England 1919
Es war kalt. Schneeflocken tänzelten vom Himmel und waren kaum von der Asche zu unterscheiden, die aus den Fabriköfen stob.
Meine Finger waren steif gefroren und die dünne Jacke, die ich trug, war nicht annähernd für diese Kälte ausgelegt.
Ich wusste nicht genau, wann ich das letzte Mal nicht gefroren hatte. Wann ich das letzte Mal ausgeschlafen und nicht hungrig gewesen war.
Doch jetzt war ich endlich zuhause.
Viel zu lange hatte ich diese Straßen nicht mehr betreten.
Der Pferderücken auf dem ich saß, war angenehm warm, dennoch schwang ich mich von dem pechschwarzen Hengst und landete leise fluchend auf meinen schmerzenden Füßen. Ich hielt die Zügel zwischen meinen steifgefrorenen Fingern und führte meinen treuen Begleiter weiter über das Kopfsteinpflaster. Seine Hufe klapperten in einem beruhigenden Rhythmus.
Ich sah und spürte neugierige Blicke auf mir. Es war früh am Morgen und die Stadt erwachte zum Leben. Hier im East End dieser gottlosen Stadt kannte jeder meinen Namen. Das war nicht mein Verdienst. Ich war nun mal die Frau von Thomas Shelby. Nun ich war sogar mittlerweile seine Ehefrau. In den Wirren des Krieges hatten wir uns nahe Verdun trauen lassen. Ein Funken Hoffnung in einem Krieg, in dem es eigentlich keine Hoffnung gab. Nur wenige Wochen später wurde ich in ein Kriegslazarett bei Paris geschickt, Tommy blieb bei Verdun. Ein Wunder, dass er lebte. Obwohl ich aufgehört hatte an Wunder zu glauben.
Der Krieg war nun seit einem Jahr vorüber und ich hatte kein einziges Lebenszeichen von mir gegeben. Keinen Brief hatte ich geschrieben, seit ich nach Paris gegangen war. Neben mir begannen drei Frauen hektisch zu flüstern. Ich konnte Tommys Namen aufschnappen und dann meinen. Gerne hätte ich ihnen gesagt, dass ich genau die war, für die sie mich hielten. Ich war Lenox Shelby, Thomas Shelbys Frau. Ich war immer seine Lenox gewesen. Wenn ich überhaupt jemandem gehörte, dann ihm.
Daran hatte auch die Zeit, die wir nun getrennt gewesen waren, nichts geändert. Zumindest nicht für mich. Doch Tommy und der Rest der Shelbys glaubte mich seit über einem Jahr tot. Für ihn spielte ich sicherlich mittlerweile keine Rolle mehr. Ich atmete tief ein, um mich zu beruhigen. Ich lief weiter. Ignorierte meine höllisch schmerzenden Füße. Wenn ich Pech hatte, war der Tratsch schneller als ich. Hier in Small Heath verteilten sich Neuigkeiten schneller als die Pocken.
Die Luft war rauchig im Gastraum des Garrison, dem Pub der Peaky Blinders. Das Licht war gedimmt, wie immer. Der Barkeeper stand hinterm Tresen, sonst war niemand da. Als ich die Tür öffnete, blitzte die Sonne in den halbdunklen Saal und winzige Staubpartikel tanzten für ein paar kurze Sekunden im Licht. „Geschlossen", kam mürrisch von dem Mann hinter dem Tresen. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, seine Stimme kannte ich nicht. Er hatte den Blick gesenkt, polierte Gläser. Es roch nach Whisky und Rauch. Nach altem Leder und Schweiß. Es roch wie immer. So, wie ich es in Erinnerung hatte.
„Entweder bist du neu hier oder lebensmüde, Mädchen", knurrte plötzlich jemand neben mir und packte mich fest am Arm. Seine Finger bohrten sich in meinen Oberarm, doch ich wandte mich ihm ungerührt zu. „Weder noch", antwortete ich und schenkte ihm ein Lächeln. Jetzt erkannte ich auch den Unbekannten und er offenbar mich. „Lenox?", fragte er ungläubig, ich nickte. Vor mir stand Arthur Shelby, der älteste der Shelby Brüder. Er sah müde aus, war älter geworden. Der Krieg schien auch auf ihm seine Spuren hinterlassen zu haben.
Mir wurde erneut schmerzlich bewusst, wie lange ich fort gewesen war.
Arthur zog mich in seine Arme. „Mein Gott, wir dachten du bist tot. Tommy dachte du bist tot, Oh Gott." Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu weinen.
„Ich weiß", sagte ich dann tonlos. Er löste sich von mir und sah mich genau an. „Lenox, weiß Tommy, dass du hier bist?" Seine Stimme war plötzlich ernst. Ich schluckte. Dann fiel mir erst der junge Mann neben Arthur auf. Er war eindeutig ein Peaky Blinder. Er sah gepflegt aus, hatte die typische Kappe auf, die alle trugen, sobald sie zum Shelby Clan gehörten. Seine Augenbrauen waren irritiert zusammen gezogen und dann erkannte ich ihn.
„Finn?", schluckte ich. Der kleine Finn war beinahe ein Teenager. Vor dem Krieg hatte ich mich oft um ihn gekümmert.
Arthur nickte und Finn musterte mich neugierig, schien mich allmählich zu erkennen.
Ich schenkte ihm ein Lächeln, doch mehr musste warten.
„Arthur, bring mich zu ihm", sagte ich dann. Meine Stimme zitterte und ich konnte meine Angst nicht verbergen.
Als wir die Geschäftsräume der Peaky Blinders betraten, tobte dort wie immer stetiges Treiben. Alle wuselten durcheinander, rauchten, schrien einander Namen und Beträge zu. Manche verfolgten Pferderennen im Radio, andere sortierten Whiskyflaschen in Kisten. Dann sah ich Tommy. Er sah aus, als wäre er um Jahre gealtert. Er saß entspannt in einem der Ledersessel, als Auge des Sturms war er ruhig. Um ihn wirbelten die Männer, doch er rauchte lässig seine Zigarette und blätterte in einem Buch.
Mein Puls raste, meine Hände waren schwitzig. Ich krallte mich plötzlich in Arthurs Arm und signalisierte ihm stehen zu bleiben. „Ich glaub ich kann das nicht", flüsterte ich und er sah mich ungläubig an. Noch waren wir unentdeckt, noch konnte ich verschwinden und mir diese Idee, in mein altes Leben zurückzukehren, aus dem Kopf schlagen. Ich verspürte den Drang auf dem Absatz umzukehren und gleichzeitig wollte ich einfach nur in Tommys Arme sinken. Das Verlangen nach meinem Ehemann war enorm. Viel zu lange hatte ich ihn nicht gesehen und jetzt, wo ich es tat, konnte ich mir nicht vorstellen, ihn je wieder gehen zu lassen.
„Lenox?". Die Stimme von Thomas Shelby ließ alle Anwesenden verstummen. Ich sah zu ihm und nickte. Arthur schob mich sanft weiter, ich konnte nicht gehen.
Tommy starrte mich an, ich starrte zurück. Ich kam nicht umhin daran zu denken, wie es war, bevor der Krieg begonnen hatte.
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Niemandsland
FanfictionEngland 1919 Der 1. Weltkrieg ist vorüber, doch die Wunden, die er hinterlassen hat, sind noch lange nicht verheilt. In Birmingham haben sich die Shelby Brüder mit ihren Peaky Binders einen Namen gemacht und Lenox kehrt dorthin zurück. Zurück nach...