Kapitel 1-10

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"Hey!", empört drehte sich die kleine Wölfin zu ihrem Vater um. "Papa! Musstest du mich unbedingt wecken? Du weißt, wie sehr ich es hasse, wenn jemand meinen Schönheitsschlaf unterbricht!" "Schönheitsschlaf? Das ich nicht lache! Da müsstest du ja die ganze Zeit schlafen.", entgegnete ihr kleiner Bruder frech. "Voka!", knurrte die kleine Wölfin und rannte auf ihn zu, versucht ihn zu fangen. Vokas Vater begann zu lachen, während der kleine schwarze Welpe bemüht war, sich vor seiner Schwester in Sicherheit zu bringen. "Ach komm schon, Kaya! Das war doch bloß ein Scherz!", versuchte Voka seine Schwester zu beruhigen. Kaum hatte er das gesagt, sprang sie auf ihn. Die beiden rollten über den Boden der Höhle und Kaya gelang es, ihren Bruder auf den Boden zu drücken. Sie knurrte und legte die Ohren an. Voka winselte. "Auseinander, ihr zwei!", ertönte da die Stimme ihrer Mutter vom Höhleneingang. Widerwillig entfernte Kaya sich von ihrem Bruder und leckte sich, immer noch angesäuert, den weißen Fleck auf ihrer Brust. "Ich habe dich nur gebeten kurz auf die beiden aufzupassen, während ich mich um Nahrung kümmere. War das so schwer?", fragte die graue Wölfin ihren Partner. "Wieso? Ist doch nichts passiert. Außerdem war es lustig.", antwortete der große schwarze Wolf immer noch lachend. Die Augen verdrehend wandte Kaya sich an ihre Mutter, welche über die Worte ihres Partners nur den Kopf schütteln konnte. Trotzdem zierte ein breites Grinsen ihr Gesicht. Die junge Wölfin setzte bereits zu einer Frage an, doch Voka war schneller: "Hast du Essen gesagt?"

Voller Vorfreude und mit leuchtenden Augen blickte der Welpe seine Mutter an. "Ja, mein Kleiner. Ich habe uns ein ganzes Reh mitgebracht.", meinte sie liebevoll. "Schließlich wollen wir ja nicht, dass du verhungerst.", fügte Kaya schmunzelnd hinzu. "Juhu!", rief Voka und sprang aufgeregt um seine Mutter herum. Er war bereits auf dem Weg nach draußen, als er abrupt stoppte. "Warte...uns? Ich soll das Reh teilen?", fragte Voka total entsetzt, wofür er von seinem Vater einen leichten Pfotenhieb gegen den Hinterkopf erntete. Vor der Höhle machten sich Kaya und ihre Familie über das Reh her.

Nachdem ihr Vater die übriggebliebenen Knochen vergraben und sie sich die Blutspuren aus dem Fell geleckt hatte, beschloss die junge Wölfin sich bei dem kleinen Aussichtspunkt, direkt neben der Höhle, hinzulegen. Von dort konnte sie die Lichtung weiter unten im Tal beobachten, auf welcher sich immer wieder die anderen Waldbewohner versammelten. Zum Beispiel die Elterntiere für alle möglichen Arten von Treffen, wie die Elternabende der Waldschule. Kaya schüttelte sich. Solche Treffen waren langweilig. Nie passierte etwas spannendes. Allerdings wurden dort unten auch die Waldversammlungen abgehalten. Natürlich ohne Kayas Eltern. Wölfe waren hier bei jeglichen Versammlungen unerwünscht und auch sonst eher ungern gesehen. Selbst die Menschen machten Jagd auf sie. Kaya seufzte. Was hatten die Wölfe denn getan? Sie konnten ja nichts dafür, dass sie Wölfe waren. Ihrer Meinung nach sollten sie wenigstens zu Versammlungen kommen dürfen. Schließlich lebten sie ja auch in diesem Wald. Wölfe so auszugrenzen war einfach nur unfair! Aber Familie Luchs durfte selbstverständlich dabei sein...

Kayas graue Wolfsohren zuckten herum, als sie Geräusche aus Richtung der Lichtung vernahm. Einige Jungtiere hatten sich dort bereits versammelt, um miteinander zu spielen. Sie sah einen Dachs, drei Füchse, fünf Hasen, zwei Rehkitze, einen Steinmarder und...was war das? Kaya stutzte, als sie ein Luchsjunges auf der Lichtung ausmachen konnte. Kurz zweifelte sie an dem außerordentlich guten Sehvermögen ihrer Raubtieraugen. Seit wann hatte Familie Luchs Nachwuchs? Ein Schnauben entwich der Wölfin, als sie sah, wie der Luchs mit den anderen Jungtieren zu spielen begann. Einfach unglaublich! Kaya spürte, wie sie langsam wütend wurde. Das waren ebenso Fleischfresser, wie sie selbst einer war. Wie kam es dann, dass der Luchs mitspielen durfte? Freunde hatte? Je länger sie dem fröhlichen Treiben zuschaute, desto trauriger wurde sie. Frustriert legte sie ihren Kopf auf ihre Pfoten und stieß ein verärgertes Knurren aus. "Ich wollte nur kurz nach dir sehen. Kein Grund mich gleich so anzuknurren.", ertönte es hinter ihr. Kaya drehte lediglich ihr linkes Ohr in die Richtung und antwortete: "Tut mir Leid, Voka. War nicht an dich gerichtet." "Na dann...Was machst du da?", neugierig kam er näher und legte sich neben seine Schwester. "Ach, nur das Übliche." "Dich bemitleiden?" "Witzig. Wirklich witzig. Nein, ich beobachte den neuen Luchs und verfluche ihn insgeheim auf das Schlimmste, weil er da unten sein darf und wir nicht." "Also doch ... warte ein neuer Luchs? Da unten? Niemals!", Voka sprang auf, lief bis zum Abhang und streckte den Kopf, um mehr sehen zu können. Plötzlich brach der Boden unter seinen Pfoten weg.

Kaya und die MutprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt