éadig geol - (gesegnetes Yule)

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Kalt fielen die Schneeflocken zu Boden und verwandelten die dunkle, festgetretene Erde mit einer im flackernden Feuerschein wie abertausende aus hellen Kristallen glitzernde Schicht.
Missmutig starrte der hochgewachsene Krieger aus seinem Zelt zu seinen Mannen, die in Gruppen zwischen ihren kleinen Schlafzelten um vereinzelte Lagerfeuer saßen und an gepökeltem Fleisch herumnagten, das in kargen Suppen zu finden war. Die Nacht war kalt und der Schnee würde noch die ganze Nacht fallen. Dunkle schwere Wolken verdeckten das Licht des hellen Mondes. Das flockige Weiß, das leicht vom Himmel trudelte, würde ihren Reittieren das Vorgehen am nächsten Tag um einiges erschweren. Notfalls müssten sie ihre Pferde führen, damit diese sich nicht unter dem Gewicht ihres Reiters in voller Rüstung überanstrengten und zurückgelassen werden mussten. Nur ungern wollte der Krieger ein einziges Leben verschwenden, und sei es auch nur das Leben eines Packpferdes. Um diese Zeit hätten sie alle schon zur Eröffnung der Yulefestlichkeiten in Meduseld sitzen sollen, und alle mit einen Becher Met zur Hand anstoßen in der Hoffnung auf eine bessere, neue Zeit mit der Wiedergeburt der Sonne. Die Festlichkeiten würden noch ganze zwölf Tage dauern, aber niemand verpasste gerne auch nur einen. Yule war immer die Zeit des Überschusses und Friedens. Das Vieh, das den Winter nicht überstehen würde, wurde geschlachtet. Es gab reiche Mahlzeiten. Met und Bier floss in Mengen, kein Krieger und kein Bürger musste arbeiten und lang getrennte Familien wurden wieder vereint. Es war, abgesehen, man schaute mal zu tief in den Bierkrug, die schönste Zeit des Jahres. Die Yulefestlichkeiten erhellten die dunkelsten Nächte. Das neue Erstarken der Sonne sowie die wieder länger werdenden Tage, die Hoffnung in den Herzen aufblühen ließ, wurde gefeiert.
In Erinnerung schwelgend, zog sich der Krieger seinen Klappenrock enger um den Leib. Er hatte seinen Harnisch schon lange gegen warme, dicke Wollkleidung getauscht. Nur das Schwert in einer ledernen Scheide an der Hüfte zeichnete ihn noch als geübten Kämpfer aus. Selten nur legte er seine Rüstung beiseite, schon gar nicht unterwegs wie jetzt. Er war zu unsicheren Zeiten aufgewachsen. Wenn die alten Händler erzählten, dass sie einmal in jungen Jahren ohne jegliche berittenen Krieger als Geleit von einem Dorf aus der Westfold nach Edoras reisten, weder überfallen zu werden noch in anderweitige Konflikte zu geraten, so konnte er sich das nur schwer vorstellen. Berichte von Überfällen von Orks auf jegliche Reisenden oder kleine Dörfer, die es aber kaum mehr gab, waren zur Normalität geworden. Sobald sein König ihm erlaubt hatte, an der Seite seines Sohnes zu reiten, jagten sie die Orks über die weiten Ebenen Rohans, gaben Händlern Geleitschutz und rächten geplünderte Dörfer. Binnen den letzten Jahren war es jedoch schlimmer geworden. Die Orks hatten an Ausdauer gewonnen, und ebenso munkelten einige, Menschen aus Dunland befänden sich unter den Höllenbiestern. Es hatte zuvor immer kleine Auseinandersetzungen zwischen den Rohirrim und Dunländern gegeben, allerdings waren die Dunländer seit dem langen Winter nie mehr so vehement und grausam gegen ihre Nachbarn vorgegangen. Ein Schauer überlief den Krieger trotz seiner für ihn langjährigen Kriegserfahrung. Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf, die er am liebsten für immer vergessen wollte. Im Kampf selbst empfand er nie irgendetwas wie Graus, da gab es nur den Feind und den Wert des eigenen Lebens. Erst danach wurde er sich der schlimmen Tat bewusst. Das Abscheulichste jedoch war der Anblick, der sich bot, wenn man zu spät kam und nur noch den geschändeten Toten die letzte Ehre erweisen konnten. Wie um die Gedanken zu verscheuchen, schüttelte er den Kopf. Vielleicht hatte er gerade deswegen seine Rüstung abgenommen. Mit Yule brach die Zeit des Friedens an, und bei diesem Schneesturm sollte niemand auf die Idee kommen, sie zu attackieren, wenn die Feinde überhaupt die wenigen mickrigen Feuer sehen konnten. Zumindest hoffte er es. Ansonsten stürbe er töricht wie sein Vater. Für eine kurze Weile beobachtete er noch den Offizier seiner éored, der einem der Soldaten, die um das Lager als Wache postiert waren, einen Witz zu seinem Bestem gab. Fernes Gelächter erscholl dumpf durch das dichter werdende Schneetreiben. Wenigsten hatten die für einen kurzen Moment ihre Freude.
Könnte er doch selbst unbeschwerter sein. Meist spukte ihm zu viel Besorgniserregendes durch den Kopf. Seit letztem Sommer trug er die ganze Verantwortung über eine eigene éored, ja über die ganze Ostmark und deren Bewohner. Nach jahrelanger Lehre hatte er schließlich den früheren Titel seines Vaters des Dritten Marschalls der Mark übernommen. In der ganzen Geschichte der Eorlinga war er der bis jetzt Jüngste, der zu diesem Titel ernannt wurde. Infolgedessen verlangte das Gesetz, dass er nach 24 Jahren in Edoras unter der Obhut seines Oheims wieder in Aldburg einziehen durfte. In der ehemaligen Halle, in der seine Vorfahren regiert hatten, sollte nun auch er sein Recht sprechen, seine Entscheidungen treffen und seinen Teil zum ganzen Königreich Rohan beitragen. Wobei die wichtigste Aufgabe war, jedem Einwohner, Sicherheit zu gewähren. Bürger sowie Krieger schworen nur demjenigen ihre Treue, der ihnen eine sichere Zukunft gewährte. Angesichts dessen hatte er mit seinen Kriegern Pläne ausgearbeitet, um diesem Auftrag gerecht zu werden. Leider hatte er jedoch die Rechnung ohne des Königs wichtigsten Ratgeber Gríma gemacht. Als neuer Herr in Aldburg hatte er zwar Befehlsgewalt über die Ostfold und die ganze Ostemnet, doch unterstand er als Marschall immer noch dem König und seinen Beratern in Edoras.
Gríma war mittlerweile der engste Vertraute und Ratgeber Théodens. Im Stillen nannte der junge Herr über Aldburg ihn oft Gríma Schlangenzunge, denn eine Schlange war er. Listig und hinterhältig wie die alten Lindwürmer in den Geschichten, tischte er den Leuten Lügen auf. Manchmal beschlich den jungen Herrn über Aldburg auch das mulmige Gefühl, dass es Schlangenzunge war, der Théoden gedrängt hatte, ihm so früh den Titel seines Vaters zu geben. Sein Misstrauen, das er Gríma gegenüber hegte, war bekannt in Meduseld. Ernannte ihn der König zum Dritten Marschall, so musste er dem Folge leisten und sein Heim in Aldburg beziehen. Für Gríma war er damit in der goldenen Halle aus dem Weg geräumt. Und dann war dort niemand mehr, der Schlangenzunges faulen Pläne verpfuschen konnte. Zudem hatte die Versetzung den neuen jungen Herrn auch von seiner Schwester getrennt. Zusammen waren sie als Kinder nach dem Tod ihren Eltern nach Edoras geholt worden. Damals hatte er sich geschworen, sie gegen jedes Übel zu beschützen, aber jetzt waren ihm die Hände gebunden seinem Eid Folge zu leisten, obschon er versuchte, sooft die Pflichten in Aldburg es ihm erlaubten, mit ein paar Mannen seiner éored nach Edoras zu reiten. Er war gezwungen dort nach Möglichkeit nach dem Rechten zu schauen. Seinem Oheim traute er dies leider seit einiger Zeit nicht mehr zu. Der König war erstaunlich schnell gealtert und folglich nicht mehr klar bei Verstand. Des Königs Sohn Théodred Ætheling, der Zweite Marschall, war währenddessen in der Westfold beschäftigt, die Grenzen gegen die Feinde zu verteidigen. Am liebsten wäre er seinem Vetter schon lange mit genügend Kriegern aus der ganzen Ostmark zu Hilfe geeilt, aber das war ihm von Schlangenzunge klar untersagt worden mit der Begründung, es blieben zu wenige Männer zurück, um den König im Notfall zu schützen. Lygewyrhta! Seit Jahren kam die Bedrohung stets aus Westen, wenn auch Boten aus dem südlichen Gondor von schrecklichen, wahr gewordenen Schauermärchen aus dem Osten berichteten. Der Drang bereits in Edoras zu sein wurde stärker. Der Krieger schloss die Zeltplane, wandte sich vom Zelteingang ab und lief unruhig im Zelt hin und her. Würde er Edoras in den nächsten Tagen erreichen, ohne verfroren oder überfallen worden zu sein von einer Gefahr aus Westen sowie Osten? Verzweifelt fuhr sich der Krieger mit einer Hand durch die dunkelblonden, schulterlangen Locken und starrte einen Moment auf die achtlos auf einen Haufen geworfenen Rüstungsteile. Sein neuer Knappe Cyneward musste wohl noch draußen mit den anderen Soldaten um ein warmes Feuer sitzen. Er verurteilte den Knappen nicht, dass er seiner Arbeit noch nicht nachgegangen war. Der Wind peitschte gegen die Zeltwand und das Gewicht des bereits gefallenen Schnees drückte das Dach an einigen Stellen nieder. Besser, er hätte ein Zelt wie früher mit einem seiner Krieger geteilt als darauf bestanden, das ehemalige Zelt seines Vaters mitzuschleppen. Aber wurde es von ihm denn nicht verlangt, sich wie ein Heerführer zurückzuziehen und nicht wie ein normaler Soldat auf der kalten Erde zu schlafen? Zu viele Momente gab es, in denen der junge Herr über Aldburg weder vor noch zurück wusste, welches die richtige Entscheidung war und ob er seinem eigenen Urteil vertrauen konnte. Einmal tief ein und ausatmend sammelte der Krieger dann die Rüstung Stück für Stück ein und wickelte sie in ein Öltuch, um dieses in eine trockene Ecke des Zeltes zu verstauen. Die Beschäftigung beruhigte seine wild umherwirbelnden Gedanken, die wie die Schneeflocken außerhalb des Zeltes tobten. Gerade als er damit fertig war, öffnete sich die Zeltplane und der eintretenden Person folgte ein kalter Windstoß, der Schnee auf die ausgelegten Felle verteilte. Die eingetretene mickrige Gestalt, die niemand anderes war als sein Knappe Cyneward, schloss die Zeltplane schnell hinter sich und wischte den Schnee von den Fellen, verteilte dabei jedoch nur noch mehr Schnee, der von seinem dunklen Mantel fiel. Murrend hörte der Junge auf und betrachtete mit kritischem Blick seine verrichtete Arbeit. Die ganze Situation mit der sein Knappe wortwörtlich hereingeschneit kam, ließ den Krieger für einen kurzen Moment unwillig schmunzeln. Sein Knappe war ein ausgesprochener Tollpatsch in den meisten Situationen, doch erinnerte ihn der Junge an jemanden, der ihm sehr am Herzen lag, wenn er sich auch nicht entsinnen konnte, an wen genau.
Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte sich der Knappe mit vor Kälte gerötetem Gesicht seinem Herrn zu, nur um ihn für einen Moment verwirrt blinzelnd anzustarren. Für gewöhnlich war es die Aufgabe des Knappen, seinem Herrn aus der Rüstung zu helfen und diese zu versorgen, doch in diesem Fall war ihm wohl die Arbeit bereits abgenommen worden.
„Mein Herr", stotterte der Junge beschämt, „hättet ihr mich nur gerufen..." Doch bevor der Knappe noch weiteres stammeln konnte, unterbrach ihn sein Herr, indem er ihm freundlich lächelnd einen halbgefüllten Becher Met in die Hand drückte.
„Das sind die letzten Tropfen Met, die ich noch dabeihabe. Die Yulefestlichkeiten haben begonnen, mein lieber Cyneward, die meisten Menschen werden ein richtiges Dach über dem Kopf haben und mit ihren Liebsten eine warme Speise teilen. Das Mindeste was ich tun kann, ist, meinen aufrichtigen Knappen für diese Tage von seinen Aufgaben zu entbinden. Auf ein fröhliches Yulefest und bessere Zeiten." Mit diesen Worten leerte der Krieger seinen eigenen halbgefüllten Becher Met. Der Knappe tat es ihm gleich: „Wie großzügig von euch, mein Herr. Éadig geol, hlaford min."

Ætheling – Kronprinz/Thronerbe
lygewyrhta - Lügner
hlaford min – mein Herr

Ein bisschen spät, aber trotzdem fröhliche Weihnachten!

deórue sweostorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt