chicago.

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"Marie? Kannst du noch einmal den Einkauft übernehmen? Ich muss nochmal ins Büro, bin aber spätestens um zehn wieder da!" Ohne eine Antwort verließ meine Mutter unser Haus und schon war von draußen das Aufheulen ihres Autos zu hören. So war das immer. Als viel beschäftigte Architektin war sie zwar gut bezahlt, musste aber des Öfteren abends - und auch mal nachts - arbeiten, sodass ihr wenig Zeit für die Aufgaben einer Hausfrau blieb. Und das durfte ich dann an ihrer Stelle übernehmen.

Schulterzuckend drehte ich mich um und schnappte mir meine Tasche. Ich hatte mich damit abgefunden, denn ändern konnte ich es nun mal sowieso nicht.

Ich machte mich also auf den Weg zu dem Walmart, der nur ein paar Straßen weiter lag und den ich inzwischen fast als mein zweites Zuhause bezeichnen konnte. Doch, ich war definitiv zu oft dort gewesen.

In meinem typischen Trott packte ich verschiedene Lebensmittel in den riesigen Einkaufswagen vor mir, der sich nach einer Weile schon gut gefüllt hatte. Wobei die Hälfte davon wahrscheinlich aus Süßigkeiten bestand, aber man gönnte sich ja sonst nichts.

"What the frickin'... Ach, das kann doch nicht sein", hörte ich eine verzweifelte Stimme in meiner Nähe. Sofort hörte ich zu, denn es war schließlich nicht alltäglich, dass man hier jemanden Deutsch sprechen hörte. Ehrlich gesagt war das gerade das erste Mal, dass ich jemand Deutschen hörte, seitdem ich mit einen Eltern vor 16 Jahren hierher gezogen war.

Vorsichtig lugte ich um das Regal - ich fühlte mich wie Sherlock Holmes, nur in schlechterer Version - und erkannte einen jungen Mann, der mit verzweifeltem Ausdruck das Getränkeangebot betrachtete. Bei dem Gedanken, dass er gerade mit sich selbst geredet hatte, musste ich leise kichern.

Der Mann fuhr sich durch seine schwarzen Haare und griff dann nach einem Getränk, stellte es nach kurzer Betrachtung aber mit angeekelter Miene sofort wieder weg. Irgendwie amüsierte er mich und ich beschloss, mir das ganze genauer anzuschauen.

"Hallo, kann ich dir irgendwie helfen?", bot ich an, während ich meinen Einkaufswagen ein paar Meter weit weg parkte und dann auf ihn zu lief.

"Ja, dieser Laden hat einfach keinen einzigen normalen Drink und ich -", er unterbrach sich und betrachtete mich genauer, "Moment mal, du sprichst ja Deutsch!" Seine leuchtenden, braunen Augen trafen auf meine grünen und seine Miene wechselte in eine erleichterte, was mir sofort ein Grinsen ins Gesicht zauberte.

"Ja, und du auch!", sagte ich begeistert, wobei ich versuchte, seinen Tonfall zu kopieren. Dann trat ich neben ihn und schenkte meine Aufmerksamkeit dem Regal vor uns, während ich seinen Blick auf mir spürte.

"Kein Wunder, dass du die eklig findest, du bist hier in der Sirup-Abteilung!", meinte ich lachend und winkte ihn dann hinter mir her, "komm mal mit, ich zeig dir, wo's was Richtiges gibt."

"Oh man, manchmal bin ich echt so'n richtiger, kleiner Dummkopf", meinte er leise, folgte mir dann aber ein paar Regale weiter. Nun hatte das stetige Einkaufen im Walmart doch etwas gebracht, denn ich konnte ihm stolz meine Abteilungs-Kenntnisse präsentieren. Fehlte nur noch, dass ich die Produktliste auswendig kannte.

"Hier, davon sollte es auch einiges in Deutschland geben", sagte ich und wies auf ein Regal, das Lift-Getränke enthielt. Der junge Mann - ich hatte inzwischen entschieden, dass er ungefähr in meinem Alter war - griff nach kurzer Überlegung zu einem Eistee und drehte sich dann zu mir.

"Warum kannst du eigentlich Deutsch?", fragte er aus dem Nichts, während er den Eistee von der einen in die andere Hand gleiten ließ.

"Hab ich gestern gelernt", meinte ich achselzuckend. Seine Augen weiteten sich und wieder musste ich über seine Mimik lachen.

chicago. | paluten one shotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt