3 - Bartholomy Gix

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Es vergingen keine fünf Minuten, da fühlte sich der Magier endlich im Stande, sein Werk zu vollführen. Eine plötzliche beklemmende Angst hatte sich um ihn gelegt und sein Kopf schwenkte immer wieder nervös hin und her. War er wahnsinnig, weil er Ramos wieder zum Leben erwecken wollte? War es abwegig, dass er es überhaupt schaffen könnte? Aber schließlich wusste er, was er zu tun hatte. Er musste sich nur an die exakten Angaben halten.

Estas Torentia zog unzählige Pflanzen, Kräuter, Blumen, magische Steine und Papiere aus seiner Tasche, die er schon im Voraus vorbereitet hatte. An der Akademie. Ob die anderen Magier, die Verehrer Baas waren, ihn umbringen würden? Estas schluckte schwer. Er war hier, er hatte seine Entscheidung getroffen und er würde mit den Konsequenzen leben. Sollte Baa doch erneut beweisen, dass er der Stärkere war.

Ein trockenes Lachen entfuhr seiner Kehle. Wenn der Götterkönig nicht faul und schwach geworden war, schließlich hatte er sich nie den Menschen gezeigt. Seit er König war - seit vielen Jahrhunderten - hatte er nie wieder kämpfen müssen. Estas würde sich wundern, wenn Baa gegen seinen Bruder ankommen könnte. Eine neue Ära würde anbrechen. Und er, Estas Torentia, würde der ausschlaggebende Magier dafür sein.

Estas begann die Pflanzen zu sortieren, sie in Tiegeln zu zerstampfen und zu vermengen, sie zu teilen und zu mischen, bis sich mit dem Wasser aus der heiligen Stätte mehrere verschiedene Tränke ergaben. Die Arme des Mannes schmerzen, aber er zog auch noch den Brenner aus seiner Tasche und stellte ihn an. Langsam begannen die Flüssigkeiten zu kochen und zu dampfen, bis ihm die Augen tränten.

Es war eine mühselig Arbeit. Estas fragte sich zum wiederholten Mal, wofür er das alles brauchen würde, doch die Legenden waren in dem Punkt deutlich gewesen. Also seufzte er bloß, destillierte etwas Nebel, um seiner Brauerei Magie zuzufügen, und inspiziert währenddessen das Bauwerk.

Die Säule ragte mehrere Meter in den Himmel und warf einen langen Schatten zu Boden. Mit einer Handbewegung ließ der Mann den Nebel ein Stück zur Seite gleiten, denn die Spitze war vollständig verhüllt. Doch er konnte oben nichts erkennen. Als würde die Säule abrupt und gerade, ohne jegliche Verzierungen enden. Estas schnaubte. Baa hatte das ›Göttergrab‹ seines Bruders nicht Mal würdig hinterlassen. Das sah diesem eingebildeten Gott ähnlich.

Estas pfiff nervös, um seine Anspannung zu vertreiben, und wandte sich ab. Er spazierte einmal um das Bauwerk herum. Die pure Anwesenheit dieses Werkes ließ ihn frösteln, denn sie strahlte eine unterschwellig mächtige, aber gänsehauttreibende Kraft aus. Estas versuchte die beklemmende Angst abzuschütteln, die sich schleichend in ihm ausbreitete und warf einen Blick auf seine Uhr.

Der filigrane Zeiger bewegte sich langsam vorwärts.

Der Magier lauschte wieder auf seine Umgebung. Immer noch nichts zu hören. Gut so. Niemand könnte sich ihm jetzt noch in den Weg stellen, niemand könnte ihn jetzt noch aufhalten. Die anderen Magier würden zu spät kommen, und dann würden sie mitansehen müssen, wie ihr hochverehrter, eingebildeter Götterkönig seine Niederlage erleiden musste.

Estas blickte zufrieden auf die Tränke, holte den ersten vom Feuer und goss ihn in eine steinerne Schale am Rande des heiligen Bauwerke. Dabei murmelte er beschwörende Worte und sah regungslos zu, wie die Tropfen in dem Behälter verschwanden und sich schäumend mit dem Wasser zu einem brodelnden grünen Strom entwickelten.

Sein Herz donnerte. Dieser Fluss würde dem Gott Kraft geben, seine Fesseln in der Unterwelt zu lösen.

Dann holte er die magischen Relikte, die er von der Akademie gestohlen hatte, und platzierte sie im Kreis. Mit seinem Stock zog er Linien, verband sie zu Mustern und beobachtete seine eigene Tätigkeit mit Adleraugen. Der Nebel hatte sich immer weiter verzogen und gewährte einen Blick durch die grauen dünnen Massen, aber Estas hatte kaum noch den Nerv, sich auf sein Schutzschild zu konzentrieren. Er war zum Zerreißen gespannt. Schweigend holte er den nächsten Trank vom Feuer und goss ihn in die zweite Schale.

Es war schwieriger als gedacht, denn der Magier wollte nichts falsch machen. Gleichzeitig waren seine Gedanken bei der Akademie und seinen alten Kollegen, mit denen er über den Götterkampf diskutiert hatte. Vor allem sein ehemaliger Freund Bartholomy Gix hatte darauf beharrt, dass er falsch läge, und sie hatten viele Stunden damit verbracht, sich gegenseitig Textstellen der verschiedenen Legenden und ihre Interpretationsmöglichkeiten an den Kopf zu werfen.

Wenn er jetzt hier wäre, was würde er wohl von seinem Vorhaben halten? Hielt er ihn für wahnsinnig? Abgehoben? Realitätsfern? Für einen Gottesfeind und Bösewichten? Oder...

In dem Moment hallte eine bekannte Stimme über die Ebenen und Estas brauchte sich keine Gedanken mehr zu machen.

»Halte ein!«

Der Magier zuckte zusammen. Damit hatten sich die Überlegungen über seinen Freund erledigt. Die geschwollene Sprache der Gebildeten war nur schwer zu überhören, geschweige denn gänzlich zu ignorieren.

»Zu spät, wie immer«, murmelte er gereizt. »Und dennoch zu früh.«

Estas warf er einen Blick auf seine Uhr. Die letzten Tränke brauchten noch einige Minuten, also würde er wohl oder übel die Zeit rausschlagen müssen.

Erbost richtete er sich auf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Auf der Spitze des Hügels stand eine schwarze Gestalt, der Umhang flatterte im Wind, sie hatte eine Hand drohend erhoben. Und sie war allein.

Er schnaubte leise. »Hat es nicht für mehr Magier gereicht?«, rief er belustigt.

Der Magier war niemand anderes als sein alter Freund Bartholomy, dessen Gesicht er wegen des grauen Dunstes, der vom Nebel noch übrig war, nicht erkennen konnte. Doch er wusste auch so, dass Bartholomy nicht gekommen war, um ihn zu unterstützen.

Der Kampf konnte beginnen.

Der Stab des Ramos (Kurzgeschichte)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt