[oben seht ihr Chloë grace moretz als Laurel)
Lieber Kurt Cobain,
wir haben gerade Englisch und sollen einen Brief an eine berühmte Persönlichkeit schreiben, die schon verstorben ist.
Als würde es im Himmel so etwas wie einen Geisterpostboten geben.
Wahrscheinlich hat unsere Lehrerin Mrs.Buster dabei eher an einen früheren Präsidenten gedacht als an dich, aber ich brauche jemanden, mit dem ich richtig reden kann.
Mit einem toten Präsidenten geht das nicht.
Mit dir schon.Ich wünschte, du könntest mir sagen, wo du jetzt bist und warum du nicht mehr leben wolltest.
Du warst der Lieblingssänger meiner Schwester May.
Seit sie nicht mehr da ist, fällt es mir irgendwie schwer, ich selbst zu sein, weil ich nicht mehr genau weiss, wer ich eigentlich bin.
Dabei wäre es wichtig für mich, das möglichst schnell rauszufinden.
Ich bin nämlich erst seit ein paar Tagen auf der Highschool und habe das Gefühl, dass man hier ganz leicht untergeht, wenn man es nicht weiss.May wäre die Einzige gewesen, die mir Tipps für den Schulwechsel hätte geben können.
Zum Beispiel, was ich am ersten Tag anziehen soll.
Ich erinnere mich noch genau daran, was sie an ihrem ersten Tag angehabt hat, also bin ich in ihr Zimmer und habe die Sachen rausgesucht - den kurzen karierten Faltenrock und ihren pinken Pulli mit dem abgeschnittenen Kragen und dem Nirvana-Smiley, den sie drangesteckt hatte.
Aber eins habe ich dabei nicht bedacht: May war auf eine Art schön, die sich einem für immer ins Gedächtnis brennt.
Sie hatte lange seidige Haare und bewegte sich so anmutig, als würde sie eigentlich in eine ganz andere, eine bessere Welt gehören, weshalb das Outfit an ihr genau richtig aussah.
Ich habe ihren Rock und den Pulli angezogen, in den Spiegel geschaut und versucht, mich so zu fühlen, als würde ich auch in eine Welt gehören - in irgendeine -, aber ich sah einfach nur verkleidet aus.
Zum Schluss hatte ich dann doch die Sachen an, in denen ich mich an der Middleschool immer am wohlsten gefühlt habe.
Die Jeanslatzhose mit dem langärmligen Shirt und dazu die Kreolen.
Aber schon in dem Moment, in dem ich in die Eingangshalle der West Mesa High kam, habe ich gespürt, dass das ein Fehler gewesen war.Inzwischen habe ich ein paar Dinge dazugelernt.
Zum Beispiel weiss ich jetzt, dass sich an der Highschool keiner Essen von zu hause mitbringt.
Entweder kauft man sich in der Cafeteria ein Stück Pizza oder eine Packung Nutter-Butter-Erdnusskekse oder man isst gar nichts.
Meine Tante Amy, bei der ich jede zweite Woche wohne, macht mir morgens immer ein Sandwich mit viel Mayonnaise und Eisbergsalat, wie May und ich es früher so gern gegessen haben.
Früher, als wir noch eine normale Familie waren.
Vielleicht keine wie aus dem Bilderbuch, aber immerhin eine, die aus Vater,Mutter und zwei Kindern bestand.
May und mir.
Es kommt mir vor, als wäre das schon sehr lange her.
Ich möchte Tante Amy nicht sagen, dass ihre Sandwiches nicht das Richtige für die Highschool sind, weil sie sich solche Mühe gibt und sich freut, mir etwas Gutes tun zu können.
Deswegen schließe ich mich in der Pause im Mädchenklo ein und schlinge sie dort heimlich herunter.Obwohl ich jetzt schon eine Woche hier bin, kenne ich noch niemanden.
Alle aus meinem AbschlussJahrGang an der Middleschool sind an die Sandia High gewechselt - das ist die Schule, an der auch May war.
Aber ich wollte nicht bemitleidet werden und Fragen beantworten müssen, auf die ich keine Antwort geben kann, deswegen habe ich mich für die West Mesa High entschieden, die in dem Schulbezirk liegt, in dem Tante Amy wohnt.
Wahrscheinlich habe ich mir vorgestellt, das könnte so eine Art Neuanfang werden.Die Mittagspause dauert dreiundvierzig Minuten.
Weil ich nicht die ganze Zeit auf der Toilette verbringen will, gehe ich in den Hof hinaus,sobald ich mein Sandwich gegessen habe, setzte ich mich auf eine der Bänke am Zaun, wo ich praktisch unsichtbar bin, und beobachte die anderen Schüler.
Es regnet schon die ersten Blätter von den Bäumen, aber die Luft ist immer noch so sonnenwarm, dass es sich anfühlt, als würde man hindurchschwimmen.
Ich beobachte vor allem einen Jungen.
Ich glaube, er heisst Sky.
Er trägt immer eine Lederjacke, obwohl der Sommer noch nicht wirklich vorbei ist.
Sky steht zwar meistens ziemlich weit weg auf der anderen Seite des Hofs, aber ich bilde mir ein, sehen zu können, wie sich sein Brustkorb mit jedem Atemzug hebt und senkt.
Das erinnert mich daran, dass Luft nicht nur etwas ist, das einfach so um uns herum ist, sondern etwas, das wir einatmen.Irgendwie finde ich den Gedanken tröstlich, dass dieser Junge inmitten all der fremden Menschen die selbe Luft atmet wie ich.
Dieselbe Luft, die du mal geatmet hast,Kurt, und auch May.Wenn ich deine Musik höre, denke ich manchmal, dass sich vielleicht einfach zu viel in dir angestaut hatte.
Vielleicht hast ja nicht einmal du es geschafft, alles rauszulassen.
Und vielleicht bist du daran gestorben.
Weil dich das, was in die war, von innen heraus zerissen hat.
Dieser Brief ist wahrscheinlich nicht so geworden, wie Mrs Buster ihn sich vorgestellt hat.
Ich glaube, ich versuche es später noch mal.Laurel