Stella steht aufrecht und lächelnd auf dem Parkplatz vor dem riesen Universitätsgebäude. Sie hat es eilig, ihr kribbeln die Finger in den Hosentaschen, in der linken Hand ihr Feuerzeug und die Zigarette wartend zwischen Ohr und Hut. Stellas Gesicht ist ausdruckslos, als sie in die Augen der beiden Frauen blickt. Ein nachmittags Gespräch vor dem Feierabend hält sie hier fest, obwohl sie es doch so eilig hat. Die Straßen des Campus sind schon dunkel, die Schultern frösteln unter den milden Minus Graden des Novembers und allesamt, die ganze Welt, scheint sich in diesem Moment ganz behutsam, auf Weihnachten vorzubereiten. Obwohl Stella am liebsten los gerannt wäre, sitzt ihre Miene wie immer, sie versucht bis aufs letzt interessiert zu wirken, sie ist es auch, geduldig vor sich hin wartend, ihr schnelles Verschwinden mit einer genügsamen Begründung begründen zu können. Obwohl sie nicht einmal weiß, wen diese Begründung interessieren möge. Die beiden Frauen vor ihr, lächeln sie an, ein kurzes Moment des Schweigen entsteht. Sie tauschen Blick aus. Die jüngere, füllige lächelt Stella voller Eifer entgegen, will sich ruhig zeigen, will stark sein, will interessiert sein und will souverän sein. Die ältere, schmale schaut beide an. Schaut Stella an, dann die andere. Schweigt, lächelt. Sagt nichts. Es entsteht eine angreifbare Spannung, zwischen den kalten Händen, überlaufenden Gedanken und den Herzklopfen inmitten dieses schweigsamen Gesprächs. Stella rast das Herz. Stella spürt ihr Handy in der Tasche vibrieren, Stella frieren ihre Knöchel unter den Stiefeln und der lange Mantel ummantelt ihre Beine kalt.
Der Moment kommt, Stella rast davon. Setzt sich in ihren Wagen, natürlich kann sie ganz bedingungslos ihre alte C-Klasse voller Selbstverständlichkeit ausparken, voller Sicherheit, und mit nicht zu viel Gas, vom Parkplatz weg, in die Nacht hinaus fahren. Dabei scheint es doch Nachmittag zu sein. Ein Kaffe, ein Stück Kuchen, das Vorstadt-Leben wartet voller Verachtung auf sie. Es ist noch früh genug die Wäsche zu bügeln, die Wohnung zu saugen, vor dem Nachmittagskuchen das Geschirr zu spülen. Doch Stella füllt nur die Näpfe der Katzen auf, geht auf die verruchte Terasse eine Zigarette rauchen, fragt sich ob sie noch einen Spaziergang wagen soll, bevor der erste Wein sie in Trübsal stimmen wird. Dann ist es soweit, die Musik spielt langsam den Hintergrund, der Wein ist kalt wie auch die Straßen des November Abends. Dann ist es auch schon zu spät, für all diese dämlichen Pflichten.
Am nächsten Tag kann sie nicht sagen was sie sinnvolles getan hat. Der Wecker dröhnt laut in ihren Ohren, wie auch das Sonnenlicht zwischen ihren neuen Rollos. Schon viel zu spät um müde zu sein. Sie hebt sich vom Bett, öffnet das Fenster und fragt sich, was sie gestern getan hat. Rissige Erinnerungen schweben in der Luft neben dem Dunst des Heizungsgeruchs. Es war spät am Abend, nach der Dusche, nach dem Zähneputzen, da klingelte ihr Handy laut und brechend in die Melodie und in ihre ruhelose Seele hinein. Sie war so aufgeregt, so voller Erwartung an den Abend, so voller Hoffnung dafür, ihr Leben nun an einem Punkt zu sehen der sie zufrieden stimmen soll. Der Vorgarten sah perfekt aus, wie seit einigen Monaten, der Himmel dunkel, kühl und beruhigend, da klingelte ihr Telefon. In jedem Normalfall sieht sie es immer vor nicht alle Anrufe entgegenzunehmen. Sah es auch an diesem Abend, wartete, die Neugier siegte jedoch und sie empfang das Schweigen um kurz nach zehn Nachts. Am anderen Hörer da klang diese Stimme, die sie so lange nicht mehr gehört hatte und auch ehrlich gesagt nicht mehr glaube sie zu hören irgendwann. Ganz egal worauf sie hoffte. Doch sie hatte wenig Liebe übrig auf ihren Lippen, auch wenn sie es Monate danach bereuen wird, diesen Anruf so entgegen genommen zu haben. Sie schwieg nach einem Hallo, sie wollte nicht sprechen obwohl sie sprechen wollte, sie wartete. Voller Verachtung achtete die diesen Anruf wie noch nie. Sie hatte schließlich so lange darauf gewartet. Die Stimme am Telefon schien ihr fremd, obwohl sie ihr kein Stück fremd war. Sie hätte sich so viel anderes gewünscht. So viel und gar nichts mehr. Nie wieder, sagte sie sich und glaube sich kein einziges dieser Worte. Diese vertraute Stimme sprach von so vielen Einzelheiten und von Nichts auf einmal, dass Stella kein Wort verstand und sie wollte auch kein Wort verstehen. Erst später wird sie begreifen, dass die Frau am anderen Ende gar nicht anders konnte, als Stella anzurufen. Das redet sich Stella ein. Ohne Wiederrede. Doch Stella blieb still und blieb stolz und blieb verletzt, wie sie es eben nun einmal war. Stella trocknete sich die Haare, rieb das Handtuch am Kopf, lies das Fenster auf, draußen war es kalt, putzte sich die Zähne noch einmal, und schwieg weiter. Dann nahm sie sich das Whisky Glas, kippte einen, kippte zwei und begab sich mit nassen Haaren und einer Zigarette auf ihre verkorkste Vorstadt Terasse. Gehüllt in den orangefarbenden Bademantel drücke sie ihre Arme an ihren Körper, versteifte sich, zog an der Zigarette und konnte gar nicht anders als vorwurfsvoll klingen.
„Damals hast du auch mich verletzet." sagte sie und nun weiß sie gar nicht mehr, ob sie das auch wirklich gesagt hat. Sie pochte darauf, trank einen dritten Whisky und einen vierten und die erhoffte Betäubung, innere Wärme, kam nicht, so viel erreicht man einfach nicht in einem viertelstündigem Telefonat. Die Stimme am Telefon klang verwundert, gar überrascht. Und Stella darauf noch mehr. Noch so viel mehr. Schweigen. Irgendwann legen sie auf. Stella bleibt ein wenig alleine. Dann bekommt Stella Besuch. Sie legen sich in das warme Bett. Stella fragt was Liebe ist. Doch sie bekommt nicht die Antwort, die am Telefon erhalten hätte.