Prolog

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Der Regen hatte seit Stunden nicht nachgelassen und trommelte auf die Dächer der Autos und der Häuser. Die Straßen waren wie leergefegt und nicht mal ein Tier war irgendwo zu sehen. Der Wind zerrte an den Bäumen und einige nicht festgemachte Strandschirme flogen durch die Luft. Ich war die einzige Person hier draußen und auch in höchster Gefahr. Ich rannte die leeren Gassen entlang, welche nur durch den schwachen Schimmer der Laternen erleuchtet waren, und suchte nach einem Ausweg, einem Versteck oder sonst irgendetwas, dass mich von dem Wesen, dass mich verfolgte, schützten konnte. Mein Herz hatte schon längst einen ungesunden und vor allem viel zu schnellen Rhythmus angenommen und langsam wurde mir klar, dass ich dieses Tempo nicht viel länger halten konnte. Die weißen Lieblings-Sneakers meiner Schwester waren komplett durchnässt und matschig und ich konnte sie innerlich sehen, wie sie mir den Kopf abreisen würde, doch das war nun mein geringstes Problem, denn ich konnte regelrecht den Atem meines Verfolgers schon im Nacken spüren. Obwohl meine Kräfte schon überstrapaziert waren, legte ich nochmals einen Zahn zu. Ich fokussierte mich auf den Gehweg, um nicht von irgendwelchen Dingen abgelenkt zu werden. Einige Meter war ich schon gesprintet, als ich scharf nach rechts einbog, um meinen Gegner zu verwirren. Nun war ich in einer schmalen Seitengasse angelangt und hoffte, dass mein Vorsprung ausgereicht hatte, um ihn abzuschütteln. Ich ging bis zum Ende der Sackgasse und versteckte mich hinter einer großen Mülltonne. Möglichst leise versuchte ich meinen Atem und meinen Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen und ließ mich an der gemauerten Wand hinunterrutschen. Einige Minuten vergingen und als nichts mehr, außer dem langsam nachlassenden Regen vernahm, wagte ich es, seit gefühlt einer Ewigkeit, wieder richtig zu atmen. Erst da bemerkte ich, wie triefend nass ich war, und dass ihre Schuhe diesen Tag wohl nicht überstehen würden. Vor lauter Freude, dass ich dem Bösen entkommen war, entkamen mir ein paar Tränen und ein Lacher der Erleichterung über die Lippen, doch trotz alledem, beschloss ich, mich noch ein wenig versteckt zu halten.

Es war sicher eine halbe Stunde vergangen, als mich endlich aus meinem Versteck hinter der Mülltonne traute und erleichtert aufatmete, als ich niemanden entdecken konnte. Leise, aber mit einer gewissen Sicherheit, lief ich los, um endlich nach Hause zu gehen, und mir dort mit Azzuro, meinem besten Freund, einen neuen Plan zu überlegen. Ich war noch nicht einmal um die Mülltonne herum, als ich lautes Flügelschlagen hinter mir vernahm. Wie angewurzelt blieb ich stehen und versuchte mir nochmals einzureden, dass ich mich nur verhört hatte und nun paranoid sei, doch dann wurde ich unsanft in die Realität zurückversetzt. „Hast du gedacht, dass ein kleines Menschlein wie du, uns entkommen kann? Wir haben noch eine Rechnung offen Brielle oder darf ich dich nun, da wir uns schon ein Duell geliefert haben, auch Bree nennen?", sagte er mit seiner tiefen, honigfarbenen Stimme. Langsam, mit gesenktem Kopf drehte ich mich in seine Richtung. Aus lauter Angst, aber vielleicht auch ein bisschen Sturheit, ließ ich den Blick gesenkt und antwortete nicht. Seine lauten Schritte hallten von den Wänden nieder und im Nu stand er vor mir und sprach: „Hat man euch hier auf der Erde keine Manieren beigebracht? Oder bist nur du so frech und stolz?" Ich gab keinen Ton von mir, bis er auf einmal mit seiner großen, starken Hand mein Kinn umfasste und mich dazu zwang ihn anzusehen. Und sicherlich, gibt es nicht viel, dass schöner ist, als das Gesicht von Michael, einem der Erzengel und der Kriegsengel schlechthin. Ich versuchte jegliche Art von Augenkontakt zu vermeiden und betrachtete stattdessen sein ganzes Wesen.

Vor mir stand ein zwei Meter großer, muskulöser Engel in Vollmontur. Seine Uniform war pechschwarz, versehen mit weißen und goldenen Ornamenten. Der Brustpanzer zierte ein goldene Blumenranke und die freiliegenden Arme sahen aus, wie die Statuen von Michelangelo. Sein Gesicht war makellos, nicht ein Kratzer zierte sein schönes Gesicht. Seine Lippen hatten einen rosafarbenen Ton und waren perfekt geschwungen, seine Nase gerade und grazil, die hohen Wangenknochen ließen ihn älter und strenger wirken und die Falten auf seiner Stirn machten ihn sogar etwas beängstigend. Dieses Antlitz war umgeben von dunkelblond gelocktem Haar, welches sich im Nacken kräuselte. Jede einzelne Locke sah aus, als wäre sie mit feinen Goldfäden durchzogen worden und sie glänzend selbst im entfernten und vom Regen gedämpften Licht so, als würde er im Scheinwerferlicht stehen. Zu guter Letzt gab ich doch nach und sah in seine, vor Wut und Zorn fast schäumenden Augen. Sie sahen aus, wie zwei Saphire, von ihnen ging ein regelrechtes Leuchten aus und der Kreis rund um die Pupille war golden. Und zwar kein normales mattes Gold, nein, regelrecht strahlte es und reflektierte in sich tausend andere Goldtöne. Mit einem Blick auf seine Augen war ich verzaubert und nahm nicht einmal war, dass er schon die längste Zeit mit mir redete. „Brielle ich sage es nun ein letztes Mal, antworte mir oder du wirst eine ganz andere Seite an mir kennenlernen!" „Entschuldige, was sagtest du?", gab ich ganz kleinlaut als Antwort wieder. „Ich sagte, dass wenn du jetzt nicht schleunigst kooperierst, wir ein gewaltiges Problem haben werden. Du kennst die Prophezeiung, und du weißt was zu tun ist, also ergib dich jetzt einfach deinem Schicksal, dass wäre für alle beteiligten das Beste!", gab er mir zur Antwort, doch das Einzige was ich tun würde, war um mein Leben zu rennen und so machte ich kurzen Prozess. Während er immer noch auf meine Antwort wartete, positionierte ich mein Bein und stieß mein Knie dorthin, wo es besonders weh tat. Mehr durch den Überraschungsmoment, als durch wirklichen Schmerz, ließ der Engel kurz ab von mir und gab mir die Gelegenheit zur Flucht. Ich machte sofort auf dem Absatz kehrt und rannte ans Ende der Gasse und dabei blieb es nicht, nein, ich lief weiter geradeaus und achtete nicht einmal ansatzweise auf den Verkehr. Ich rannte und rannte und rannte, ich wollte nur noch nachhause und aus diesem Albtraum erwachen. Mittlerweile war ich schon in der Gegend meines Zuhauses und konnte schon den Beginn der Aberlate Street sehen. Nochmals gepackt von der Euphorie, ignorierte ich die Müdigkeit in meinen Gliedern und sammelte all meine Kraft, doch in diesem Moment wurde ich an der Taille von einem muskulösen Unterarm umfasst und in die Höhe gezogen. Die Häuser, die Lichter und auch die Straße unter mir wurde immer kleiner und als ich meinen Kopf in den Nacken legte, sah ich nun meinen Feind in voller Pracht. „So mein kleiner Ausreißer, wenn es nicht auf die sanfte Tour geht, müssen wir es halt auf die harte versuchen und glaube mir, die ist lange nicht so toll, wie Option 1."
Verwirrt wie ich war, kam mir nicht mal ein Wort über die Lippen und die Angst vor der immer weiteren Höhe half mir nicht sonderlich dabei. Vor lauter Panik begann ich in seinem Griff zu zappeln und zu strampeln, ich wollte mich wehren und nicht einfach ohne Kampf aufgeben. Mit sanfter und zu ruhiger Stimme jedoch beugte sich sein Kopf zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr: „Bree, ich glaube du hast heute genug getan, ich glaube es wäre jetzt besser, du genehmigst dir jetzt eine Runde Schlaf." Und plötzlich überkam mich ein Gefühl der Müdigkeit und der Ruhe und ohne es zu wollen wurden meine Glieder ganz schwer und mir fehlte die Bewegungskraft. Das letzte was ich noch dachte war:

„Wie, in Gottes Namen, soll ich aus dieser Nummer wieder herauskommen?!"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 21, 2022 ⏰

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