Verlasse mich nicht

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Ich liege auf der Couch und genieße meinen Feierabend. Der Arbeitstag war anstrengend, herausfordernd, aber auch produktiv und motivierend. Vorher habe ich noch gegessen, mein Magen ist voll und ich überlege dennoch nach einem Nachtisch zu greifen. Einfach, weil ein Nachtisch einfach immer geht. Stattdessen greife ich zu meinem aktuellen Buch, um runterzufahren. Es ist ein gemütlicher Enemies-to-Lovers-Roman, der die nötige Ruhe mitbringt, damit mein Körper runterfährt. Ich beginne zu lesen und lese immer weiter. Bis ich zu einer Stelle komme, die mich innehalten und meinen Atem kurz stoppen lässt. Die Protagonistin hatte gerade herausgefunden, dass ihr Auserwählter ihr etwas verheimlicht hat. Er versucht ihr die Situation zu erklären, aber sie lässt all ihren Emotionen freien Lauf. In dem Moment ist ihr Schmerz, der Vertrauensbruch und die Wut überall spürbar - vor allem in mir. Mit diesen Emotionen brechen die eigenen Gedanken über mich herein. Ich bin wieder im Hier und Jetzt. Es kommt aus dem Nichts, es überrascht mich und vor allem bricht es mir in dem Moment mein sensibles Herz. Ich denke an meine Mama, die Krebs hat. Deren Diagnose der Tod ist. An meinen Vater, mit dem ich keinen Kontakt mehr habe, der mich aber in den letzten Tagen versucht hat zu kontaktieren. Mir wird bewusst: wenn meine Mama geht, habe ich nur noch meinen Freund. Und wenn mein Freund geht, habe ich niemanden mehr. Dann bin ich allein. Allein mit mir selbst. Gefangen in diesem Leben. Auf einmal schnürt mir meine Panik die Kehle zu. Ich bekomme keine Luft mehr. Ein erstickter Laut entweicht mir und ich merke, dass meine Wange feucht ist. Ich weine.
Ich greife zu meinem Handy, schreibe meinem Freund. Meine Hände zittern, die Tränen lassen meine Sicht verschwommen. Ich schreibe ihm, ich sei traurig und er fragt mich warum. In dem Moment bekommt Herzschmerz eine ganz andere Bedeutung. Mein Herz tut wirklich weh. Es zieht sich zusammen, geht wieder auseinander, zieht sich erneut zusammen. Genau in diesem Rhythmus. Wie Magenkrämpfe. Nur dieses Mal im Herzen und es gönnt mir keine Pause.
Ich versuche ihm meine Situation zu erklären, lasse den Teil mit dem Weinen, der Angst, dem Zittern und der fehlenden Luft aus. Er versucht mich zu beruhigen, beteuert immer wieder, dass er doch da ist. Mir wird bewusst wie sehr ich Dinge in mich hineinfresse. Merke, dass die Szene im Buch nur ein Schlüsselmoment war. Der Auslöser dafür, dass all diese Emotionen letztendlich aus mir herausgebrochen sind. Sie mussten heraus. Das spüre ich jetzt ganz deutlich.
Ich versuche gleichmäßig zu atmen. Ein und aus. Ein uns aus. Ganz langsam. Ganz beständig. Ich hab die Augen währenddessen geschlossen. Bis ich das Gefühl habe, ich habe wieder genügend Sauerstoff in den Lungen. Dann öffne ich die Augen. Die Gefühle und Gedanken sind weg, zurückgedrängt in die hinterste Ecke meines Kopfes. Sie pochen noch etwas nach. Sie brodeln nach wie vor in mir. Aber sie bestimmen mich nicht mehr. Ich fühle mich wieder wie ich selbst und atme erleichternd aus. Meine Hände zittern noch ein wenig, aber nicht mehr so stark wie eben. Ich denke in dem Moment an ein Lied von P!NK. Please don't leave me. Oder auch zu deutsch: Bitte verlasse mich nicht.

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