Das Gleichnis von den Wanderern

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Es gingen einige Wanderer über einen Berg. Sie waren schon zwei Tage und zwei Nächte gegangen und waren verzweifelt, denn sie suchten ringsumher, aber sie fanden kein Wasser zum Trinken und nicht das kleinste essbare Kraut. Ohne Voraussicht hatten sie ihre Vorräte bereits am ersten Tag verspeist. Auch ihre Schläuche waren bis zum letzten Tropfen geleert.

Am Ende des dritten Tages trafen sie einen Mann. Er war den Weg von der anderen Seite des Berges gegangen. Er trug keine Vorräte. Sogleich fragten sie: Bist du auf dem Weg hinab in das Tal? Er antwortete: Das bin ich. Da fragten sie ihn: Sag uns, gibt es voran eine Quelle oder einen See, an dem wir unsere Schläuche und unsere Münder füllen können? Und er antwortete: Den gibt es. Es fließt ein kleiner Bach nur eine Nacht und einen Tag entfernt. Also fragten sie: Sag uns, gibt es auch Früchte voran, die wir essen und in unseren Taschen tragen können? Und wieder antwortete er: Auch die gibt es. Der Bach fließt durch ein Gebüsch, an dem wachsen rote Beeren. Es sind nicht viele, doch für euch werden sie reichen, wie sie für mich gereicht haben. Am Ende des vierten Tages fanden sie einen Bach, wie es der Mann gesagt hatte. Neben dem Bach wuchs das Gebüsch mit roten Beeren. Sie eilten dorthin, um ihre Taschen und Schläuche zu füllen. Sie waren sehr froh.
Sie also dankten und liefen sogleich weiter, weil sie den Bach erreichen wollten.

Da begegnete ihnen ein zweiter Mann, den sie herzlich begrüßten. Er aber sprach sofort: Trinkt nicht aus dem Bach, denn er ist schlecht. Rührt auch die Beeren nicht an, denn sie vergiften euch. Verwundert fragte da jemand: Ein Wanderer hat uns hierher geschickt zu essen und zu trinken. Warum soll er uns in die Irre geführt haben? Der Mann sprach: Der ist ein böser Mann. Er wandert den Weg hin und rück und bringt jedem Wanderer auf seinem Weg Unheil. Aber eine Nacht entfernt steht ein lichter Wald. Dort werdet ihr nicht Beeren und einen Fluss finden, aber die Äste der Bäume hängen tief, und an den Ästen findet ihr saftige Blätter. Sie sind nicht giftig wie die Beeren. Als er das gesagt hatte, ging er fort.

Da erhob sich ein lautes Gezänk, denn niemand wusste, was zu tun war. Die einen riefen: Er will die Beeren allein verzehren und nicht teilen! Wir werden sterben, wenn wir weiterziehen! Die anderen riefen: Es bleibt uns noch eine Nacht, bevor wir verdursten! Wie können wir dann den rettenden Wald erreichen, wenn wir hier bleiben und giftige Beeren sammeln? Wir werden sterben, wenn wir hier rasten!

So war die Gruppe uneins und teilte sich, denn es war jedem bewusst, dass es nicht helfen konnte, wenn man noch länger zankte. Jene, die den Wald suchen wollten, brachen gleich auf. Die aber, die bleiben wollten, sammelten nach dem Streit Beeren und schöpften aus dem Bach. Als die Schläuche und Taschen gefüllt waren, aß einer eine Beere und trank einen Schluck Wasser. Alle warteten und schauten, denn sie wussten nicht recht, ob der zweite Mann nicht doch die Wahrheit gesagt hatte. Dann aber sahen sie, dass ihm kein Leid geschah.

So aßen und tranken sie. Dann rasteten sie eine Nacht lang, denn sie waren erschöpft von ihrer Wanderung. Am nächsten Morgen brachen sie wieder auf. Sie gingen den Weg weiter. Das war einfach, denn der Weg war gerade und es gab keinen Abzweig.

Als es Abend wurde, sahen sie, dass vor ihnen eine Gruppe Menschen am Wegesrand lag. Sie kamen näher und erkannten ihre Kameraden, die verdurstet waren. Es war ringsum kein Wald zu sehen, denn der zweite Mann hatte gelogen. Die Wanderer wurden wütend und zogen entschlossen weiter, um künftig jeden zu warnen, der die Wanderung über den Berg wagen sollte.

Die andere Gruppe, die nach dem Streit weitergezogen war, wanderte die ganze Nacht. Der Weg war leicht und eindeutig, denn es gab keinen Abzweig. Sie verspürten alle einen großen Durst. Da ging endlich die Sonne auf. Wie der Mann es gesagt hatte, fanden sie einen Wald. Sie liefen hinein und fanden die Blätter. Sie waren saftig, wie der Mann es gesagt hatte. Also aßen sie, wie ihnen geraten worden war. Da waren sie erfrischt und ihr Durst war gestillt. Sie fanden auch einige Rüben, von denen sie speisten. Da sie nicht wussten, was mit der anderen Gruppe geschehen war, beschlossen sie, einen Tag lang zu warten. Als aber der nächste Tag anbrach und ihre Kameraden nicht zu ihnen gestoßen waren, wussten sie, dass jene an den Beeren und dem Wasser gestorben waren, denn der erste Mann hatte gelogen. Da wurden sie wütend und zogen entschlossen weiter, um künftig jeden zu warnen, der die Wanderung über den Berg wagen sollte.

Das Gleichnis von den WanderernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt