Die Chance

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Wenig später saßen Jack, Claire, Kim und ihr Bruder Jonah am Küchentisch. Die Stimmung war unangenehm. Jack fühlte sich unwohl. Einerseits war er erleichtert, dass Kim nicht wegen ihm gegangen war, andererseits fühlte er sich betrogen, weil sie ihm nicht genug vertraut hatte.
Und auch wenn sie Farryn nichts direkt gesagt hatte, hatte er womöglich einen Verdacht gehabt, warum sie sich auf einmal so verhielt und so plötzlich ging.

Kim mied seinen Blick und er wusste, dass auch sie sich unwohl fühlte. Er wusste, dass sie sich Sorgen machte und sich fürchtete. Er konnte es an ihrer Körpersprache sehen. An der Falte zwischen ihren Augenbrauen, die nicht mehr wegzugehen schien, aber nur da war, wenn sie beunruhigt war. An der Art, wie sie mit den bunten Ringen an ihren Händen spielte und daran, wie ihre Augen im Raum umherschossen.

Jonah war scheinbar auch kein großer Redner, aber Jack merkte, dass er die beiden angestrengt beobachte, um an ihrer Körpersprache festzumachen, wie die Lage zwischen ihnen war.
Claire hingegen redete ununterbrochen über alles mögliche und irgendwie machte es Jack wütend. Nicht, dass sie so sorglos und freundlich und hyperaktiv war, das störte ihn nicht. Aber es störte ihn, dass Claire einen Vater hatte, der irgendwo da draußen als Orca rumschwam. Es erinnerte ihn daran, dass Kim ein Leben gehabt hatte, über das sie mit niemanden sprach, ein Leben, das Jack nicht kannte und niemals nachvollziehen könnte. Und es erinnerte ihn daran, dass sie nicht bereit gewesen war, mit ihm darüber zu sprechen.
Sie hätten es zusammen schaffen können, aber Kim war weggerannt.

Irgendwann nahm Jonah Claire an der Hand und brachte sie zu ihrem Zimmer, während sie über Einhörner und den Ozean redete (wo da der Zusammenhang war, wusste Jack auch nicht) und Kim und er waren alleine in dem Zimmer.

Er fühlte ihren Blick auf sich und hob irgendwann den Kopf, um sie anzusehen.
"Es tut mir leid, Jack", hob sie an, bevor er die Chance hatte, etwas zu sagen. "Ich weiß, du bist wahrscheinlich sauer und enttäuscht und ich verstehe das. Ich möchte es dir erklären und mich entschuldigen, aber wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, verstehe und respektiere ich das. Lass es mich nur erklären, bevor du gehst." Er sah an ihren traurigen dunklen Augen wie ernst sie es meinte. Er nickte kaum merklich.

"Hör zu, es tut mir leid. Wirklich. Ich weiß, das alles hätte anders ausgehen können, wenn ich dir einfach die Wahrheit gesagt hätte. Aber ich bin weggerannt, weil ich es nicht anders kenne. Ich wollte um uns kämpfen, aber ich dachte, dass ich das, was wir hatten, sowieso zerstören würde, wenn ich dir die Wahrheit sage. Ich dachte, es macht keinen Unterschied, wie ich unsere Beziehung zerstöre."
Sie sah ihn an, offensichtlich erwartete sie eine Antwort oder Reaktion.

Er seufzte. "Ich wünschte, du wärst ehrlich mit mir gewesen. Ich hätte dir geholfen, auch wenn es sicher nicht leicht gewesen wäre. Ich habe mir immer nur das beste für dich gewünscht, und ich dachte, ein Leben mit mir wäre das Beste für dich. Ich dachte, du vertraust mir."

"Ich sehe das jetzt auch", murmelte Kim. "Ich habe nicht aufgehört, dich zu lieben, aber ich hatte Angst, dass du nichts mit mir zu tun haben willst, wenn du erfährst, was in meinem früheren Leben abgegangen ist."

"Wie konntest du das denken? ich war doch immer für dich da, ich habe alles getan, damit du mir vertrauen kannst. Ich hätte dich unterstützt und dir geholfen."

"Ich weiß."

Einen Augenblick herrschte Stille, bevor er aufstand und zu ihr hinüber ging. Sie sah zu ihm auf und erhob sich nach ein paar Sekunden.

"Was dir dort passiert ist, hast du nicht verdient. Nichts davon ist deine Schuld gewesen und es ist nichts, für das ich dich hassen würde. Ich liebe dich, Kim. Ich kann dir verzeihen, aber du musst mir zeigen, dass es nicht zu spät für uns ist."

Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, als sie die Arme um ihn schlang und ihn in eine feste Umarmung zog.

EingesperrtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt