Mein Zopf war stramm gebunden und ich lief in schnellen Schritten den Gang hinunter. Mein Gesicht war tränenüberströmt, hochrot. Ich streifte über meinen hellblauen, mit lila Streifen versehenden Rock und versuchte noch schneller zu gehen. Ich musste hier raus, so schnell wie möglich.
„Wie konnte er nur?" Ich hatte Angst. Er würde es tun, dass wusste ich. Die Nachtluft war kühl und meine Haare stellten sich auf. Sie beruhigte mich ein wenig, endlich war ich aus diesem Haus raus. Ich atmete tief und versuchte in schnellen Schritten voranzukommen. Der schmale Fußweg, den ich lang lief, wurde von ein paar wenigen Straßenlaternen beleuchtet und neben ihm ragte eine überwucherte Hecke. Ich wusste, dass ich den Ball nicht alleine verlassen sollte, nicht um 2:00 Uhr mitten im Mondschein. Mein Vater hatte mir dazu geraten, doch ich war sicher, er würde jetzt nicht wütend sein. Laufend zückte ich mein Telefon und rief meinen Vater an. Er nahm nicht an. Panik stieg in mir auf. Hektischer fing ich an, durch den Park zu laufen. Ich konnte ihn hören. Er schrie meinen Namen und drohte mir. Seine Schritte waren schnell und ehe ich mich versah stand ich in einer Sackgasse, geformt durch einen Fluss. Ich überlegte, ob ich schwimmen sollte, doch ich hatte Angst. Ich hatte einen so großen Fehler begangen. Eigentlich musste ich schwimmen, doch es war kalt, dunkel. Ich wusste nicht wohin.
Ich starrte auf den Fluss. Vom Mondschein glitzerte die Oberfläche. Mir lief ein Schauder über den Rücken, als in meinen Nacken eine Männerhand griff. Ich flehte ihn an: „Henry, es tut mir leid, wirklich! Lass mich!", mit zitternder Stimme fügte ich ein „Bitte" hinzu. Jetzt konnte ich nur noch hoffen. „Ich liebte dich Lya! Und dann das? Ich kann dir niemals nichtmal um deinen Tod verzeihen!" So, wie Henry das Wort „Tod" betonte, klang es furchtbar. „Henry bitte, komm' zur Vernunft! Wir können darüber reden! Es tut mir leid! Es tut mir so leid!" Mit einem festen Griff drehte Henry mich um. Er stellte sich unsagbar nah an mich heran. Ich kannte das Gefühl ihm nahe zu sein, doch ich fühlte mich bedrängt. Henry näherte sich mir ein weiteres Stück, unsere Lippen trafen sich. Ich machte keinerlei Bewegungen, ich stand wie angewurzelt da und sah ihn an. Das war keine Liebe, das war Zwang. Langsam und so unauffällig wie möglich versuchte ich es ein letztes Mal: „bitte Internet, sei da!!!", dachte ich. Langsam schweiften meine Finger über die stumme Tastatur. Bevor ich eingab prüfte ich, ob der Ton ausgeschaltet war. Dann tippte ich 110. Jetzt konnte ich nur hoffen. Mein Herz raste wie wild, das war der schlimmste Moment meines Lebens. Als Henry seine Lippen endlich von mir löste, spürte ich Erleichterung, doch eigentlich täuschte ich mich. Mit einem Ruck stieß er mich in den Fluss. Ich schrie, aus Reflex. Mein Kopf knallte auf einen Stein, mein Körper wurde schlagartig eiskalt. Ich sah verschwommen die Wasseroberfläche und versuchte mich irgendwie hochzubringen. Kurz bevor ich einatmen konnte drückte mich seine Hand mit voller Kraft nach unten. Es tat so weh, ich hatte so Angst, es würde mein Tod sein. Ich betete. Ich betete, dass die Polizei da ist, ich betete, dass mein Papa da ist, ich betete, dass ich nicht sterbe. Und als ich dachte aufzuwachen, war es für immer unmöglich.
Tot. Das war ich.
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After The Death- Todeshüter (pausiert)
HorrorNachdem Olpina auf mysteriöse Weise in eine Nebenwelt namens „Aeternitas" gekommen war, kann sie dort nur unbeschwert leben, wenn sie ihrem Beruf nachgeht: Todeshüter. Als Fall bekommt sie einen Mord eines Mädchens, den sie aufklären soll, doch ziem...