the boy with the hidden smile

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Eren PoV

Ich dachte ich würde es nicht mehr schaffen, den Bus zu erreichen. Mir blieben noch zwei Minuten, bis ich wohl möglich meine letzte Chance verpassen würde, heute noch in die Innenstadt zu fahren. Denn nach einem stundenlangen Familientreffen war das die einzige Möglichkeit, den Tag auf meine Weise enden zu lassen und dem Alltagsstress zu entfliehen, der leider nach dem Abitur auf einen wartete. Ich wurde bombardiert mit Fragen - was ich machen wolle, wie es um ein Studium stand, ob ich schon wusste, wie es für mich weiterging. Aber all das half mir nicht, meinen Weg zu finden. Ich war 19 und hatte keine Vorstellung, was die Zukunft für mich bereit hielt. Wenigstens einen Tag wollte ich haben, wenn nicht nur ein Nachmittag, wo ich das machen konnte, wonach mir der Sinn stand.

Also ergriff ich den blauen Regenschirm und hastete auf die völlig nassen Straßen, der Himmel von grauen Wolken gefüllt und eine kalte Brise huschte einem über die Haut. Das Wetter war genauso ungezähmt wie immer im Frühling, oder auch genauso wie meine überfürsorgliche Mutter, wenn sie sah, dass ich den Geschirrspüler noch nicht ausgeräumt hatte. Also alles in allem normal - aber ich liebte es. Ich lebte meinen Alltag, hoffte das zu tun, was ich wollte, um mich selbst zu finden. Da hielt mich selbst das launische Wetter nicht auf.
Meine Mutter meinte einmal zu mir als ich noch klein war: „Wenn es draußen regnet und der Himmel finster scheint, will das Wetter einem Menschen, der sich ebenso fühlt und dem es nicht so gut geht, das Gefühl geben, nicht allein zu sein." Ab diesen Moment an, beobachtete ich die Menschen, wenn ich ihnen draußen bei schlechten Wetter begegnete. Aber ich hatte nie das Gefühl die Person gefunden zu haben, der das Wetter gewidmet war.

Und als ich dann in den überfüllten Bus stieg, nur noch ein Platz übrig war und ich mich neben einen mir völlig fremden setzten musste und mit ihm sprach, kam es mir so vor, als würde der Regen in nur sekundenschnelle vergehen und der Himmel sich lichten. Er war hübsch und besaß ein schönes Gesicht, seine markanten Gesichtszüge und die gerade Nase, selbst die auf den ersten Blick so eintönig aussehenden Augen ließen mich mit jedem vergehenden Augenblick mehr erahnen, dass er die Person war, nach der ich bisher immer suchte. Ein zweiter Blick jedoch brachte mich dazu, die Situation zu verstehen. Unter seinen Seelenspiegeln befanden sich tiefe Augenringe, seine Haut trocken und die Haare leicht strähnig, da es wohl wieder etwas länger her war, wo er sich um sich selbst kümmerte.

Über die gesamte Fahrt hin vergaß ich meine einstige Erschöpfung durch den Sprint und genoss jede Sekunde mit ihm. Wir stiegen zusammen aus und liefen zum Plattenladen. Aus meinem Augenwinkel sah ich, wie etwas in seinen Augen aufblitzte. Wie er tief ein und aus atmete, als er den Laden betrat und mit was für einer Sorgfalt und Ruhe er sich die Platten ansah und sie wieder auf ihren Platz beförderte. Ich konnte dem allerdings nur stumm zusehen, blendete alles andere aus und wusste nicht, was mit mir war.
Erst, als mich Levi ansah und den Mund bewegte, er anscheinend etwas sagte, kam ich zurück. „Habe ich was im Gesicht? Du stehst hier und guckst mich an. Willst du dir nicht selbst etwas aussuchen?", ein Hauch von Verlegenheit in seiner Stimme. Ich rieb mir den Hinterkopf und stammelte: „Ach, stimmt ja! Und- entschuldige... ich habe... nur etwas gesehen, was mir viel interessanter schien als irgendwelche Platten..." Auf meinen Lippen lag ein sanftes Lächeln, meine Atmung ging ruhig und plötzlich schien es um uns herum still zu werden. Oder es kam mir nur so vor, da er mich nun ebenfalls aufmerksam ansah und sich ein kleines, verstecktes Lächeln auf seinen Lippen bildete. Doch er drehte sich sofort weg und lief zur Kasse. War es ihm unangenehm? Mann, Eren! Wie kommst du darauf, so etwas ihm einfach an den Kopf zu werfen?!

Als der Verkäufer ihm den Preis nannte, zückte er sein Portemonnaie und legte das notwendige Geld auf den Tisch, blickte noch kurz zu mir, ehe er den Laden verließ. Ich legte mein Gesicht in meine Hände. Ich war aber auch selten dämlich. Bevor ich ihm hinterher lief, schnappte ich mir noch ebenfalls die Platte, für die ich eigentlich hier war, und bezahlte.
Levi stand draußen, wartete dem Anschein nach auf mich und blickte hinauf in den Himmel. Es wurde heller, die Sonne traute sich nach draußen und nun schien ein warmes Licht auf uns hinab. Etwas unbeholfen stand ich da und wusste nicht, was ich sagen sollte. „Ich eh'...", murmelte ich und erhoffte mir noch etwas passendes einfallen zu lassen. „Ich danke dir." Ich sah auf und blickte in die grau-blauen Augen meines Gegenübers. „Wofür denn?", fragte ich verwirrt und zog eine Augenbraue hoch. „Dafür, dass ich nach langer Zeit mal wieder rausgekommen bin. Es ist ziemlich lange her, wo ich Spaß hatte - dabei kenne ich dich nicht mal einen Tag. Deshalb... Dankeschön." Ich wusste, dass es ihm unangenehm war, dies so offen zu äußern. Binnen weniger Stunden verstand ich, wie anstrengend es für ihn sein musste, jeden Tag aufzustehen. Wie er sich bewegte, wie er sprach und wie er die Welt ansah. Ich wusste, dass er ein Mensch war, der einiges hinter sich hatte und alles in einem anderen Blickwinkel betrachtete. Er war müde, müde von allem. Er wollte am liebsten nichts anderes machen, als sich wieder in sein Bett zu legen und nichts zu machen. Wahrscheinlich lag er Stunden in der Nacht wach und dachte über Gott und die Welt nach... und niemand verstand ihn, wenn er lieber zuhause war, als auf eine Party zu gehen.
Umso mehr freute es mich, dass ich ihn in dieser wenigen Zeit zu etwas brachte, was er wahrscheinlich, wenn er allein hier wäre, nie getan hätte...

... Zu lächeln.

Er glaubte, er könnte es nicht mehr. Glaubte, es gäbe keinen Grund dazu es zu versuchen. Aber heute, heute erhaschte er einen Einblick auf einen Teil seines Lebens, der noch nicht geschrieben war.

„Hast du noch Zeit? Ich würde dich gerne besser kennenlernen", kam es etwas zaghaft von mir. Ich wollte ihn nicht verschrecken oder es zu weit treiben. Wenige Sekunden der Stille erfüllten die Luft und ließ mich immer mehr an meiner Frage zweifeln, ob es nicht doch überstürzt war. Doch dann sagte er: „Gerne... Aber würde es dir was ausmachen, wenn wir zu mir nach Hause gehen?" Natürlich stellte das kein Problem für mich da. Besonders, wenn es ihm dadurch besser ging. Schon verrückt, wie viel ich darüber nachdachte, wie es einer Person ging, die ich nur eine kurze Zeit kannte.
Ich antwortete: „Nein, kein Problem." Und somit machten wir uns auf den Weg zu seinem Haus.

Er suchte den Hausschlüssel in seinen Jackentaschen und öffnete die Tür mit einem leichten Zittern der Hände - es musste eine Überwindung sein, einen Fremden in seine Comfort-Zone zu lassen. Ich zog meine Schuhe aus, da ich auf den ersten Blick erkannte, dass in diesem Haushalt Ordnung und Sauberkeit das A und O waren.
Eine Frau mittleren Alters kam mit einem Geschirrtuch in ihren Händen in den Flur gelaufen, sah mich verwundert an. „Huch, wer bist du denn?" Levi stieg bereits die ersten Stufen der Treppe hinauf, als er einfach sagte: „Das ist Eren, hab ihn heute getroffen", und lief nach oben. Das Gesicht der Frau - ich nahm an es wäre seine Mutter - wurde augenblicklich weicher und ein Lächeln zierte ihre Lippen. „Na dann, Eren... Willkommen in der Familie." Auch, wenn ich noch nie in diesem Haus war, die Bewohner zum ersten Mal heute traf, fühlte ich mich direkt wohl. Sie, die Frau, hatte diesen Glanz in den Augen, der mir verriet, dass sie bereits weiter dachte und sich demnach sehr freute, dass ihr Sohn jemanden mit nach Hause brachte.

Und mit diesem Gefühl lief ich die Treppe hoch, folgte der Musik und kam schlussendlich bei einem Zimmer an, wobei ich mir sicher war, dass es das von Levi war. Die Wände in einem dunklen Grau, der Schreibtisch ordentlich, wenige Pflanzen zur Deko und am anderen Ende des Zimmers das Bett. Direkt vor dem Fenster, von dem aus man perfekt auf die Straßen dieser Stadt blickte. Hier saß er wohl, wenn er nicht wusste, was er tun sollte. Wie gut ich ihn dabei verstehen konnte.

„Wenn du möchtest können wir uns die Platten anhören, die wir uns gerade gekauft haben", schlug er vor und knibbelte überlegend an seiner Unterlippe. Ich nickte und trat näher heran, sah ihm dabei zu, wie er das Bild auf dem Cover genauer ansah und anschließend den Plattenspieler seinen Wünschen nach anpasste.

Ich wusste nicht was es war, aber es erschien mir, als könnte er jetzt gerade ein Stück seiner selbst sein. Auch wenn er Dinge dachte zu tun, die er immer tat. Musik hören, aufräumen, neue Menschen kennenlernen, waren wenige der Sachen, die er jeden Tag unbewusst leistete. Manche mal weniger, andere mal mehr. Das bewies große Stärke.

„Ein Glück, dass wir den gleichen Musikgeschmack haben... Deine Sammlung ist beeindruckend", ich betrachtete das Regal mit den vielen Platten neben seinem Schrank, „meine dagegen sind ein Witz."

Er gesellte sich zu mir, folgte meinem Blick und sagte schließlich: „Ich leihe dir gerne ein paar davon aus."

Mein Kopf schwenkte zu ihm, ein Lächeln schlich sich in mein Blickfeld, jedoch war es dezent und kaum merkbar - doch ich sah es. Und ich bekam das Gefühl, als würde dieses Lächeln allein mir gelten.
Er wollte mir etwas davon ausleihen? Das bedeutete, er würde mich wiedersehen wollen... Ich bekäme die Chance ihn wiederzusehen.

„Dankeschön."

Er war der Junge mit dem versteckten Lächeln. Er war die Person, der von dem Wetter beschützt wurde. Er war die Person, die ich finden sollte.

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