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Marco fuhr sich nervös über den Nacken, bevor er an den Kragen seines Shirts packte und so nach Luft wedelte: „Man, ist das heiß hier." murmelte er eher zu sich selbst, als zu uns. Ich warf ihm einen bemitleidenden Blick zu und sah, wie sich die Schweißperlen auf seiner Stirn erneut bildeten und seine eigentlich immer freundlich aussehende Miene sich schlagartig verdunkelte. Diesen Blick, den er Mario zuwarf, den hatte ich noch nie gesehen.
„Ich wusste gar nicht, dass ihr auch hier seid!" begrüßte Mario kurz darauf Mats und schlug mit ihm ein. Dann tat er es bei Marco gleich, doch es sah gleich weniger euphorisch aus. Marco starrte ihn an, wie einen Außerirdischen. Ann-Kathrin nickte mir diskret zu und ich tat es ihr gleich. Währenddessen musste ich mich daran erinnern, wie wir früher zueinander waren. Wir mussten uns alles sofort erzählen, wenn nötig auch mitten in der Nacht und obwohl wir sehr unterschiedlich waren, hatten wir uns nie wirklich gestritten, bis zu dem Tag als sie und Mario sich trennten und Ann Angst hatte, dass Mario sich in mich verlieben würde. Ein Schauer überfuhr mich - dass sie wirklich dachte, Mario hatte sich in mich verliebt. Vielleicht wollte er es, unbedingt - aber Mario hatte fast sein ganzes Leben lang nur Augen für Ann - und eigentlich wusste sie das ganz genau und Mario auch. Das zwischen uns hätte niemals funktioniert. Wie kam es also dazu, dass die zwei gemeinsam hier waren? Hatte er da gerade seinen Arm um sie gelegt?
„Wir sind jedes Jahr hier auf Ibiza, genau wie ihr. Vergessen?" stichelte Marco angespannt. Robert legte seinen Arm über Marcos Schultern und gab ihm so einen kurzen Ruck. Er konnte Streit noch nie ab. Marios Blick schweifte peinlich berührt ab und kurz bevor sich unsere trafen, schaute ich an die Decke der Location und hoffte insgeheim, dass er nicht gesehen hatte, dass ich ihn kurz beobachtete. „Warum geht ihr euch nicht noch etwas zu trinken holen?" fragte Robert seine Frau Anna und deutete auf sie, Ann und mich mit einem kurzen Nicken. Sie musterte ihn irritiert, aber versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Das hieß: ehe ich mich versah, stolperte ich hinter ihr und Ann her und fand mich an der Theke wieder. Von dort aus beobachtete ich Marco, der sogar mittlerweile laut lachte. „Was wollt ihr trinken?" fragte Anna grinsend. „Einen Gin Tonic, bitte." kam es gleichzeitig aus Ann und mir heraus. Wir schauten uns schockiert an. Danach herrschte Stille - zwischen uns allen.
„Du trinkst Alkohol?" fragte Ann irgendwann leise. „Ja" murmelte ich langgezogen: „Wieso sollte ich nicht?" wollte ich dann doch wissen. Ich biss mir selbst auf die Zunge. Warum war ich nur so neugierig? „Auf dem roten Teppich wurde ich gefragt, wann Marco und du euer zweites Kind erwartet. Anscheinend geht in der deutschen Presse herum, dass du deine Trainerstelle aufgegeben hast, weil du wieder schwanger bist." In mir begann es zu brodeln - doch dann musste ich mich daran erinnern wie ich mich fühlte als ich mit Theo schwanger war. Die Lustlosigkeit, das ständige Krank sein und in den Seilen hängen. Die Abgeschlagenheit. Ich runzelte meine Stirn, bis ich mir nichts mehr anmerken lassen wollte. Ich schluckte fest und trank meinen Gin. Ich war nicht schwanger, das konnte gar nicht sein und ganz besonders wollte ich nicht, dass dieses ewige Thema wieder von vorne begann. Bin ich schwanger, bin ich es nicht. Whatever, das ging keinen etwas an. „Ich habe den Job aufgegeben, weil ich selbst wieder herausfinden möchte, was mir Spaß macht und weil ich viel mehr Zeit für Theo haben möchte. Das weißt du, Ann." appellierte ich an ihren Verstand. Sie nickte und biss sich ein wenig reuevoll auf die Unterlippe. „Ich habe eben Marcos Sperrbildschrim auf seinem Handy gesehen. Ihr seid ein wirklich schönes Paar und euer Sohn ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten." lächelte Anna. Ich musste grinsen. Marcos Hintergrundbild war das, was Yvonne von uns zu seinem ersten Geburtstag gemacht hatte. Es war die einzig schöne Erinnerung an diesen chaotischen Tag. Er hatte unseren Drops auf dem Arm und umarmte mich mit seinem freien Arm, während er meine Schläfe küsste. „Er sieht mir vielleicht ähnlicher, aber dafür hat er Marcos Charakterzüge und seine Augen samt Lächeln." schwärmte ich. So sehr hatte ich noch nie geprahlt und vorher konnte ich es auch nie, da unser Familienleben eben anders war, oder eher non-existent. „Ja, es ist schön, die Zeit zu genießen und Väter in ihrem Dad-Modus hineinwachsen zu sehen." schwärmte auch Anna. Plötzlich fühlte es sich zwischen uns dreien nicht mehr ganz so fremd fremd an, sondern ein bisschen wie früher. Als wäre zwischen uns ein riesiger Knoten geplatzt. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal eine solche Unterhaltung führte. „Ich habe Enriquo in den Wind geschossen." sagte sie plötzlich. Anna begann zu lachen und schien sich üb er uns Beide zu amüsieren. „Er hatte nur das Reisen im Kopf - schlimmer als ich. Aber nächstes Jahr kommt Jona in die Schule, da sollte ich mich darauf konzentrieren, dass er hier genug Anschluss findet." Ich nickte. So langsam sackten Anns Worte in mir und ich war in meinen Gedanken versunken. Immer wieder ging mein Blick herüber zu Marco. Meine Hände waren nass-geschwitzt. Gerade eben sagte er erneut, dass er kein Problem mit meiner Nacht mit Mario hatte. Was ist jedoch, wenn ich wirklich schwanger war? Immer und immer wieder spielte sich die Nacht, die ich eigentlich schon aus meinem Kopf verbannte, vor meinem Auge ab und ich versuchte mich an die Verhütung zu erinnern. Es war wie ein Blackout. Marco und ich hatten seit Monaten, seitdem wir getrennt waren, keinen Sex mehr gehabt. Mir wurde ganz schwindelig so sehr drehten sich meine Gedanken im Kreis und um sich selbst.
Als Robert Lewandowski wenig später zum Fußballer des Jahres gekürt wurde standen alle um mich herum auf - außer ich. Peinlich berührt schwankte ich wenig später hinterher und begann ebenfalls zu klatschen.
„Marco" flüsterte ich auf der Party eine guter stunde später und zog an seinem Jackettärmel: „Können wir nach Hause gehen?" besorgt schaute er zu mir herunter: „Was ist los?", „Nichts, ich - ich bin nur müde." Ich sah an seinem Blick, dass er nur für mich mitkommen würde. Er war ewig nicht mehr aus, hatte hier viele Sportlerkollegen getroffen und die Stimmung hier war gut. Ich legte meine Hand auf seine Brust und unterbrach ihn, noch bevor er beginnen konnte zu reden: „Ich nehme mir alleine ein Taxi" lenkte ich ein. Er konnte sein Grinsen nicht überspielen und küsste mich innig.
Auch wenn ich mit einem mulmigen Gefühl ging, ich vertraute Marco. Natürlich vertraute ich ihm. Ich vertraute ihm auch noch, als ich aus dem Taxi ausstieg und die Ferienwohnung betrat - und als ich mich völlig K.O. ins Bett legte, um endlich zu schlafen, vertraute ich ihm auch noch. Nur mir vertraute ich nicht - mir und meiner Auffassung, dass ich nicht schwanger war.
Das Erste, was ich morgen früh vor habe, ist das was wir alle denken was es ist.

Optimisten - Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt