~ Vorstellungsgespräch ~

60 17 6
                                    

Schwungvoll öffnete ich die Tür, um uns etwas Zeit zu erkaufen. Livia lugte derweil über meine Schulter.

„Tisch genau geradeaus, der Stuhl steht direkt davor, ungefähr vier bis fünf Schritte", flüsterte sie mir ins Ohr. Meinen Blindenstock lehnte sie draußen vor die Tür.

Ich wollte diesen Raum und meine einzige Chance als ich betreten als Nike Capochè und nicht als wandelndes Handicap.

„Du machst das, Champion. See you later", ein letztes Schulterklopfen und von Livi blieb nur der Windhauch ihres Hinweghuschens und die verhauchenden Reste ihres Blumenparfüms. Livia roch immer wie der Frühling.

Nun war ich auf mich gestellt. Ich genoss es ein wenig nur für mich verantwortlich zu sein. Stückweise strömte Ruhe mit jedem Atemzug in mich ein.

Ich hatte das geübt, die Unterlagen hinlegen, ein freundliches Gespräch führen, hier und da Komplimente auf die Arbeiten der OldSchool machen, um zu zeigen, dass ich sie durchaus sowohl kannte als auch bewerten konnte.

Livias Augenmaß trog mich nicht und nach vier Schritten erreichte ich den Stuhl, spürte ihn in meiner Hand und zog ihn leicht schabend zurück. Der Boden war aus diesem Schultypischen seltsam gleichzeitig weichen als auch harten Material gemacht und dämpfte viele Geräusche, was es mir schwerer machte die genauen Positionen der Gegenstände im Raum zu hören. Dennoch schnipste ich leise neben mir, ein milder Versuch ohne zu viel Aufmerksamkeitserregung, könnte auch als Nervosität durchgehen. In der Ecke stand ein etwa raumhoher Quader, ich tippte auf Akten oder Bücherschrank, ansonsten die obligatorische Tafel im Hintergrund, welche den Schall ebenfalls veränderte und besagter Tisch und Stuhl, sowie...

„Hallo du musst Nike sein. Sehr erfreut, nimm doch bitte Platz."

Benjamin. Platznehmen alles klar, ich tat wie mir gehießen und stellte meine Tasche außerhalb seines Blickfelds, tastend an den Tisch ab, bis sie richtig lehnte. In einem nahm ich meine Notizen und Unterlagen heraus. Er würde sowieso danach fragen.

Ich beschloss ihm zuvorzukommen und somit zu zeigen, dass ich mich vorbereitet hatte. Was ebenfalls meine non-verbale Argumentation unterstrich, dass ich hier sein wollte, dass ich die richtige für diesen Platz war. Denn nichts anderes war ein Vorstellungsgespräch für mich als eine sowohl verbale- als auch non-verbale unterschwellige Debatte.

Und ich hatte die perfekten Argumente vorbereitet.

Mit mehr Motivation als Verstand streckte ich den Arm aus, um ihm meine Unterlagen über den Tisch zu reichen, wobei meine Hand mit einem warmen Objekt aus festem Papier zusammenstieß.

Der Becher fiel um, Kaffeegeruch breitete sich im Zimmer aus, wie wahrscheinlich die Lache auf dem Tisch vor mir. Nur gut, dass ich meine Unterlagen mit einem schnellen zurückziehen retten konnte.

„Hey pass doch auf oder bist du...", Benjamin und seine Unterlagen, die vermutlich auf dem Tisch gelegen hatten, schienen weniger Glück gehabt zu haben. Ich hörte, wie er bereits mit einem Klacken den Becher wieder aufstellte und in seiner Tasche nach Taschentüchern zum Aufwischen kramte.

„Blind, richtig", ersparte ich ihm die Mühe seinen Satz zu beenden und hob herausfordernd das Kinn, sodass er meine Augen sehen konnte. Zumindest einer. Sie sprachen anscheinend Bände für ihn. Ich nahm das Aufeinanderklappen seiner Kiefer war, als er den Mund wieder schloss und hastig begann auf dem Tisch herum zu wischen. Nasses Papier raschelte und schmatzte als es verlagert und angehoben wurde.

Zumindest kann so die Mitleidsnummer jetzt nicht losgehen.

Angriff war meine Verteidigung und es funktionierte in den meisten Fällen. Aber dennoch, es tat mir ehrlich leid sein Getränk umgestoßen zu haben, Kaffee, dem Geruch nach. Ja ich war blind, aber nicht derartig tollpatschig, zumindest normalerweise. Ich wollte gerade zu sprechen ansetzen als er es sich anders überlegt zu haben schien und nun doch anfing.

Once blind. Twice shy. | LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt