice die Neue an bis diese den Wunsch verspürte, sich hier und jetzt mit dem Drahtzaun zu strangulieren. Das künstliche Lächeln der beiden Mädchen war ihr ein Dorn im Auge und liebend gern würde sie wissen, wie die beiden wirklich waren. Wessen Gesicht sie sich selbst zeigten, wie sie sich selbst sahen. Kyra schüttelte den Kopf. „Bedaure, aber in der einen Stunde habe ich mich noch nicht verliebt." Den leichten Sarkasmus konnte sie nicht aus ihrer Stimme verbannen, doch den Mädchen schien es nicht aufzufallen. Alice seufzte leicht, so das Ky schon fürchtete sie hätte einen Ohnmachtsanfall. „Also ich finde Ja Logan total toll." Ihr Blick ging ins Leere, während Tiffeny ihr einen freundschaftlichen Klapps verpasste. „Und er dich bestimmt auch, also hör auf zu Sabbern." „Musst du gerade sagen", erwiderte Alice neckend. „Jeder weiß, dass du in Connor verschossen bist." „Gar nicht wahr." Götter oder wer auch immer dort oben ist, holt mich aus dieser Hölle! Am liebsten hätte Kyra diese Worte hinaus geschrien. Wirklich jeder Teufelskeller war angenehmer, als diese Ecke und sie beschloss nur noch hier her zu kommen, wenn sie vor einem Amokläufer flüchten müsste. „Habe ich hier gerade meinen Namen gehört?" Die Stimme hatte etwas verführerisches an sich und sofort stieg die Abscheu in Ky hoch. Drei Jungs lugten hinter die Büsche und Tiffeny und Alice sprangen auf. Beide wurden knallrot, während Kyra nur blinzelte. Alle drei waren in ihrer Klasse und saßen einige Reihen vor ihr, wobei es der Eine war, der „Nerd" gerufen hatte. „Connor", grinste Tiffeny. Ihre Hände zitterten leicht und Ky sah ihr die Aufregung an. „Ich dachte mir schon, das ihr hier seit", erwiderte der Junge und lehnte sich lässig gegen den Zaun, ein süffisantes Grinsen auf dem Gesicht. Er bedachte Kyra mit einem für sie unverständlich, gierigen Blick, welchen sie ruhig erwiderte. „Wolltet der Neuen wohl die schönste Ecke des Hofes zeigen, was?" „Ja, sie hat drum gebeten", erwiderte Alice, wobei ihre schmachtenden Blicke auf dem kurzhaarigen Jungen hinter Connor lag. Das muss dann wohl Logan sein, dachte Ky. „Oho, Ja diesen Platz sollte man kennen. Vielleicht trifft man sich hier mal." Connors Stimme war ihr unangenehm, doch erwidern sollte sie nichts. Der Dritte meinte grinsend: „Wir wollten wissen, ob heute Abend noch ansteht? Mädels?" Tiffeny und Alice nickten heftig, während sich Connor zu Kyra vorbeugte. Diese versuchte nicht zurückzuweichen, nahm sich allerdings vor ihm jeden Knochen zu brechen, sollte er es wagen sie einfach zu küssen. Wie beim letzten Mal. Dann sehe ich, wer er wirklich ist. „Kommst du auch? Wir treffen uns heute Abend mit der Klasse in einem Club in der Riversstreet." Ky schloss die Augen und sah von ihm, zu seinem Freund und den Mädels und schluckte den Kloß in ihrem Magen nur schwer hinunter. „Sehr gern", sprach sie dann mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen. Connor grinste nur. „Dann bis Morgen, Süße."

Killing Love - Nicolas und KyraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt