Whatever.

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Müde Gesichter liegen in dem Raum, träge Schatten, umgeben von traurigen Fratzen. Graue Anzüge, graue Kleider.
Ausgelaugte Seelen.
Ohne es zu merken passt sich (fast) jeder an den vorbeiziehenden grauen Strom an. Außer Megan. Langsam vergessen sie den Rest um sich herum und begutachten diesen einen bunten Farbklecks in der Menge. Ist das der Sinn des Lebens? Sich anzupassen? Sich bewerten zu lassen? ALLES dreht sich um Bewertungen. Noten, Arbeit. Um was dreht es sich noch in dieser Welt? Was dreht sich schon noch um Leben? Wofür schuftet man, arbeitet oder lernt? Für gute Bewertungen? Doch wieso? Alles geordnet? Alles berechenbar? Wer steht in dieser Welt noch auf riskant?

Megan.
Bunt.
Verrückt.
Lebensfroh.
Riskant.
Mutig.

In diesem einen, wunderbaren Sommer, war es wirklich wahnsinnig kalt. Zumindest an diesem einen Abend. Wir standen auf einer Brücke, hoch über dem Fluss. Natürlich musste Megan ganz nah an den Rand der Brücke gehen und forderte mich auf, es auch zu tun. Ich versuchte nein zu sagen, doch die Worte blieben in meinem Hals stecken und meine Füße bewegten sich von alleine zu Megan. Sie nahm mich bei der Hand und zog mich weiter zum Rand der Brücke. Ich umklammerte ihre Hand so fest, dass sie rote Stellen von meinen Fingernägeln in der Handfläche hatte. Die Haut zwischen unseren Händen prickelte leicht. Es war ein wahnsinniges Gefühl dort zu stehen und den eiskalten Wind, der langsam, aber sicher, die Wärme aus uns saugte, in den Haaren zu spüren. Dieses Gefühl trieb ein übermütiges Lächeln in ihr Gesicht. Und ihr Lächeln wurde immer breiter, als sie einen Schritt näher an den Rand der Brücke trat. Ihre pink geschminkten Lippen waren an diesem grauen Abend nicht zu übersehen und ihre wirren Locken lächelten einen geradezu an. Ein komisches Gefühl der Aufregung ließ meine Brust plötzlich eng werden. Ich konnte nicht definieren, was ich in diesem Moment fühlte. Ich wusste, dass Megan am liebsten in den Fluss springen würde und sich mit einem breiten Grinsen von den großen Wellen davontragen lassen wollte. Doch stattdessen blieb sie stehen; meine Hand noch immer umfasst. Eine Windböe fuhr in ihre lockigen Haare und ließ sie um ihren Kopf schweben. Megan's Schuhe lagen weit von ihr entfernt und ihre pinkfarbenen Fußnägel brachten ihr ganzes Erscheinungsbild noch mehr zum Leuchten. Ein kribbelndes Gefühl machte sich in mir breit, als ein begeistertes Lachen aus Megan's Mund erklang. In dieser Sekunde verdoppelte sich mein Herschlag und Megan trat einen weiteren Schritt näher an den Rand der Brücke. Wahrscheinlich dachte sie darüber nach wie es wohl sein würde, sich in die Fluten zu stürzen, mit dem Wissen nie wieder aufzutauchen. Noch nie hatte ich mich so gefühlt; so nah am Tod. Dennoch fühlte ich mich nicht schwach. Mit Megan an meiner Seite fühlte ich mich, trotz dieser Situation, stark. Sie hatte mich mal wieder dazu überredet. Und ich bereuhte es nicht - ich war froh, dass sie mich überredet hatte. Wie lebendig und frei ich mich fühlte - dank Megan. Ich genoss jeden einzelnen Atemzug. Ich genoss das Gefühl des puren Lebens in mir. Als die ersten Regentropfen fielen, schloss Megan neben mir die Augen. Der Wind peitschte unsere Haare wild umher und die Regentropfen waren wilder geworden. Was, wenn wir uns von dort aus von der Brücke fallen lassen würden und uns von den Wellen in den Tod ziehen lassen würden? Dann würde man uns irgendwann mal als Leiche am Ufer angeschwemmt finden. Bestimmt würden die Medien darüber berichten. Wie sich zwei Mädchen - ein verrücktes, ein durchschnittliches - in den Tod stürzten. Megan lächelte mir aufmunternd zu und ich lächelte automatisch zurück. ,,Warum machen wir das eigentlich?", fragte ich sie.
,,Um das Leben nochmal intensiv zu spüren."
Leicht verwundert trafen sich unsere Augenpaare, dann legte sich wieder die Stille über uns zwei.
,,Weil wir müssen", sagte sie mit ruhiger Stimme.
,,Nein", erwiderte ich, ,,niemand zwingt uns."
,,Doch. Wir selbst zwingen uns."
,,Willst du sterben?"
Megan nickte leicht und bedachte mich mit einem Lächeln.
,,Dann sterben wir", sagte ich.
Die graue Farbe des breiten Flusses war anziehend und angsteinflößend zugleich. Vielleicht würden wir auch von einem Blitz getroffen werden. Im selben Moment, in dem ich das dachte, schoss ein weiterer Blitz purer Elektrizität über den Himmel. Würde hier ein Blitz einschlagen, würde uns die Elektrizität mit Sicherheit töten. ,,Jetzt?", flüsterte ich.
,,Jetzt", sagte Megan, lachte ein letztes Mal laut und schon spürten wir wie die Brücke unter unseren Füßen verschwand. Noch ein letzter Atemzug, bevor ich das Gefühl des Lebendigseins für immer verlassen würde. Und ich spürte wie die tosenden Wellen unter uns zusammenbrachen, mir eine kleine Träne die Wange runterlief, doch wir ließen einander nicht los.

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Falls ihr euch fragt wie die Person, die in der Ich-Form schreibt, heißt ... Das ist unbekannt. Das liegt nicht daran, dass mir kein Name eingefallen ist, falls ihr das denkt ;)
Ich hoffe, euch hat meine erste Kurzgeschichte gefallen! (Betonung auf ERSTE) :)

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