Zwei

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Als Liz frisch geduscht das Badezimmer verlässt, kocht sie noch immer vor Wut. Sie hat gehofft, die Dusche würde sie entspannen und abkühlen, aber nein. Das Feuer in ihr lodert noch immer und Sirius kann von Glück reden, dass er wohl schon unterwegs ist. Neben der Wut nagt allerdings auch das schlechte Gewissen an ihr. Sie hat doch so fest vorgehabt, nicht im Schlechten mit ihm auseinander zu gehen und nun ist das Letzte, was sie ihm ins Gesicht gepfeffert hat, eine indirekte Morddrohung gewesen.

Bei Merlin, was ist nur mit ihr los? Das neu entdeckte Temperament, das erst seit ihrem Schulabschluss an die Oberfläche gekrochen ist, ist für sie noch immer so ungewohnt. Als müsste sie lernen, einen Drachen zu bändigen. Einen wilden, tollwütigen Drachen. Normal erscheint Liz das nicht.

Sie seufzt und schnippt sanft gegen ihren Zauberstab, woraufhin der ihre rotbraunen Haare in Sekundenschnelle trocknet und entwirrt. Dann bindet sie sie in einem Knoten im Nacken zusammen und legt ihre Arbeitskleidung an. In dem Azur-blauen, Schienbeinlangen Kleid mit der weißen Schürze und Haube kommt sie sich wie ein Großmütterchen vor. Laut Sirius ist es aber eine sexy Krankenschwesteruniform. Vielleicht sollte er doch einer ihrer Patienten und ins St.Mungo eingeliefert werden. Dieser Mann ist verrückt. Das denkt sich Liz nicht zum ersten Mal.

Ein Geräusch aus dem Wohnbereich lässt sie zusammenzucken. Es klingt wie ein leises Klacken und als sie sich im Zimmer umsieht, entdeckt sie die Ursache. Ein kleiner, bunter Vogel, den sie noch nie bisher gesehen hat, klopft wild flatternd mit seinem Schnabel gegen das Fensterglas. Ein Brief hängt an seinem winzigen Beinchen und Liz Herz beginnt fast so aufgeregt zu flattern, wie die rot schimmernden Flügel des Vogels. Es gibt nur noch drei Menschen in ihrem Freundeskreis, die ihr Briefe schicken. Und die ordentliche, geschwungene Schrift auf dem Umschlag würde sie überall wieder erkennen.
Ihre Vermutung bestätigt sich, als sie den exotischen Vogel einlässt, ihm den Brief abnimmt und ihn aufreißt.

Liebe Liz, lieber Sirius,

Wir sind in der Karibik! Oder jedenfalls glauben wir das, ihr kennt ja James Orientierungssinn. Jedenfalls gibt es hier unheimlich viel Sonne, Cocktails und halbnackte Frauen, die vor allem James ganz besonders toll findet. Würde mich nicht wundern, wenn er für immer hier bleiben wollen würde. Abgesehen davon sind hier auch viele interessante Tierarten, die ich noch nie gesehen habe. (Unter anderem das kleine Kerlchen, das euch den Brief gebracht hat.) Es ist wirklich ein Paradies.
Genug von uns: Wie geht es euch? Wie läuft die Arbeit und der Orden? Hat Sirius inzwischen mal sein Motorrad reparieren können?

Wir vermissen euch und haben euch ganz doll lieb,

Lily & James

PS: Spart euch die Antworten in einem Brief. Kleine Überraschung: Wir kommen in einer Woche wieder nachhause! Erzählt uns dann alles!

Liz grinst den Brief an und schiebt ihn mit einem hastigen Blick auf die Standuhr eilig in die schmale Tasche ihrer Schürze. Sie darf keine Zeit mehr verlieren, sonst kommt sie tatsächlich noch zu spät.

Zu dieser Zeit am Morgen sind die Straßen Londons überfüllt. Massen an Muggeln, die, das seltsame Gerät, das wohl dieselbe Funktion hat wie ihr Haustelefon, ans Ohr gepresst, eilig zu ihren nächsten Terminen hasten und dabei das altmodische Backsteingebäude mit dem Namen Reinig und Tunkunter GmbH komplett übersehen. Liz tritt an das Schaufenster, flüstert der hässlichsten Schaufensterpuppe zu, dass sie zur Arbeit will und tritt dann flink durch das Fenster, das sie in den belebten Empfangsraum führt.

Die füllige Empfangsdame, Miss Witkons, begrüßt Liz wie jeden Tag mit einem pikierten Nicken, ehe sie sich wieder ihren Fingernägeln widmet. Liz hat den starken Verdacht, dass Miss Witkons sie nicht ausstehen kann, doch der Grund ist ihr schleierhaft. Andererseits interessiert es sie auch herzlich wenig.

Eilig erklimmt sie die Treppe zum ersten Stock. Verletzungen durch Tierwesen steht in grünen, geschwungenen Buchstaben über dem Türbogen und als sie die schwere Doppeltür aufstößt, kommt ihr sogleich eine aufgebrachte Schwester über den Weg.

„Amaryllis, Merlin sei Dank, Sie sind hier!", stößt die blonde Dame mittleren Alters erleichtert aus.
Liz blickt sich in dem Chaos um.
„Was ist denn hier passiert, Glenda?", fragt sie erstaunt und weicht einem Kugelschreiber aus, der mit der Spitze voran auf sie zugesaust kommt.

Während sie der gestressten Glenda den Gang entlang folgt, erklärt diese ihr den Grund für den Aufruhr. „Wichtel!", ruft diese händeringend, „Ein ganzer Schwarm! Dieser Vollidiot hat sie mitgebracht, weil einer ihm den kleinen Finger abgebissen hat und er wissen will, ob die Viecher giftig sind."
„Wer?"
„Leander Lawn."
„Der, der letzte Woche den dreiköpfigen Hamster mitgebracht hat? Hat der nicht den anderen kleinen Finger abgebissen?"
„Ganz genau! Wenn Lawn so weitermacht, hat er irgendwann gar keine Finger mehr!"

Liz stöhnt innerlich auf, während sie sich im Laufen die Schutzhandschuhe überzieht. Der ältere Mann, Leander Lawn, sitzt ruhig wie der Seelenfrieden selbst auf dem Krankenbett und scheint das Chaos um ihn herum mit milder Neugier zu betrachten. Die knallblauen Wichtel surren im ganzen Flügel herum, ziehen den Patienten an den Haaren, kneifen den Krankenschwester in die Wangen und den Po und stülpen Bettpfannen um, während sie kichern und kreischen und an den Kronleuchtern rütteln.

Liz packt gleich zwei Wichtel, die gerade vorhatten, Glenda an den Ohren zu ziehen, ignoriert die spitzen Zähnchen, die sich durch den Handschuh bohren und stopft sie in den Vogelkäfig, der neben Mr Lawn steht.

„Hallo, Schwester Amaryllis!", begrüßt der sie fröhlich und wippt mit den Beinen.

Liz hat für ihn nur ein schwaches Lächeln übrig. Mr Lawn scheint wie ein harmloser, freundlicher alter Mann, doch er liebt es Unruhe zu stiften. Mindestens ein Mal im Monat kommt er wegen irgendeines Wehwehchens ins St Mungos und dann bricht Chaos aus, ob wegen ein paar Wichteln oder eines dreiköpfigen Hamsters. Das Rentnerleben muss wohl ziemlich langweilig sein.
Als hätten sie hier nicht schon genug zutun.

Liz schockt gleich fünf Wichtel auf einmal, packt sie zu den anderen in den Käfig und hilft den anderen Krankenschwestern die restlichen aufzufinden, die sich, nun da sich die Jagd auf sie eröffnet hat, in jeder Nische verstecken.

Zur Mittagszeit haben sie schließlich alle im Käfig untergebracht, hängen ein dickes Schloss davor und lassen ihn von den Experten für listige Tierwesen abholen.

Die Arbeit ist jedoch noch lange nicht vorbei. Überall hängen Tapetenfetzen herunter, Kronleuchter hängen schief von der Decke, allerlei Scherben und Stofffetzen liegen verstreut in den Zimmer und Gängen und die vielen aufgescheuchten Patienten brauchen alle einen Schluck des Beruhigungstrankes, den die Schwestern für den Notfall immer Flaschenweise auf Lager haben.

Mr Lawn tut der Schaden, den er mit seinen Wichteln angerichtet hat, wohl nicht leid. Zufrieden pfeifend sitzt er nach wie vor auf seinem Krankenbett und beobachtet die Schwestern, die alles wieder aufräumen müssen.
Glenda, die vor ihm steht und ihm eine Predigt hält, ignoriert er.

Liz schüttelt verständnislos den Kopf. Dass man Mr Lawn noch kein Hausverbot erteilt hat, versteht sie nicht. Spätestens jetzt wäre es mal Zeit. Nein - eigentlich wäre es schon vor Monaten Zeit gewesen.

Etwas zu fest tupft sie die Wunde eines jungen Mädchens sauber. „Entschuldige", murmelt sie schnell, „Die Wunde ist nicht tief, der Crup-Biss wird schnell heilen. Besonders wenn sie Welpen sind und langsam wachsen, können sie ganz schön wild werden. Sei das nächste mal vorsichtiger, ja?" Dann verschreibt sie ihr noch eine Kräutermischung, die den Crub in seinem Wachstum entspannen soll.

Am Feierabend ist sie ernsthaft am überlegen, ob die sich auch ein paar Pfund davon genehmigen soll. Die Arbeit im St Mungos Hospital ist kräftezehrender den je, zumal Liz Zuhause auch noch einen Esel hat, der sturer nicht sein könnte.

***

Nächstes Kapitel wird es spicy 👀👀

𝐚𝐛𝐨𝐮𝐭 𝐩𝐚𝐢𝐧, 𝐩𝐚𝐬𝐭 & 𝐩𝐫𝐞𝐬𝐞𝐧𝐜𝐞 | 𝐑𝐮𝐦𝐭𝐫𝐞𝐢𝐛𝐞𝐫Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt