Kapitel 1

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Buffalo Creek, Colorado

„Verdammt", fluchte Eliza laut, als auch beim dritten Versuch, das Auto zu starten, nichts weiter als ein kurzes Aufheulen erklang. Verzweifelt drehte sie den Schlüssel ein weiteres Mal um, doch wieder erstarb der Motor, noch bevor er Fahrt aufnehmen konnte.
Frustriert stieg sie aus, knallte die Fahrertür fest zu und trat harsch gegen den Reifen.
„Dämliche Karre!", schimpfte sie noch, als sie ihr Handy zückte, um nach verfügbaren Ubern in ihrer Umgebungen zu suchen.
Ausgerechnet vor der Arbeit musste ihr Auto den Geist aufgeben. Sie hoffte inständig, nicht lange auf einen Fahrer warten zu müssen, denn sie wollte auf keinen Fall zu spät erscheinen. Doch wie so häufig hatte sie kein Glück.

Natürlich war in dieser Einöde ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kein Uber in der Nähe und so trat sie ein weiteres Mal wütend gegen ihr Auto.
Da auch weit und breit keine weitere Seele zu erkennen war, die ihr hätte aushelfen können, rief sie peinlich berührt ihren neuen Chef an, um sich für die erwartete Verspätung zu entschuldigen.

Zu ihrer Überraschung bat er ihr an, seine eigene Tochter zu ihr zu schicken, die sie abholen sollte. Auch versprach er ihr, dass er sich ihr Auto nach der Schichtübergabe mal anschauen würde. Als sich Eliza überwältigt und sprachlos für diese unermessliche Freundlichkeit bedankte, erwiderte ihr Boss bloß, dass in diesen Bergen die Menschen zusammen hielten und er es außerdem nicht zulassen konnte, dass eine junge Frau hier ohne ihr Auto zurechtkommen musste.

Eliza stand am Straßenrand ihrer Auffahrt und staunte wieder mal über die atemberaubende Aussicht auf die Natur der Rocky Mountains. So abgelegen und hinterwäldlerisch wie ihr dieser Ort auch manchmal vorkommen mochte, so umwerfend wunderschön war er dennoch. Sie zog gerade ein letztes Mal an ihrer Zigarette, als ein älterer blauer Ford um die Ecke bog und auf sie zufuhr. Lisa, die beinahe volljährige Tochter ihres Chefs Curtis, fuhr auf sie zu und kam schließlich vor ihr zum Stehen.

Ein freundliches, dunkelhäutiges Gesicht strahlte sie an, als das Mädchen ihr Fenster herunterließ und sie begrüßte.
„Lisa, ich kann mich gar nicht genug bei dir und deinem Vater bedanken!", begrüßte Eliza ihre Fahrerin freundlich.
„Ach, das ist doch gar nicht der Rede wert! Ich war sowieso in der Nähe und da ist es doch selbstverständlich, dass ich dir aushelfe!", tat sie ihre Geste ab und lächelte.
Eliza grinste ebenfalls zurück, verschwieg ihr aber, dass so etwas alles andere als selbstverständlich war. Zumindest nicht in Washington D.C.
In ihrer alten Heimatstadt jedoch, insbesondere in der Nachbarschaft, in der sie aufgewachsen war, hatte sie solch einen Zusammenhalt ebenfalls gekannt. Doch das war bereits über ein Jahrzehnt her.

Lisa fuhr los und aus dem Radio ertönte ein Popsong, der bei Teenagern ziemlich beliebt zu sein schien. Jedenfalls sang ihre Fahrerin wortsicher mit und kannte den gesamten Songtext auswendig. Lisa hatte wohl Elizas Anwesenheit zwischenzeitlich vergessen, denn als das Lied ausklang, blickte sie plötzlich entschuldigend zu ihr.
„Sorry, aber bei Taylor Swift kann ich mich einfach nicht zurückhalten", gab sie mit einem Augenzwinkern zu.
„So geht es mir auch... bei anderen Liedern", antwortete Eliza lächelnd und unterdrückte den Impuls, loszulachen.

Als der Truck schließlich vor der Bar anhielt, bedankte sich Eliza nochmals aufrichtig, bevor sie ausstieg und zum Eingang lief. Am liebsten hätte sie sich noch eine Zigarette angesteckt, doch sie war bereits spät dran und wollte ihr Schicksal nicht weiter herausfordern. Innerlich verfluchte sie sich selbst dafür, dass sie nach all den rauchfreien Jahren wieder ihrer Sucht verfallen war, dennoch verspürte sie mittlerweile nicht mehr den Willen, nochmal aufzuhören. Eilig betrat sie die Bar und lief geradewegs zur Theke, an der ihr Boss gerade ein Glas trocknete.
Sie entschuldigte und bedankte sich ein weiteres Mal, legte ihre Jeansjacke unter dem Schanktisch ab und begann ebenfalls, die Bar für die offizielle Öffnung vorzubereiten.

Stunden später stand sie alleine an der Theke und bediente die wenigen Stammgäste, die selbst an einem Wochentag hier eintrafen. Bald würde sie die Bar wieder schließen und nach Hause gehen können. Curtis hatte wie angekündigt nach dem Ende seiner Schicht einen Abstecher zu ihrem Auto gemacht und ihren Wagen inspiziert. Schnell hatte er feststellen können, dass ihre Batterie aufgebraucht gewesen war und ihr eine neue besorgt, die er zugleich noch einbaute. Um seiner Freundlichkeit noch eins aufzusetzen, hatte er ihr Auto außerdem an der Bar abgesetzt, sodass sie später selbst nach Hause fahren konnte.

Eliza war ihrem Arbeitgeber unermesslich dankbar, doch konnte sie das ungute Gefühl nicht abschütteln, das solch eine maßlose Hilfsbereitschaft in ihr auslöste. Sie war es nicht gewohnt, so umsorgt zu werden, vor allem nicht von einem Mann, den sie erst seit einigen Wochen kannte. Zudem war sie im letzten Jahr überaus misstrauisch geworden, weshalb sie nicht abschätzen konnte, ob ihr Unbehagen gerechtfertigt war oder nur ihrer Unsicherheit entsprang. Dennoch war sie froh, nicht auf weitere Fahrer oder ein Taxi angewiesen sein zu müssen. Vor allem nicht in der Nacht, die von Tag zu Tag immer früher anbrach.

Als schließlich der letzte Gast die Bar verlassen und sie alles erledigt hatte, löschte sie das Licht und schloss das Gebäude ab. Morgen Mittag würde Curtis wieder seine wöchentliche Inventur betreiben müssen, weshalb sie gründlicher als gewöhnlich alles gereinigt hatte, um ihm zumindest das Putzen abzunehmen. So war es mittlerweile spät geworden und eilig schritt sie über den spärlich beleuchteten Parkplatz. Trotz der Abgeschiedenheit der Kleinstadt und der Vertrautheit aller Bewohner untereinander, hielt sie jede Nacht ihr Pfefferspray griffbereit in ihrer Jackentasche. Vorsicht war besser als Nachsicht, wie sie sich immer ermahnte. Zudem kannte sie sowieso nicht genug Einheimische, um ein gesundes Vertrauen aufbauen zu können.
Nein, lieber hastete sie jede Nacht zu ihren Wagen und suchte die Dunkelheit nach möglichen Gefahren ab. Doch bis auf ein paar Katzen und das ein oder andere Opossum erweckte nichts für gewöhnlich ihre Aufmerksamkeit.

Als sie ihr Auto aufschloss, hineinglitt und es wieder verriegelte, seufzte sie erleichtert auf. Endlich konnte sie sich auch zum ersten Mal seit Stunden wieder eine Zigarette anzünden und sie genoss das Nikotin, welches zugleich seine entspannende, doch kurzweilige Wirkung entfaltete. Sie fuhr vom Parkplatz und öffnete nun erst das Fenster ihres Wagens einen spaltbreit, sodass die frische Herbstluft das Innere füllen konnte. Sie hasste es so unglaublich, dass sie so vorsichtig und ängstlich geworden war, doch konnte sie ihre dauerhafte Anspannung auch nicht einfach abschütteln. Sie hatte die verschiedensten Entspannungsübungen und sogar Yoga ausprobiert, doch nichts half ihr dabei, ihre Ängste zu bezwingen. Beruhigungsmittel wollte sie auch nicht einnehmen, weshalb sie wohl oder übel dazu gezwungen war, ein furchterfülltes Leben zu führen.

Wenigstens habe ich noch eins, dachte sie, während sie an einer roten Ampel anhielt und ihr Fenster wieder nach oben gleiten ließ. Die Anlage schaltete wieder auf grün und sie wollte gerade nach rechts abbiegen, als ihr der dunkle SUV auffiel, der ihr schon seit der Bar folgte. Zunächst hatte sie sich keinerlei Gedanken gemacht, war es doch nichts weiter als reiner Zufall gewesen. Das hatte sie sich zumindest versucht einzureden. Mittlerweile war sie jedoch schon seit fünfzehn Minuten unterwegs und nicht mehr fern von ihrem Zuhause, das am spärlich besiedelten östlichen Außenbezirk der Stadt gelegen war.

„Langsam werde ich wohl wirklich verrückt", murmelte Eliza, bog jedoch an der nächsten Kreuzung nicht wie gewöhnlich nach links ab, sondern fuhr geradeaus weiter.

Zu dieser späten Stunde unter der Woche waren die Straßen verwaist und lediglich die grellen LED Lichter ihre Verfolgers waren neben ihren zu erblicken. Fieberhaft dachte sie über ihre nächsten Schritte nach. Letztendlich hörte sie auf ihre Angst, die ihr befahl, sich von ihrem Heim zu entfernen. Sollte der SUV verschwinden, würde sie ja wieder umdrehen und vielleicht sogar später über ihre übertriebene Vorsicht lachen können.

Zwei Ampeln und fünf Blocks weiter stellte sie zufrieden fest, dass der dunkle Wagen verschwunden war, und so machte sie sich wieder auf den Weg zu ihrem Haus, wenngleich sie ihr Verhalten mit unschönen Wörtern laut kommentierte und versuchte, sich die Details beziehungsweise das Nummernschild des SUVs zu merken, indem sie es sich immer wieder laut aufsagte.
Langsam drehe ich wohl wirklich durch, dachte sie missmutig und zündete sich eine weitere Zigarette an. Diesmal ließ sie ihr Fenster jedoch geschlossen.

Dass der SUV später jedoch in gebürtigem Abstand zu ihr in die Straße einbog, als sie gerade ihr Haus betrat, hatte sie nicht bemerkt.

The BartenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt