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Das Summen der Silvesternacht weicht langsam der endlosen Ruhe, welche sich über die Stadt schmiegt wie Seide, noch ehe ich die Augen aufschlug. Meine Lider scheinen magnetisiert, untrennbar und nur beschwerlich kann ich das erste Tageslicht, welches neblig, nahezu zaghaft, durch die halbtransparenten Vorhänge deines Schlafzimmers fällt, erhaschen. Es kostet mich einen Moment, um zu realisieren wo ich bin, doch rasch finde ich mich wieder. Wieder, in der Wärme deines Körpers, dem Duft deines Aftershaves, vermischt mit kaltem Rauch. Ich erkenne die spartanische Einrichtung, die Akustikgitarre, welche noch am Abend zuvor unbeachtet ihren Platz vor einer generischen Kommode gefunden hatte.
Du hattest schon damals einen Stil, der sich meinem in jeglichem Grundsatz widersetzte. Einst meintest du, er sei zu rustikal. So 'ne Einrichtung kannst du dir auch immer noch nach dem Renteneintritt zulegen. Die stets ironisch-sarkastischen Manier war schon immer fester Bestandteil deiner selbst und ich konnte dein Schmunzeln in den Worten hören, noch bevor ich meinen Blick zu dir wandte, um dich mit einem Kronkorken abzuwerfen. Dass dieser damals der Grund für einen kurzlebigen Kratzer, nur knapp oberhalb deiner linken Schläfe sein sollte, hatte ich nicht ernsthaft beabsichtigt. Das gemurmelte 'Verdient' konnte ich mir dennoch nicht verkneifen.

Ein weiterer Moment unserer kleinen Wirklichkeit verstreicht und ich lasse meinen Blick weiter über die chaotisch vertraute Szenerie wandern. Klamotten liegen zur Zier auf dem Boden. Eine Tür, die nicht sorgfältig genug verschlossen ist und der Drang mich zu erheben, um genau diesen Grund zur Irritation aus der Welt zu schaffen, steigt ins Unermessliche. Stattdessen jedoch atme ich tief aus, weniger ein elegantes Seufzen als eher ein erschöpftes Schnaufen, und schließe meine Augen. Ich lasse mich von der Dunkelheit einhüllen und versuche das Beben meines Kopfes auf ein Minimum zu befehlen. Meine Zunge rollt sich gegen meinen Gaumen und ich schmecke eine schlummernde Wüste und schlechte Entscheidungen.
Deine Brust liegt fest gegen meinen Rücken gepresst, sodass ich jeden deiner ebenmäßigen Atemzüge an meinen Schulterblättern spüre. Unweigerlich zähle ich leise mit. Eins ... Pause ... Zwei ... Pause ... Dein Arm liegt oberhalb der Decke, fest um meinen Körper und mir wird erneut bewusst, dass ich mich noch immer nicht an diese Intimität zwischen uns gewöhnt habe. Es ist noch immer neu. Nervenaufreibend. Fast beängstigend und doch unvergleichlich.
Ich denke daran zurück, als wir so umschlungen in deinem Bett liegen, wie alles begann. Damals, zwischen dem Rauch halb-gerauchter Joints und leeren Bierflaschen. Damals, als wir uns noch weniger aus verschüttetem Schnaps und verlorenen Feuerzeugen machten. Damals, als wir beide noch nahezu Kinder waren, voller Ambitionen und Träume, von jenen wir nie dachten sie jemals tatsächlich zu erreichen.

Es war ein Kumpel deines damaligen Mitbewohners, der die Gelegenheit schuf uns miteinander bekannt zu machen. Es war der Freund meiner besten Freundin, der sich zu seinem Geburtstag im tiefsten Winter feiern ließ. Du überragtest die meisten der anwesenden Partygäste und warst der erste der mir ins Auge fiel, als ich den Raum betrat. Ich erinnere mich noch gut an dein System Of A Down-Shirt, das Kinnbärtchen, mit welchem ich mich nicht mal rückblickend anfreunden konnte. Daran, dass du das Jever in der einen und ein Shotglas in der anderen Hand hieltest. Daran, dass du nur wenige Minuten später an den Lippen deiner blonden Begleitung hingst. Dass wir erst ins Gespräch kamen, als sie die Wohnung des Gastgebers bereits verlassen hatte.
Heute sagst du, du hättest mich angesprochen, doch ich erinnere mich zu deutlich an deinen verklärten Blick, die glasigen Augen, welche mich durch Zigarettenqualm ansahen. Ich deutete auf dein Shirt, nickte anerkennend -- das Gespräch baute sich quasi von alleine auf.
"Lukas," sagtest du laut genug, um die Klänge der Musik zu übertönen.
"Nati", entgegnete ich. Dein Name für meinen — ein fairer Tausch wie ich fand und mein zögerndes Lächeln untermalte den Klang der aneinanderschlagenden Flaschen.
Du erzähltest mir von deiner Ausbildung. Sagtest, du würdest in deiner Freizeit Musik machen, diese im Rahmen deiner, zumindest zu dieser Zeit noch limitierten Möglichkeiten, sogar selbst produzieren. Ich konterte, dass ich Klavier spiele — schon seit Jahren. Dass ich Musik studierte und meine Freizeit als professionelle Pendlerin verbrachte.
Ich erinnere mich daran wie warm mir wurde, als du auf meine Hände sahst, die sich mit an einen Krampf-grenzender Starrheit an eine Bierflasche klammerten. An das Gefühl Halt zu suchen. An die Unsicherheit und latente Abneigung, als du mich fragtest, ob ich dir nicht mal etwas vorspielen könne.

NachbebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt