14.2: Weißt du, welche Art von Filmen ich am wenigsten schätze?

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Die nächsten Stunden verbrachten sie größtenteils schweigend. Mit Ausnahme von Anatol waren sie keine großen Redner und der Reine war die ganze Zeit zu beschäftigt damit, mitzuhalten. Vor den ersten höheren Hügeln verlor er an Tempo, kam ins Straucheln und klappte vollends zusammen. „Ich ... Ich brauche fünf Minuten."

„Wir haben es bald geschafft", versicherte Chander, der ihm eine Wasserflasche hinhielt. „Nur noch über die Hügel und dann sind wir fast da."

„Nur noch?", brachte Anatol zwischen zwei keuchenden Atemzügen hervor. „Seit wann bist du denn der positivere von uns beiden?" Und obwohl ihm der Schweiß die Haare auf die Stirn klebte, obwohl seine Stirn vor Schmerz gerunzelt war, obwohl seine Haut einen gefährlich blassen Ton angenommen hatte, lächelte er. Auffordernd hielt er Chander seine Hand hin und dieser zog ihn mit einem Ruck zurück auf die Füße.

Anscheinend war Chander der fitteste der Gruppe oder zumindest der am wenigsten angeschlagenste, denn er gönnte sich auf einer Hügelkuppe eine Pause und sah, während sich seine Begleiter stoisch zu ihm kämpften, der Sonne beim Aufgehen zu. Nicht weit entfernt auf der anderen Seite tauchten die ersten Strahlen ein paar weiße Häuser und ein grünes Bahnhofsgebäude in blassgelbes Licht. Davor schwebte die Rinne für den Magnetschlitten in der Luft, erstreckte sich als kurvige Linie, soweit man mit dem Auge blicken konnte.

Eine weitere Stunde später deutete Chander nach vorne, auf einen einfahrenden Magnetschlitten. „Wenn ihr euch nur ein bisschen schneller bewegt hättet, als zwei altersschwache Schnecken, hätten wir den noch erwischen können. Jetzt müssen wir zwei Stunden warten, bis der nächste kommt. Bis dahin sollten wir aber da sein, oder?"

„Das sind Totentransporte", merkte Yuri mit gerümpfter Nase an und ignorierte den Rest.

Chander rang das Bedürfnis nieder, nach hinten zu schauen. Er hatte sich damit abgefunden, dass ihm Yuri gern im Nacken saß, egal wie langsam er lief. „Und weiter? Es sind Schlitten, die in die richtige Richtung fahren."

Zum trillionsten Mal überprüfte Chander seine Uhr. So dicht vor dem ersten Etappenziel und sie würden es gerade so nicht erreichen. Seine Fingernägel tippten unruhig auf seinen Handballen. Aber vielleicht ließ sich in dem Dorf ihr Proviant aufstocken.

„A...el..." Die Worte des Reinen gingen in seinem Keuchen unter.

„Was?"

„Der Sensenmann." Es war nur ein Hauch, der Anatols Mund verließ.

„Also bitte, mach dich nicht lächerlich. Es gibt keinen ..." Er folgte Anatols Blick zur Kuppe eines Hügels. Eine Gestalt in einem wehenden schwarzen Kapuzenumhang zeichnete sich dort ab.

„Fuck", stieß Yuri aus, dicht gefolgt von einem: „Rennt, verdammt noch mal!"

Mit ungeahnten Kraftreserven schossen Yuri und Anatol an ihm vorbei. Beeindruckender war aber der ‚Sensenmann' der förmlich den Abhang hinunterflog, ein Geschoss, hinter dem ein Mantel flatterte. Adrenalin flutete Chanders Adern und er spurtete ebenfalls los.

Es war wirklich filmreif, wie sich das große silberne Ungetüm genau dann in Bewegung setzte, als sie es fast erreichten. Und das schwarz flatternde Taschentuch hinter ihnen sie.

„Lauft weiter!", brüllte Yuri, blieb mit dem Aufwirbeln von Staub stehen und erschuf eine Feuerwalze, die auf den Verfolger zurollte.

Chander erreichte den hintersten Waggon und schuf mit einem Ring eine türgroße Öffnung im Metall. Ein letztes Mal nahm er seine Kraft zusammen und warf sich hinein, auf den kalten, harten Boden. Sofort war er wieder an der Öffnung und streckte die Hand nach Anatol aus, der sichtlich Mühe hatte, mit dem an Fahrt aufnehmenden Schlitten Schritt zu halten.

Der Tanz von Sonne und MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt