Mein Körper ächzte leise, als ich mich bewegte.
Von warmer Dunkelheit umgeben drehte ich mich auf den Bauch und starrte zum Fenster. Dicke Vorhänge waren davor zugezogen, nur ein kleiner Spalt ließ Morgenlicht hinein. Ich konnte die angeschlagene Fensterscheibe dahinter erspähen, die kahlen Bäume draußen, die als Opfergabe an den Winter ihre Pracht fallen hatten lassen, um jetzt den Schnee und Regen und Wind zu empfangen, nackt und gebeugt.
Manchmal fühlte ich mich genauso. Wie eine Opfergabe. Eine Opfergabe der Menschheit, eine Opfergabe meiner Mutter und Vater an Gott und die Welt, an Kapitalismus und Patriotismus, nur um sich ein besseres Leben zu verschaffen.
Ich wandte meinen Blick vom Fenster weg und schaute hinunter zu den Kleidungsstücken, die verstreut am Teppichboden lagen. Mein Wecker würde in fünf Minuten gehen und dann der nächste wieder in zehn. Wach war ich, sogar schon lange vor dem schrillen Läuten, doch die eigentlich Müdigkeit, die wollte mich gottverdammt nicht in Ruhe lassen.
Ich würde lila Augenringe den dunklen Rändern meiner Seele bevorzugen, würde Schlafmangel über der innerlichen Unruhe wählen, hätte ich je die Wahl.
Bei Gott, ich war so müde nach all den Jahren geworden. Gefangen war ich, in einem jungen Körper, mit einer alten, niedergetretenen Seele. Hör hin: Meine Gelenke, sie ächzten bei jeder Bewegung, sie lechzten blutend nach Abbitte. Aber nicht so wie mein Geist, der lang schon kreischend nach einer Ruhe flehte, die ich ihm nicht gönnen konnte.
Mein Blick flackerte von den Klamotten wieder zum Fenster zurück und die Pupillen wurden im Licht ganz klein.
An Ruhe konnte ich nicht denken.
Alenja scharrte mit ihren Stiefeln im übrig geblieben Schnee am Schulhof herum und zündete sich dann eine Zigarette an.
»Wie geht's?«
»Wundervoll«, ich schaute gen Himmel und atmete den Rauch ganz tief ein, bis es wehtat, »ich verspüre neulich so eine unglaubliche Energie, die mich inspiriert, ein besserer Mensch sein zu wollen.«
»Eliska, du bist eine schlechte Lügnerin.«
»Kann ich nicht bestreiten. Das war aber Ironie, Alenja.«
»Dann bist du halt pessimistisch. Genauso schlimm.«
Ich schmunzelte und schnippte Asche auf den Boden. In zehn Minuten würde die Mittagspause enden und die ersten Schüler verschwanden schon wieder im Gebäude. »Pessimistisch zu sein bringt mir die einzige Freude im Leben: Ich kann mich ungestört über alles und nichts aufregen, was gibt es besseres?«
»Versteh' ich nicht.«
»Voltaire war schon Pessimist. Die besten Bücher handeln von Tod und Tragik, nicht von Romantik und Glück. Wieso sollte ich dann frohlockend durch die Gegend laufen?«
Alenja zog sich die Kapuze ihrer schwarzen Daunenjacke über den Kopf und schaute mich misstrauisch an. »Voltaire hat im 15. Jahrhundert gelebt, da hatte man Grund genug pessimistisch zu sein.«
»Gutes Mädchen. Siehst du, du bist schlauer, als du allen Lehrern immer sagst«, zog ich sie auf.
Wir hatten ein seltsamen Verhältnis. Im Unterricht sprachen wir nie miteinander, schenkten uns keinen einzigen Blick — mit mir gesehen zu werden war zu etwas geworden, was man vermeiden wollte — dennoch trafen wir uns in der Mittagspause immer wieder hinter den Mistkübeln, um eine Zigarette und Schlagabtäusche zu teilen.
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ABBITTE
Poetry«Vermisst du mich manchmal?» Jetzt schaute sie mich an. Wir hielten Augenkontakt für eine Sekunde zu lange, bevor sie wieder wegblickte. Und mein Herz schlug eine Spur zu schnell, als dass ich mir einreden konnte, sie hätte nach all den Jahren keine...