Au revoir, mon fils

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Hier möchte ich euch ab sofort einige Geschichten aus der Schreibchallenge "Protastik" auf Instagram vorstellen. Sie haben alle mit Figuren aus meiner Buchreihe Paraguay, mi amor zu tun. Teil 1 habe ich 2021 als Buch veröffentlicht, Teil 2 folgt Mitte Mai 2022.

Hier also die Aufgabe vom 16.12.21:

Deine Figuren bekommen die Chance, vor dem großen Finale einen Abschiedsbrief zu schreiben. Welchen davon zeigst du uns?

Ich habe für diese Aufgabe Amandine von Ammern gewählt. Sie ist die Mutter von Jonathan und die Frau von Theodor. Leider starb sie schon 5 Jahre vor Jonathans erstem Auftritt in Paraguay mi Amor Teil 3 –nämlich im Sommer 1995 auf Ibiza, wo die Familie eine Finca besitzt. Sie litt an Brustkrebs und starb, als Jonathan 16 Jahre alt war. Ihr Tod wird im Buch mehrmals erwähnt, aber man erfährt keine Details. Da sie gebürtige Französin ist, ist der Brief natürlich in Französisch geschrieben. Ich habe ihn hier auf Deutsch wiedergegeben. Aus Gründen der Authenzität habe ich allerdings einige französische Vokabeln im Text belassen, ich hoffe, ihr seht es mir nach.

Lest nun also meine Geschichte:

Au revoir,mon fils

Mon cher fils,

wir wissen seit drei Jahren, dass der Moment des Abschieds kommen wird. Leider kommt er nun früher, als ich dachte. Vergiss nie, mein Sohn, ich liebe dich unendlich! Wie gerne hätte ich dich richtig erwachsen werden sehen und erleben, wie du in drei Jahren dein Abitur machen, deinen Führerschein bestehen, studieren würdest und – ja ein Mädchen kennenlernen würdest, mit der du dein Leben lang glücklich sein würdest. Oh, mon dieu, wie oft habe ich mir eure Hochzeit ausgemalt und wie stolz und etwas gerührt ich gewesen wäre...

So, aber nun ist Schluss mit meiner Gefühlsdudelei.

Jonathan, mon Ange, leider sind die Tumoren nun über meinen ganzen Körper verstreut und Dr. Fiebiger machte mir bei meinem letzten Termin vor zwei Wochen keine Hoffnung mehr.

Daher habe ich so darauf bestanden, dass wir diesen – meinen letzten – Sommer hier auf Ibiza verbringen, wo wir so schöne Erinnerungen haben. La France und meine geliebte Heimat Grasse werde ich vor meinem Tod nicht mehr sehen. Ich bin aber froh, dass ich vor 10 Tagen noch einmal da war und Maman und Papa sehen durfte.

Ich hatte ein langes Gespräch mit unserem fachlich so kompetenten und menschlich so wunderbaren Dr. Fiebiger. Ich vertraue ihm, da er uns ja schon seit über 15 Jahren als unser Hausarzt zur Seite steht und immer zu uns nach Hause kam, wenn wir ihn brauchten. Er sagte mir, ich hätte vielleicht 3, wenn es gut käme 6 Monate zu leben, aber schon bald würden die Schmerzen sehr stark werden. Mon bijou, du weißt , wie ich die letzten drei Jahre gekämpft habe, wie ich es bereut habe, erst so spät zum Gynäkologen gegangen zu sein, wie ich als es nicht mehr anders ging- meine Brüste habe abnehmen lassen und diesen lächerlichen Ersatz bekommen habe, wie ich für meinen geliebten Théo und für dich darum gekämpft habe, wieder gesund zu werden und diese bösartige Krankheit zu überwinden- aber nun kann ich nicht mehr. Ich möchte nicht mehr kämpfen und ich möchte keine Schmerzen mehr haben.
Verzeih mir, mon fils, dass ich mich nun in eine andere Welt aufmache, verzeih mir, dass ich des Kämpfens müde bin.

Wenn du den Brief liest, den ich mir – zusammen mit dem Brief an deinen Vater – auf die Brust legen werde- bin ich nicht mehr hier. Ich bin tot, mein geliebter Junge und bitte verstehe mich und verzeihe mir!

Ich weiß, Theo wird es nicht verstehen können. Er akzeptiert nicht, dass weder sein Geld noch sein Einfluss einen Arzt und eine Behandlung finden können, die mich heilen können.

Dr Fiebiger hat mich an eine Organisation in der Schweiz vermittelt, wo ich vor 6 Tagen war, kurz bevor wir nach Ibiza aufbrachen. Dort hat man mir Medikamente gegeben, die es mir erlauben, ganz einfach und schmerzlos einzuschlafen und nicht wieder aufzuwachen.

Natürlich hätten sie mir diese nicht mitgeben dürfen, ich hätte sie nur vor Ort nehmen dürfen, aber ich habe ihnen sehr viel Geld gespendet und so war es möglich. Hier nach Ibiza konnte ich sie zum Glück problemlos schmuggeln.

Der heutige Tag war so schön, mein Liebling. Ich habe es so genossen, ihn mit dir und Theo an unserem kleinen Privatstrand unserer wunderschönen Villa –„EL Pareis azul" zu verbringen.

Es ist jetzt 17:30.

Unser Abendessen um 19 Uhr werdet ihr schon ohne mich einnehmen müssen.

Oh ich bin so traurig, Jonathan, mon petit cheri!

Aber ich bin dankbar für die Liebe, die Theo und ich hatten und die Krönung unser Liebe, bist du, unser Jonathan.

Meine Eltern werden spätestens Morgen dasein. Ich habe es ihnen gerade am Telefon gesagt, sie haben sehr geweint, aber sie haben es verstanden.

Theo weiß es nicht und er wird es nicht verstehen. Deswegen habe ich deinen Großeltern Bescheid gegeben. Sie werden sich die nächste Zeit um euch – und besonders um dich kümmern. Theo wird es nicht können. Du weißt, dass er dich liebt, aber er wird es nie richtig zeigen können. Deine Großmutter wird mit nach Hamburg kommen – das wird euch helfen.

Ich liebe dich über alles

Deine Maman

Amandine.

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„Maman, viens-tu à table?" Ich klopfe kurz an die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern, wo meine Mutter sich nach dem Tag am Strand ausgeruht hat. Sie hat mich vorhin so fest in den Arm genommen und mir gesagt, wie sehr sie mich liebt. Mir war etwas mulmig zumute und ich sagte: „T'aime aussi!" Dann hat sie Papa ganz fest und lange geküsst und ihm das gleiche gesagt, bevor sie hier ins Schlafzimmer gegangen ist. Nun öffne ich die Tür, weil sie nicht geantwortet hat.

Vor mir liegt sie auf dem Bett, ihr schönes, blondes Haar ist um sie herum ausgebreitet, ihre Augen sind geschlossen. Schläft sie?

Ich will mich gerade wieder zurückziehen da sie ich zwei Briefe auf Ihrer Brust liegen. Etwas beunruhigt trete ich näher.

Sie rührt sich nicht! OH GOTT NEIN! Ich will schreien, aber ich kann zunächst keinen Ton herausbringen. Auf meine Brust senkt sich ein imaginäres Band aus Eisen. Es ist, als ob mir die Luft abgedrückt wird, so schmerzt es mich. Ein Schwindel erfasst mich und ich setze mich auf die Bettkante, schaue in ihr wunderschönes, aber fahles Gesicht.

„Non, Maman!", flüstere ich, „bitte, lass uns nicht allein!"

Dann küsse ich ihre Stirn, fasse ihre kalten Hände und dann fange ich an zu weinen. Eine kalte Hand von ihr in meiner warmen. Ich weine und weine bis ich schließlich vom Bett rutsche und auf dem Boden sitzen bleibe.

Irgendwann -vermutlich sind nur wenige Minuten vergangen, findet Theo mich so vor.

Seine agile hochgewachsene Gestalt mit dem unbändigen hellen Haar steht im Türrahmen. Er erfasst die Situation und bringt aber nun einen gepressten Ton hervor – der wie ein waidwundes Tier klingt. Dann nur ein Wort: „AMANDINE!!"

Nie werde ich diesen Moment vergessen. Dann taumelt er zum Bett, kniet sich auf der anderen Seite neben Maman, umarmt sie und bleibt so liegen. Gelegentliche trockene Schluchzer erschüttern seinen ganzen Körper, aber er weint nicht.

Mich nimmt er nicht wahr oder er ignoriert mich, denn er wendet sich mir nicht zu und wechselt kein Wort mit mir. Schließlich stehe ich auf und sage unserem Gärtner Rui und unserer Köchin Garcia Bescheid. Diese kümmern sich um mich und rufen einen Arzt.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 21, 2022 ⏰

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