A C H T
Vollendung
Mittwoch, 20. Mai, 3.20 Uhr
Es war genau so, wie dieser Reporter es gesagt hatte. Eigentlich war der Woori-Tower noch so etwas, wie ein Rohbau. Das hieß, die Aufzüge funktionierten, auf verschiedenen Etagen wurde mehr oder weniger rund um die Uhr gearbeitet, nur die Stockwerke 37 bis 41 waren in stiller Isolation von dieser hektischen Beschäftigung ausgeschlossen. Zwei Stockwerke hatte das Zugriffsteam lautlos durchstöbert, waren die Frauen und Männer in ihren schwarzen Kampfanzügen lautlos von Tür zu Tür und von Appartement zu Appartement gehuscht. Handzeichen, in absoluter Stille, Kopfschütteln, leer, niemand da, dann ging es weiter. Mittlerweile waren sie in der 39. Etage angekommen und wieder verfolgte Yoongi das Schauspiel, dass sich seinen Augen bot. Diese Sondereinsatzkommandos hatten nichts mehr mit dem gemein, was er unter klassischem Polizeihandwerk verstand und manchmal ertappte er sich dabei, dass er sich nur allzu gerne von diesen Frauen und Männern distanzieren wollte, die zu diesen Spezialkräften gehörten. Sie agierten anders, stringent, mit mehr Kalkül, da war zumeist kein Platz für etwaige Emotionen oder gar Empathie. Dabei lebte seine Arbeit genau davon.
Wobei, jetzt im Moment war er froh um ihre Anwesenheit. Wenn ihr mutmaßlicher Täter hier war und alles sprach dafür, dann wollte er sich dieser Situation gar nicht allein stellen, schon gar nicht in vorderster Front. Er hatte ihn getroffen, er wusste, wie er aussah, wem sie – wenn alles gelang – gleich gegenüberstehen würden und genau dieses Wissen mochte ihn am Ende blockieren.
Das Wissen, dass es ein Junge war, ein Kind. Vielleicht nicht auf dem Papier, aber für ihn war er das. Ein fürchterlich wütendes Kind, dass mit viel zu viel Freude seinem grausamen Spiel nachging. Konnte er dieses Kind töten? Konnte er, im Zweifelsfall, diesem Kind in die Augen sehen und es erschießen? Seit er wusste, wen sie suchten, fiel es ihm immer schwerer, diese Frage zweifelsfrei zu beantworten. Also war es gut, dass die Spezialeinheit hier war, Stück für Stück vorrückte und ihn immer weiter einkesselte.
Gerade als er sich ein Stück vorlehnte, packte die Frau auf der Stufe über ihm beherzt zu und schob ihn wieder zurück. Die nonverbale Kommunikation machte ihn auf den Führer der Gruppe aufmerksam, der soeben eine Reihe von Gesten signalisierte. Hier war also jemand.
Sein Puls jagte in die Höhe. Er musste es sein, eine andere Möglichkeit wollte ihm gar nicht einfallen. Die Wohnungen waren allesamt verkauft und fertig möbliert, aber keine wurde bisher zum Bezug freigegeben. Wer immer also dort drinnen war, hielt sich unerlaubt hier auf. Gut, im Grunde konnte das jeder sein, aber wollte man wirklich einer Bande von Halbstarken so viel Raffinesse unterstellen, dass sie sich ausgerechnet in ein derart abgesichertes Gebäude begab, um dann in einem Luxusappartement im 39. Stock eine Party zu feiern? An so viele dumme Zufälle glaubte er nicht.
Der Zugriff wurde koordiniert und der Einsatzleiter winkte ihn nach vorn. Sie hatte das alles so oft durchgesprochen, dass es jetzt keiner Worte mehr bedurfte. Sechs Leute aus den Spezialkräften und er selbst. Zwei die den Rückzug über das Treppenhaus sichern, vier die das Appartement stürmen würden – und Gott gebe, dass dann nicht irgendwelche überspannten Kinder reicher Eltern dort drinnen waren.
Das Klicken des Schlosses, das für gewöhnlich wohl mit einer Karte und passendem Code geöffnet wurde, war vermutlich kaum zu hören und trotzdem hatte Yoongi das Gefühl, dass es überdeutlich durch das Treppenhaus hallte. Für einen Moment hielt er den Atem an, sein Puls jagte sprunghaft in die Höhe und das trotz jahrelanger Erfahrung. Der Rest ging so schnell, dass es vermutlich keine zwei Minuten dauerte, auch wenn es sich anfühlte, als würde sich die Zeit gerade ins Unendliche dehnen.
Dann brach die Hölle los.
Die Tür öffnete sich lautlos und nur einen spaltbreit, Sekunden vergingen, dann wurde sie ganz geöffnet und zwei schwarz vermummte Gestalten huschten in die Wohnung, dicht gefolgt, vom nächsten Paar. Bis Yoongi selbst das Appartement betrat, waren die anderen längst bis zum Wohnraum vorgedrungen. Später erinnerte er sich daran, dass er leise Musik gehört hatte, doch in diesem Moment nahm er nichts davon bewusst wahr.
Zwei Türen wurden lautlos geöffnet, je einer der Einsatzkräfte verschwand darin und taucht kurz darauf wieder auf. Kopfschütteln, noch mehr Handzeichen, dann verteilte sich das Team, einer in den abknickenden Flur, einer rechts in Richtung Küche.
Die Wohnung war in der Tat riesig, hatte einen verzweigten Flur und – soweit Yoongi es beurteilen konnte – einen umlaufenden Balkon mit mindestens zwei, wenn nicht mehr Zugängen. Im Wohnbereich wurde die Musik etwas lauter, war aber immer noch gedämpft und drang aus verborgenen Lautsprechern aus der Decke. Er passierte ein Badezimmer, das offenbar benutzt worden war, denn auf dem Boden lagen mehrere, zum Teil klatschnasse, Handtücher und auch eins der Waschbecken war nass, obwohl nicht wirklich etwas auf der Ablage herumstand, das darauf schließen ließ, dass hier jemand wohnte.
Weil noch niemand hier wohnte.
Und trotzdem war jemand hier.
Hätte er die nassen Handtücher, die in einem Knäuel auf dem Boden lagen in diesem Moment auseinandergezogen, hätte er gesehen, dass die darunterliegenden dreckig und blutverschmiert waren.
Zwei der Einsatzkräfte hatten die angelehnte Schlafzimmertür erreicht und dort Posten bezogen. Nicken dieses Mal, er bekam ein positives Zeichen, jemand war dort drinnen.
Auch Yoongi nickte und bereits mit dem nächsten Atemzug brachen die beiden Männer durch die Tür. Es hörte sich so an, als hätten sie bereits mit dem Aufstoßen der Tür jemanden erwischt. Es gab einen dumpfen Schlag einen Schmerzenslaut und nur im Bruchteil einer Sekunde wildes Geschrei und Gerangel.
Es waren nur fünf Schritte, bis er im Raum stand, aber die Zeit reichte, um die ganze Situation an den Rand einer Eskalation zu führen.
Polizei. Stehen bleiben. Lassen Sie den Mann los!
Bleiben Sie stehen, lassen sie den Mann los!
Aber er dachte ja nicht daran. Wie ein Schutzschild, hatte er den jungen Mann gepackt, der halb im Delirium schien. Er schwankte, sein Kopf rollte kraftlos herum, so wie er im Arm des anderen hing, nackt und ungeschützt, das verhedderte Laken, in das er ihn geschlungen hatte, herabgerutscht und halb um seine Beine gewickelt.
„Noch einen Schritt näher und ich schwöre, ich schlitze ihn auf wie Schlachtvieh." Seine Stimme war ganz ruhig und jetzt war es Yoongi, der einschritt.
„Nicht schießen!"
Ein Blick aus dunklen Augen traf ihn, ein vages Grinsen. Er war es – unverkennbar – der Junge aus der Bar. Und jetzt wandte er sich direkt an Yoongi, während er noch einen kleinen Schritt zurücktrat und seine Geisel mit sich schleppte.
„Bist du endlich hier, hm?" Er wirkte irgendwie belustig, als wäre das alles nur Teil seines Plans und Yoongi fragte sich unwillkürlich, ob er irgendetwas übersehen hatte. Nein. Nein! Er durfte sich von diesem Kerl nicht täuschen lassen.
„Lass ihn los", forderte er also ruhig.
„Und dann? Wird alles wieder gut? Ich denke nicht." Wieder machte er einen kleinen Schritt in Richtung Fensterfront und der schwarzgekleidete Beamte neben Yoongi machte ebenfalls einen Schritt.
„Er soll sofort stehenbleiben!", kreischte Jungkook da wütend. „Okay?! Wenn er sich bewegt! Wenn sich nur einer von ihnen bewegt, ist das Püppchen tot – verstanden?" Das Messer, das an der Kehle des Jungen lag, drückte sich stärker in die blasse Haut. Ein leises Stöhnen war zu hören und ein dünner roter Faden seines Bluts lief über seinen Hals hinab.
„Okay", versuchte es Yoongi, gab den Männern ein Zeichen und hob beschwichtigend die Hand. „Niemand nähert sich, einverstanden. Und jetzt? Wie lösen wir es auf?"
Jungkook grinste. Er hatte sich so hinter dem Jungen verschanzt, bewegte sich permanent, sodass man unmöglich einen Schuss riskieren konnte. Am Ende erwischte es die Geisel.
„Du willst den Jungen?" Jungkook lachte leise. „Das kleine, schmutzige Ding?"
„Ich will den Jungen lebend", entgegnete Yoongi und erntete auch dafür ein Lachen.
„Wozu?" Mit einem leisen Knurren biss Jungkook dem benommenen Opfer in den Nacken. Fest genug, dass dieser ein schmerzhaftes Stöhnen ausstieß, fest genug, dass seine Zähne die Haut durchbrachen und in einem feuchten Rot schimmerten, als er grinsend wieder aufsah. „Siehst du? Ohnehin fast tot, du verschwendest deine Zeit."
Herrgott verdammt! Er hatte keine Nerven, um mit einem durchgeknallten Killer ein Schwätzchen zu halten! Unwillig knirschte er mit den Zähnen.
„Wenn er für dich ohnehin wertlos ist, kannst du ihn mir ja geben."
Wieder lachte Jungkook und nickte anerkennend. „Netter Versuch", sagte er außerdem, machte noch einen Schritt und wandte für eine halbe Sekunde den Kopf.
Erst da verstand Yoongi, was im Begriff war zu passieren und es geschah, noch während die Erkenntnis durchsackte.
Wieder sah Jungkook ihn an, lächelte – fast entschuldigend jetzt – während ein sanfter Windstoß den bodenlangen Vorhang aufbauschte. Im selben Augenblick warf sich Jungkook herum, riss den torkelnden Jungen mit sich und stürzte hinaus auf den Balkon. Schüsse fielen, Glas splitterte und auch wenn Yoongi brüllte, dass sie – um Himmelswillen! – nicht schießen sollten, war es längst zu spät.
Mit einem Satz war er durch die offene Terrassentür, aber da war Jungkook mit seiner Geisel bereits am Balkongeländer.
„Man hat immer die Wahl, hm? Ich lasse sie dir. Was hältst du davon? Erschieß mich oder rette ihn – du kannst dich entscheiden." Noch während er das sagte, wich er weiter zurück und dort, keine zwei Meter von ihm entfernt, klaffte eine nur schwach gesicherte Lücke in der Brüstung, der Aufsatz fehlte, womöglich war das Teilstück bei der Installation fehlerhaft gewesen und sollte ausgewechselt werden? Auf alle Fälle war die Balkonbrüstung auf gut anderthalb Meter deutlich zu niedrig, reichte einem durchschnittlichen Mann vielleicht gerade mal bis zur Hüfte und war damit für die Höhe in der sie sich befanden weit jenseits aller Sicherheitsstandards.
„Nein", flüsterte Yoongi wie zu sich selbst, als ihm klar wurde, was das bedeutete. Nein, nein! Es war alles geplant! Dass sie ihn ausgerechnet hier finden würden, dass sie es vorziehen würden ein Leben zu retten, als ein anderes zu beenden.
Er hatte alles vorbereitet.
Mitsamt seiner benommenen Last war er an eben jenen Punkt herangerückt und hockte nun fast lässig halb auf der Kante. Hätten sie auf ihn geschossen, hätte er den Jungen – Jimin – mit sich gerissen. Aber natürlich konnte er ihn auch jetzt noch einfach hinunterstoßen, springen – was immer in seinem kranken Kopf vorging. Und so wie es aussah, hatte Jungkook auch nicht vor, sich mit weiteren Erklärungen aufzuhalten. Das taten kranke Spinner nur im Film, die erklärten, wozu das alles diente. Die Echten redeten nicht darüber, sie taten es einfach.
So wie Jungkook. Gerade noch hatte Yoongi ein bezauberndes Lächeln getroffen, dann passierte alles gleichzeitig. Der wilde Aufschrei, mit dem er sich herumwarf und dabei Jimin mit einem Ruck halb über die Brüstung stieß. Wieder knallten Schüsse. Jungkook sprang. Das weiße Laken flatterte hoch und für den Augenblick eines Wimpernschlags sah es aus, als hätte er seine Flügel ausgebreitet. Dann verlor der Stoff seine groteske Form. Schreie, spitze, panische Schreie, während sich Yoongi nach vorn warf, blindlings zupackte, nach dem hellen Umriss griff. Gleichzeitig schoss von rechts aus der Dunkelheit ein schwarzer Schemen heran und hechtete ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, ebenfalls über das unfertige Randstück. Dieselbe fließende Bewegung, als wäre er tatsächlich nur sein Schatten.
Im selben Moment wurde Yoongi mit einem Ruck nach vorn gerissen und prallte gegen die Brüstung, als das Gewicht, das er zu fassen bekommen hatte, mit einem Schlag zum Stillstand kam. Noch mehr Schreie. Vielleicht war er selbst das. Zumindest wollte das brennende Gefühl, als hätte man ihm gerade den Arm aus der Schulter gerissen, ihn schreien lassen. Der Schmerz zerschellte weißglühend in seinem Kopf und nur am Rande nahm er wahr, dass sich kalte Finger um sein Handgelenk wickelten. Kraftlos. Dann breitete sich die Taubheit in seinem Arm aus.
Panisch fasste er mit der anderen Hand nach, tastete nach irgendwas, was er halten konnte und wurde noch ein Stück weiter über den Rand gezogen. Das Metall seiner Gürtelschnalle kratzte langsam über Stein, während das Gewicht ihn beständig nach vorn zog. Mit einem verzweifelten Aufschrei grub er die Finger seiner linken Hand in weiche Haut, während sein Herz mit jedem Schlag ein dröhnendes Summen durch seinen Kopf jagte.
Hilfe.
Er brauchte Hilfe.
Und dann war es plötzlich vorbei, die Last von einem Moment auf den anderen verschwunden, sein Arm frei. Er wurde zurückgerissen, die Welt schaukelte vor seinen Augen, drehte sich einmal um sich selbst und klinkte sich schlussendlich wieder in die richtige Position ein.
Ein Gesicht tauchte über ihm auf, das lächelnden Gesicht einer jungen Frau, die schwarze Maske war hinabgeschoben. Die dunklen Augen glitzerten fast belustigt, vielleicht war das der Adrenalinrausch.
„Alles okay... Sir?"
Funkgeräte knackten, statisches Rauschen überlagert von blechernen Stimmen. Wir haben ihn. Und er lebt.
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Demon S(e)oul
Fanfiction[BTS-Crime-AU] Drei Jahre, zehn Morde und ein Killer der immer noch frei herumläuft - das sind die Fakten, die Inspektor Min Yoongi schlaflose Nächte bereiten. Aber erst die unbedarfte Aussage eines unbeteiligten Dritten bringt den Stein ins Rollen...