Unsichtbar

164 19 2
                                    

Kalter, harter Regen prasselte auf meine schon längst durchnässten Haare und auf mein ausdrucksloses Gesicht, das nach unten geneigt in die Leere starrte. Meine Hände in der Jackentasche vergraben und meinen Kopf eingezogen stand ich allein am Rande des Schulhofes und ließ, wie jedes Mal in der Pause, meine Gedanken in irgendeine Ecke der Fantasie schweifen. Allein war ich immer. Bin ich immer gewesen. Niemand sprach mich an oder beachtete mich. Ich war alleine. Ich sah jede Pause, wie meine Klassenkameraden sich in Gruppen trafen und in den Pausen zusammen spielten. Sehnsüchtig sah ich ihnen hinterher und wünschte mir jedes Mal, ich würde dazugehören. Doch das tat ich nicht. Ich war eben anders. Schüchtern, verträumt und eben kein Fan von Mode oder heißen Jungs, die immer im Fernsehen zu sehen waren. Nun stand ich hier alleine, auf den verregneten Pausenhof an einem grauen Herbsttag und träumte wieder von Freundschaft und Fantasie. Meine früheren Freunde hatten sich nach dem Schulwechsel von der Grundschule auf die Weiterführende Schule von mir abgewandt und hatten nichts mehr mit mir zu tun haben wollen ... zumindest dachte ich das. Das letzte Mal, als ich sie ansprach, gafften sie mich an, ich solle doch bessere und modischere Kleidung anziehen. Das war ein harter Schlag gewesen und seitdem wechselten wir kein Wort mehr miteinander. Ich wollte mich nicht für irgendjemanden ändern oder mir sagen lassen, was ich zu tun habe. Und seitdem hatte ich auch keine richtigen Freunde mehr. Jede Pause stand ich alleine irgendwo rum. Einen Anschluss fand ich nicht. Ich hatte es versucht, wirklich. Aber jeder einzelne ist kläglich und schmerzhaft gescheitert. Wie damals auf der Klassenfahrt. Es gab viele Situationen, die ich immer noch verdrängte. Einer der schlimmsten war, als ich draußen auf dem Gang der Jugendherberge plötzlich laute Geräusche hörte. Ich wusste nicht was los war, weshalb ich aus dem Zimmer ging und fragte, was los sei. Was ich als Antwort bekam ... diese Worte hatte ich bis heute nicht vergessen.
„Geh wieder rein. Das hier ist nichts für kleine Kinder.", war die Antwort. In einem zickigen und höhnischen Ton bekam ich diese Worte an den Kopf geknallt. Es hatte mich damals so verletzt, dass ich wieder in mein Zimmer rannte und mich weinend auf mein Bett schmiss. Wenn ich heute darüber nach dachte, wünschte ich, ich hätte anders reagiert, doch was vergangen war, war vergangen. Ich probierte danach andere Methoden aus um Anschluss zu finden, indem ich mich zum Beispiel, einfach zu den Gruppen dazu stellte. Doch das war es auch. Ich stellte mich einfach hin und lauschte ihren Gesprächen, denn viel beizutragen hatte ich nicht. Noch nicht einmal eine Begrüßung kam von ihnen. Schnell hatte ich es aufgegeben und stand nun wieder alleine, mit den Gedanken in meiner perfekten Welt, die ich mir im Laufe der Jahre geschaffen hatte. Die Pausen wurden für mich eine Qual. Doch die Angst, etwas Falsches gegenüber den anderen zu machen oder zu sagen und anschließend ausgelacht zu werden, war zu groß. Selbst im Unterricht traute ich mich nicht etwas zu sagen. Mir war es mittlerweile gleichgültig wer neben mir saß oder mit mir in einer Gruppe arbeitete.
Ich sah auf und merkte, dass der Pausenhof allmählich leer wurde. Die Lippe schon wieder aufgekaut machte ich mich langsam und schweigend wieder auf den Weg zum Unterricht. Wieder eine sinnlose Pause. Ich überlegte ständig, was passieren würde, wenn ich plötzlich verschwinden würde. Würden sie nach mir suchen? Wären sie besorgt um mich? Oder würde es sie überhaupt nicht kümmern? Verlockend war der Gedanke, einfach zu verschwinden, vielleicht für eine längere Zeit, doch ich hätte nicht den Mut sowas durchzuziehen. Träge schleppten mich meine Füße die Treppen hoch, in den engen, von Schülern überfüllten Gang. Ich lehnte mich an die Wand und starrte aus dem kleinen Fenster und wartete. Wartete auf unsere Lehrerin. Alleine.

Für diejenigen, die dieses Gefühl kennen, nicht gesehen zu werden, lasst den Kopf nicht hängen. Früher oder später wird jemand kommen, der euch sieht. Ihr müsst nur die Augen offen halten und die Person am besten nicht mehr gehen lassen. Denn derjenige oder diejenige wird euer Leben verändern.

UnsichtbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt