Die Lenkung des Bösen

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Mein Name ist Martha Steiner und ich schreibe diese Zeilen, weil ich für die Nachwelt festhalten will, welchen furchtbaren und grauenhaften Dingen ich auf der Spur bin. Bitte, lesen sie nicht weiter, wenn sie zart besaitet sind und ihren Blick auf die Welt nicht für den Rest ihres Lebens verändern wollen. Die Abgründe, in die ich geblickt habe, als ich in den letzten Wochen nach meinem Mann gesucht habe, sind tiefer, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Falls sie jedoch jemand sind, der die Wahrheit sucht und keine Angst hat vor dem, was in den Schatten unserer Gesellschaft lauert, dann ist mein Bericht für sie bestimmt. Doch ich warne sie ein letztes Mal, diese Art von Geschichten bleiben nicht auf dem Bildschirm oder auf dem Papier, auf dem sie sie lesen, nein. Sie nehmen Formen an und schleichen sich allmählich in ihr Bewusstsein. Überall werden sie die Zeichen erkennen, die nur jene zu sehen vermögen, die die Wahrheit gesehen haben. Sollten sie nun immer noch Interesse haben, dann nur ein letzter Rat: Suchen sie niemals nach mir.


Mittwoch, 9. Mai 2018, 9:27


Bevor ich davon berichte, weswegen sie diesen Text hauptsächlich lesen, möchte ich mich kurz vorstellen. Da ich im Moment des Verfassens nicht weiß, wie weit ich kommen werde und ob ich überhaupt lebend oder bei klarem Verstand das Ende schreiben kann, verliere ich keine Zeit. Ich bin 32 und lebte bis vor kurzem mit meinem Mann Erich in Heidelberg. Mittlerweile erwarten wir unser erstes Kind. Über viele Jahre arbeitete er dort an der Universität, musste aufgrund seiner Tätigkeit aber auch immer wieder für mehrere Wochen in andere Städte reisen. Sein Fachgebiet ist die Moraltheologie, also jene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit ethischem Handeln beschäftigt. Sein eigentliches Steckenpferd waren allerdings immer religiöse Sekten, die im Konflikt mit der üblichen, uns geläufigen Idee von ethischem Handeln stehen. Nachdem er auf dem Gebiet einige Artikel veröffentlicht hatte, bekam er die Möglichkeit, einen Lehrstuhl samt Forschungsplatz an der Universität in Graz in Anspruch zu nehmen. Mein Mann wusste stets, wie belastend seine langen Abwesenheiten für unsere Beziehung waren und so entschlossen wir uns dazu, in Österreich ein beschauliches Leben zu führen. Dies liegt nun etwa drei Monate zurück. Was seitdem geschehen ist, lässt mich immer noch an meinem Verstand zweifeln. Seit nun mehr drei Wochen fehlt jede Spur von Erich.


Bereits vor seinem Verschwinden benahm er sich immer seltsamer. Oft ertappte ich ihn des Nachts, wie er aufstand und irgendwelche Papiere sortierte, von denen er mir nichts zeigen wollte. In anderen Nächten lag er reglos neben mir im Bett und starrte an die Zimmerdecke. Erst sprach ich ihn darauf an, nur um schlaftrunkene Antworten zu bekommen. In anderen Nächten stellte ich mich schlafend und beobachtete ihn. Sein Blick war vollkommen starr und bei der kleinsten Bewegung meinerseits, richteten sich seine schwarzen Augen auf mich und ein Schaudern fuhr durch meinen gesamten Körper. Umso seltsamer kam es mir, dass er am nächsten Morgen oftmals nichts mehr davon zu wissen schien. Ich versuchte ihm, durch vage Andeutungen etwas zu entlocken, bekam jedoch nur brüchige Antworten.


Oft fragte ich mich, ob ihn bei der Arbeit mit seinen Studenten etwas plagte, aber auf meine Fragen in diese Richtung winkte er immer nur ab. Ich spürte, wie die Kluft zwischen uns wuchs, bis er schließlich vor wenigen Wochen aus meinem Leben verschwand. Ich war völlig fertig. Erst versuchte ich, Szenarion durchzugehen, weshalb Erich sich seit zwei Tagen nicht bei mir gemeldet hatte. Dann ging ich zur Polizei. In den letzten drei Wochen versuchten sie ihn irgendwo zu finden, doch es fehlte jede Spur. Zwar bleiben sie weiterhin auf der Suche, doch ich spüre, dass der Polizei schlichtweg Mittel und Wege fehlen, den Ort zu finden, an dem sich mein Mann befindet. Vor drei Tagen fand ich dann in der Schublade von Erichs Schreibtisch ein Notizbuch mit Aufzeichnungen zu seiner Arbeit. Er liebt es selbst heute noch, fast ausschließlich per Hand zu schreiben. Das Buch an sich war nichts Besonderes. Ein dunkelblauer Einband mit punktierten Seiten, auf denen er Ideen und Themen aufgeschrieben hatte, die er einerseits im Unterricht besprechen, andererseits auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit schenken wollte. Auf den verschiedenen Seiten fanden sich theologische Fachbegriffe, von denen ich die meisten nicht kannte. Immer wieder schrieb er von bekannten Sekten wie den Zeugen Jehovas, Scientology oder den Mormonen. Dazwischen fanden sich aber auch Anmerkungen zu Satanisten, Fiat Lux, einer Gemeinschaft um Weltuntergang und Wiedergeburt oder den Sonnentemplern.

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