Kapitel 32 - Der Streit

427 76 9
                                    

Meine Mutter hatte sich am nächsten Morgen nicht blicken lassen. Ich wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Vielleicht bereitete sie gerade schon meinen Umzug vor.

Ich nutzte diesen Samstagmorgen, um zum Fußballtraining zu gehen. Ich wollte jede Minute auskosten, die mir noch mit meinen Freuden blieb. Außerdem stand nächste Woche schon das Rückspiel gegen den VC an.

Als ich am Spielfeld ankam hatte sich jedoch bereits eine große Traube gebildet. Etwas musste geschehen sein, denn das war nicht normal.
Lou und ich liefen ahnungslos zu den anderen.

"Was ist los? Warum steht ihr hier alle, anstatt in den Umkleiden zu sein?"

Harry blickte zu mir. Er sah erschreckend blass aus.

"Geh rein, dann wirst du es sehen."

Lou und ich tauschten Blicke aus. Etwas war faul. Das konnten wir beide spüren.

Ich öffnete die rote Tür zur Umkleide und erschrak sofort. Wie ein Zinnsoldat blieb ich angewurzelt stehen.
"Oh mein Gott", kam es über Lous Lippen, der direkt neben mir stand.

Alle Wände waren beschmiert. Überall stand das gleiche Wort: Faggots.

Schwuchteln. Egal wohin man sah, alles war besprüht worden.

Hier war jemand mit viel Hass vorgegangen.

"Das gibt es doch nicht!", sprach ich zu mir selbst.

"Meinst du es ist wegen Tom?", flüsterte Lou neben mir. "Oder wegen mir?"

"Ich habe keine Ahnung. Hat euch denn jemand gesehen?"

Lou schüttelte den Kopf.

"Nicht, dass ich wüsste."

"Es ist eigentlich auch egal, wem das gilt. Das ist pure Homophobie und eine Straftat!"

"Das war der VC!", hörte ich Tom voller Hass sprechen. "Und das werden sie wirklich bereuen!"

"Tom", ertönte Johns strenge Stimme. Bisher hatte ich ihn noch nicht wahrgenommen. "Wir werden keine Rache nehmen. Die Polizei wird das klären. Verstanden? Du machst keine Dummheiten!"
"Aber-."
"Kein Aber! Wir lassen uns nicht auf deren Niveau ein."

"Die wollten uns schon mal abfackeln!"

"Das waren aber vielleicht auch die Lantry Girls", warf Harry ein.

"Also ob Mädchen so etwas machen", sagte Tom ein abwertend.
"Wir überlassen es der Polizei zu entscheiden, wer schuldig ist. Verstanden?" John Tonfall war nun todernst. Es war nur selten, dass er so mit uns sprach und wir wussten, dass wir in diesen Fällen besser nicht widersprachen.

Tom nickte, doch seinem Blick sah man an, dass er damit nicht einverstanden war.

"Und jetzt putzen wir erst einmal als Erwärmung. Diese Schmierereien sollten keine Sekunde länger als nötig dran sein."

"Tom hat etwas vor", flüsterte Lou mir nach dem Training zu. "Ich weiß nicht was, aber ich kann spüren, dass er das sehr persönlich genommen hat. Er will Rache und ich habe Angst, dass er echt etwas Dummes macht."

Leider hatte ich ein sehr ähnliches Bauchgefühl.

"Kannst du nicht mit ihm reden?"

Lou lachte bitter.
"Er schaut mich doch nicht mal an. Ist dir aufgefallen, dass er heute nicht einen einzigen Pass zu mir gespielt hat? Er wird sicherlich nicht mit mir reden."

"Vielleicht probiere ich es mal. Wobei er auch nicht gut auf mich zu sprechen ist, seitdem ich ihn auf dich angesprochen habe."
Lou blieb abrupt stehen. Sein Augen waren aufgerissen, sein Mund stand leicht offen.
"Du hast was getan?", fragte er mit zitternder Stimme.

"Na ja, er lief mir über den Weg, als ich den Schwangerschaftstest geholt habe und da habe ich ihn drauf angesprochen."

Lous Augen schien kurz davor zu sein aus ihren Höhlen zu sein.

"Was? Du hast ihm von der möglichen Schwangerschaft erzählt?"

"Nein! Nein! Um Gottes Willen! Natürlich nicht!", beteuerte ich sofort. "Ich habe nur gefragt, was zwischen dir und ihm läuft."
"Millie, warum?", fragte Lou entsetzt und verzweifelt zugleich. "Es ist für ihn doch so schon schwer genug. Und jetzt denkt er auch noch, dass ich mit dir über all unsere Intimitäten sprechen."

"Tut mir leid, ich wollte nur helfen."

"Ich habe dir vertraut! Du kannst dich doch nicht einfach so einmischen!"

Lou so sauer zu sehen, ließ mich schuldig fühlen. Insbesondere, weil er Recht hatte. Ich hätte Tom wirklich nicht darauf ansprechen sollen. In dem Moment war ich jedoch so wütend auf ihn gewesen, weil Lou mit der Schwangerschaftsproblematik ganz allein gewesen war.

"Es tut mir wirklich leid. Es war dumm von mir", wiederholte ich mich.
"Ja, und zwar so richtig! Mann, Millie! Ich hätte echt mehr von dir erwartet!"

Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Es tat mir wirklich leid, aber ich machte es wohl nicht besser, wenn ich es zum dritten Mal sagte.

"Ich glaube, es ist besser, wenn wir heute nicht im Zimmer aufeinander hängen. Ich brauche gerade einfach ein bisschen Abstand."
"Ich kann zu George gehen."

"Lass gut sein", sprach er im harten Tonfall. "Ich finde schon ein Platz, wo ich ungestört bin."

Dann bog er in Richtung Hauptgebäude ab.

Toll, jetzt war ich auch noch dabei, es mir mit meinen neu gewonnen Freunden zu verscherzen.

Als ich die Zimmertür öffnete, sah ich einen Umschlag auf dem Boden liegen. Offenbar hatte ihn jemand unter der Tür hindurch geschoben.

Wollte ich wirklich wissen was da drin stand? Brauchte ich noch mehr Drama? Für einen kurzen Moment zögerte ich, doch letztendlich gewann die Neugierde.

Ich öffnete den Umschlag und las mir den kurzen Text durch:

Ich weiß, wer das Feuer gelegt hat und auch, wer die Umkleide beschmiert hat. Triff mich um 12 Uhr am Hintereingang der Schwimmhalle.

Ich atmete einmal tief durch. Was hatte das zu bedeuten? Ich hatte keine Ahnung von wem dieser Tipp kam, doch ich würde es herausfinden, denn die Gelegenheit würde ich mir nicht nehmen lassen. 

Lantry - Mein neues LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt